Schlachtdenkmal, dem die Schlacht fehlt

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Am steilen Weg vom Postplatz hinauf zur Löbernstrasse erinnert eine Tafel an die Mordnacht vom 9. September 1275. Historisch belegt ist das Ereignis nicht, aber Geschichten darüber gibt es umso mehr.

  • Am Weg zur Löberen berichtet eine Inschrift auf der alten Steintafel von einem Massaker, das vor Hunderten Jahren in Zug stattgefunden haben soll. (Bild Marco Morosoli)
    Am Weg zur Löberen berichtet eine Inschrift auf der alten Steintafel von einem Massaker, das vor Hunderten Jahren in Zug stattgefunden haben soll. (Bild Marco Morosoli)

Zug – 1291 ist ein Datum, von dem vermutlich jeder Schüler in der Schweiz mindestens einmal gehört hat. Und das Jahr 1315 gehört mindestens in der Zuger Lokalgeschichte zum Stammrepertoire. Ob die Gründung der Eidgenossenschaft wirklich 1291 stattgefunden hat oder nicht, ist heftig umstritten. Auch mit der Schlacht bei Morgarten von 1315 ist das so eine Sache. Was sich aber am 9. September 1275 im Gebiet Löberen zugetragen haben soll, davon können nur wenige Zeitgenossen etwas berichten. So steht mancher, der auf dem Weg zwischen dem Guggihügel und der Schanz an der Gedenktafel für die «Zuger Mordnacht» anno 1275 vorbeiläuft, vor einem Rätsel. Auch das Internet hilft auf Anhieb nicht weiter. Wer etwas tiefer taucht, findet gar Wunderliches – etwa im Zuger Neujahrsblatt von 1843. Unter dem Titel «Die Mordnacht auf der Löberen» ist hier zu lesen: Die Erzählung von der Mordnacht selbst, die wenigstens in der Hauptsache wahr und durch genügende Beweise unterstützt ist, kommt in keiner anderen geschichtlichen Quelle vor, als in der Chronik der Stadt Zug, geschrieben durch Johann Kolin, Landschreiber des löblichen Standes Zug. Erschienen ist Kolins Werk im Jahre 1587.

 

Der Historiker Heinz Horat zitiert für die Beschreibung der Zuger Mordnacht im «Tugium»-Jahrbuch einen Franz Karl Stadlin. Demnach habe sich die selbstbewusste Bürgerschaft der aufstrebenden Kleinstadt Zug gegen den eifersüchtigen Adel der Landschaft durchgesetzt. Stadlin berichtet, dass sich 900 Mann zu Fuss und 100 hoch zu Pferde von Steinhausen in Richtung Zug aufgemacht hätten. Diese hätten die Stadt mitten in der Nacht überfallen wollen. Doch sie hatten die Rechnung ohne den wachen Fischer Hänsli Uttiger gemacht. Dieser warnte die Städter. In wahrlich atemberaubendem Tempo sammelten sich die Zuger zur Abwehr. Hundert werden mit Pfeilen bewaffnet ans Seeufer beordert, währenddem 370 Zuger in Richtung Löberen zogen, um den Feind abzuwehren. Woher die Zuger wussten, wo die Adligen angreifen, darüber schweigt sich Stadlin aus. Die Zuger machten kurzen Prozess mit den Angreifern. Laut Stadlin fielen bei dem Gemetzel auf der Löberen 250 von ihnen, worunter 25 Edle gewesen sein sollen. Derweil ist der Blutzoll der Zuger in einem überschaubaren Rahmen geblieben – von ihnen fielen 15 Männer. Dabei handelte es sich um Diener des Zuger Burgherrn.

Etwas blutrünstiger schildert das Ereignis Josef Anton Henn aus Sargans in seiner 1840 erschienenen Schweizer Chronik. Für ihn ist der Besitzer der Wildenburg der Rädelsführer für die Mordnacht, namentlich ein gewisser Ausländer namens Wernher Rycha. Dieser sei ein Hasser der Stadt Zug und seiner Bürger gewesen. Angeblich wollte Rycha schon 1269 in Richtung Zug marschieren und die Stadt mit Gleichgesinnten plündern. Er hat dann aber davon abgesehen, um es sechs Jahre später wieder zu probieren. Der Wildenburger soll ein heimtückischer Geselle gewesen sein. Henne nennt Rycha «der Baurn Fegefeuer».

Noch detaillierter weiss das erwähnte Neujahrsblatt von 1843 zu berichten. Hier hat der vorgenannte Kolin unter Verwendung der Chronik eines gewissen Konrad Gesslers aus dem Freiamt geschrieben, dass der Wildenburger ein Bündnis geschmiedet habe. Die Beteiligten hätten geschworen, die Zuger Burg zu überfallen und alle umzubringen. Ferner schildert Gessler, wie in dieser Zeit zum Beispiel die Chamer Herrschaft «in grossen Zerfall gekommen» sei. Erstaunlich ist, dass die bluttriefende Geschichte im Neujahrsblatt 1843 erschienen ist. Dieses Blatt, das es immer noch gibt, hatte damals noch den Untertitel «für die Jugend und ihre Freunde».

Zeugnisse dieser Mordnacht sind Totengebeine und Schädel, welche im Gebiet Löberen aufgefunden worden sind, als dort ein Mann namens Jakob Bachmann im 16. Jahrhundert einen Rebberg anlegte. Die Begründung für diesen Begräbnisort weiss Gessler auch noch gleich zu nennen: Ihres gehabten bösen Vorhabens wegen hat mans nit in Kilchhof begraben. Obwohl die Zuger gewonnen hatten, gaben sie sich noch nicht zufrieden, wie Gessner weiter in seiner Chronik schreibt: In der nämlichen Zeit und in gleicher Fehde nahmen sich die Zuger vor, die von Cham und Hünenberg zu schädigen.

Ob es die Mordnacht von Zug in voreidgenössischer Zeit gegeben hat oder nicht, ist mehr als zweifelhaft. Da fragt es sich, wie die Totengebeine und Schädel ins Gebiet Löberen gekommen sind. Dafür gibt es eine profane Begründung: Im Gebiet Löberen haben Alemannen im 6. und 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung ihre Toten begraben. Wie Beat Dittli in seinem Werk «Zuger Ortsnamen» wissenschaftlich belegt, geht das Wort Löberen auf das althochdeutsche zurück und bedeutet: Grabhügel. Die dortigen Begräbnisstätten in unmittelbarer Nähe der Zuger Stadtmauer sind archäologisch nachgewiesen. Chronisten der Zuger Mordnacht haben in diesem Gebiet im 16. Jahrhundert gemachte Knochenfunde irrtümlicherweise diesem Ereignis zugeordnet.

So weist also die Tafel auf ein Ereignis hin, das weder 1269 noch 1275 stattgefunden hat. Aber in diesen alten Chroniken zu schmökern, ist immer wieder ein Hochgenuss. (Marco Morosoli)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir Details mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach. Frühere Beiträge finden Sie online unter www.zugerzeitung.ch/hingeschaut