Die «Bluthunde» sind längst zahm
Dies & Das
Die Stellung auf dem Gubel ist weltweit die einzig erhaltene. 1999 ging im Kanton Zug ein wichtiges Stück Kriegshistorie zu Ende.
Zug – Wollte man es genau angehen, so müsste diese Ausgabe der Serie «Davon sprach Zug» in «Davon sprach Zug nicht» umbenannt werden. Um die «Bloodhound»-Lenkwaffenstellung auf dem Gubel rankte sich nämlich die nötige Diskretion. Man wusste wohl, dass dort oben was Militärisches stationiert sei, viele aber zuckten die Schulter, wenn man sie nach Genauerem fragte. Aus kriegstaktischen Gründen mussten Details schliesslich geheim bleiben.
1962 gab der Bund grünes Licht für den Kauf von «Bloodhound»-Lenkwaffen - mit ihnen lassen sich feindliche Flugzeuge noch in über 6000 Metern Höhe gezielt vom Himmel holen - und für die Einrichtung von sechs Stellungen in der Schweiz. Von über 50 möglichen Standorten war der Gubel mit seinen 960 Metern über Meer als eine der strategisch besten hervorgegangen und machte zusammen mit fünf weiteren Standorten das Rennen. Fredy Flückiger - Stiftungsrat der Militärhistorischen Stiftung des Kantons Zug - erinnert sich: «Bundesrat Philipp Etter betrachtete den Bau der Lenkwaffen-Stellung auf dem Gubel mit kritischem Auge.» Der Zuger sei tatkräftiger Unterstützer des Klosters und somit etwas besorgt gewesen, dass in dessen unmittelbarer Nähe eine Kriegseinrichtung entstehen sollte. «Doch man trat mit der Ordensvorsteherin in den Dialog und konnte schnell allfällige Bedenken aus dem Weg räumen», so Flückiger. Skepsis mag es da und dort auch im weltlichen Umfeld gegeben haben, aber in der Bevölkerung wurden kaum Stimmen dagegen erhoben. Ab Inbetriebnahme der Stellung auf dem Gubel war Fredy Flückiger bis 1970 Werkchef und somit ein «Bloodhound»-Kenner der ersten Stunde. Später wechselte er nach Emmen und war im Grad des Majors Chef über sämtliche Lenkwaffen-Stellungen der Schweiz. «Es war ein diskreter und abgeschirmter Betrieb auf dem Gubel, die Leute haben wenig mitgekriegt. Generell war eine Befürwortung spürbar, denn die Zuger waren sich ja bewusst, dass die Einrichtung ihrem Schutz dienen würde.» In der Schweiz wurde übrigens kein einziges Mal mit einer «Bloodhound» scharf geschossen.
Der Anfang vom Ende
Ende der 80er-Jahre ging der Kalte Krieg allmählich zu Ende, in welchen mit Ausnahme von Österreich die umliegenden Staaten involviert waren. «Und auch sonst haben sich die politische Situation auf der Welt sowie die Anforderungen im Fall einer Kriegsführung geändert, sodass die «Bloodhounds» nicht mehr auf einem zeitgemässen Stand waren», erklärt Flückiger. Hinzu kam der Spardruck, und es zeichnete sich schnell ab, dass die Lenkwaffen bald ausgedient haben würden - ursprünglich war der Einsatz der «Bloodhounds» bis 2005 geplant gewesen. An einem internationalen Kolloquium in Basel im Jahr 1996 anlässlich des 60. Geburtstages der Schweizer Fliegerabwehrtruppen brachte man es auf den Punkt: Man müsse sich bereits jetzt Gedanken machen für einen Ersatz der «Bloodhounds». Dann ging alles sehr schnell. 1998 fand auf dem Gubel der letzte WK statt. 1999 war bereits über die Hälfte der «Bloodhound»-Stellungen in der Schweiz abgebaut, das Lenkwaffen-Regiment 7 wurde aufgelöst. Nach rund 36 Jahren im Einsatz hatten die BL-64, wie sie auch genannt wurden, ausgedient. Ihre Aufgabe mussten nun die F/A-18 Kampfflugzeuge alleine übernehmen. In Menzingen gingen durch die Schliessung des Lenkwaffen-Standortes Arbeitsstellen verloren. Auch für das Gewerbe im Dorf war es ein Wermutstropfen. Immerhin konnten lokale Geschäfte Nahrungsmittel für die Truppen liefern, und die Soldaten nutzten die örtliche Gastronomie. Doch damit musste Menzingen sich abfinden.
Die Initiative zur Erhaltung
FDP-Regierungsrat Peter Bossard (†2001), Vorsteher der Direktion des Innern, stand für den Erhalt der Lenkwaffenstellung auf dem Gubel ein. Gemeinsam mit dem damaligen Zuger Denkmalpfleger Heinz Horat machte Bossard eine Eingabe beim Bund, auf dass die «Bloodhound»-Stellung auf dem Gubel erhalten und unter Denkmalschutz gestellt werde. Die Eidgenössische Denkmalkommission äusserte sich wohlwollend. In Absprache mit dem Militärdepartement erteilte der Bund schliesslich die Bewilligung zum Erhalt, und auch der Zuger Regierungsrat gab grünes Licht. Ein Vertrag zwischen dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) und dem Zuger Denkmalamt hielt fest, dass die Feuereinheit Ost - die Stellung auf dem Gubel umfasste zwei Feuereinheiten - nicht abgebaut wird. Nirgendwo sonst, weder im In- noch im Ausland, fand ein solcher Vorstoss statt. Auch in Schweden, das über die «Bloodhounds» verfügt hatte, wurde nichts davon in einer solchen Form erhalten. Es sei auch wichtig, Dinge aus dem aktuellen Jahrhundert zu erhalten, nicht nur solche aus den Jahrhunderten zuvor, hatte Peter Bossard damals gesagt. Kaum ein anderes Objekt würde so deutlich an die mittlerweile mehrheitlich verdrängte Nachkriegszeit erinnern wie diese «Bloodhound»-Stellung. Zug setzte somit ein Zeichen.
«Aus der Bevölkerung wurden keine negativen Stimmen laut», erinnert sich Fredy Flückiger. «Für die Gemeinde Menzingen bedeutete dieser für museale Zwecke gedachte Erhalt der Stellung sogar eine Aufwertung.» Es berechtigt die Gemeinde gar, richtig stolz darauf zu sein, denn mittlerweile ist die konservierte «Bloodhound»-Stellung auf dem Gubel einzigartig auf der Welt. «Selbst im ursprünglichen Herstellerland England gibt es nichts Vergleichbares», so Flückiger. Bloss fragmentartig habe man dort «Bloodhound»-Material erhalten. Aktuell sei man in England dabei, etwas aufzubauen. «Und dabei wird England von der Militärhistorischen Stiftung Zug unterstützt.»
Wichtiger Zeuge des Kalten Krieges
Für Fredy Flückiger ist die Erhaltung der Lenkwaffen-Stellung auf dem Gubel ein echter Glücksfall, denn als der staatliche Entscheid fiel, die «Bloodhounds» Geschichte werden zu lassen, hat es den Mann der ersten Stunde schon etwas berührt. «Da war recht viel Herzblut dabei», sagt er. Seit 2000 ist Menzingen schweizweit der einzige Ort, wo noch «Bloodhounds» zu sehen sind. Alles andere im Land ist komplett von der Bildfläche verschwunden. Aus militärhistorischer Sicht sei der Gubel demnach bedeutend, so der einstige Werkchef. «Es ist ein wichtiger Schweizer Zeuge des Kalten Krieges.»
Seit 2001 finden Führungen durch die Stellung auf dem Gubel für interessierte Besucher statt (siehe Box), und seit 2002 ist die einstige Lenkwaffenstellung offiziell ein Museum. Besonders zu Beginn strömten viele Zuger auf den Gubel, die nun endlich sehen wollten, was es da oben eigentlich gab und gibt. Die Militärhistorische Stiftung Zug arbeitet mittlerweile gar mit Zug Tourismus zusammen. «Rund 50 Führungen finden jährlich statt», weiss Flückiger. «Das ist ideal. Es spricht sich rum, wir brauchen gar nicht erst gross die Werbetrommel zu rühren.»
Bereit für den Winterschlaf
Aktuell stehen die vier erhaltenen «Bloodhound»-Lenkwaffen auf dem Gubel unter freiem Himmel aufgebaut, als wären sie sofort einsatzbereit. Aber in wenigen Tagen werden sie mit viel Manneskraft abmontiert und für die Überwinterung eingelagert. Die bedrohlichen Ungetüme sind zu harmlosen Museumsexponaten geworden und zeugen von einer Zeit politischer Wirren und potenzieller Kriegsgefahr. Die Situation heute ist eine ganz andere. Ob und inwiefern sie weniger bedrohlich ist, sei dahingestellt. (Andreas Fässler)