Spätwerke der Romantik verzaubern in der Kapelle
Musik
Nach zwei Jahren gab es in Immensee ein Wiedersehen mit Matthew Rose und Helen Collyer einmal mehr ein musikalischer Genuss.
Zug – Schon der kräftige Eingangsapplaus dankte für das Wiedersehen mit dem Basssänger Matthew Rose und seiner Partnerin Helen Collyer am Klavier. Wiederum dominierten Spätwerke bekannter Komponisten der Romantik. Die einzige Ausnahme war die Ballade «Edward» von Carl Löwe (17961869), ein genialer Wurf des damals erst achtzehnjährigen Komponisten, gleichzeitig einer der Höhepunkte des dritten Sommerklänge-Konzerts. Schon durch die unterschiedliche Wahl der Tempi dramatisierte der Sänger den Dialog zwischen der hinterhältig-grausamen Mutter und ihrem wild gewordenen Sohn.
Alle Nuancen herausgearbeitet
Schon eher in einen Kirchenraum passte das fast ein halbes Jahrhundert später verfasste Balladenlied «Archibald Douglas» des gleichen Komponisten, hier der erfahrene Tonsetzer, der einen Grossteil seiner Werke für Singstimme und Klavier dem Publikum selber präsentiert hatte. Der Sänger wusste alle Nuancen des um alten Groll und späte Versöhnung kreisenden langen Gedichts in vielen originellen Einzelheiten voll herauszuarbeiten. Ebenbürtig erschien die Leistung von Helen Collyer für die Interpretation des vielerorts sehr anspruchsvollen Klavierparts. Eines bestätigte der Abend ein weiteres Mal: Carl Löwe hat dort seine besten kompositorischen Leistungen erbracht, wo er mit ebenbürtigen Dichtern zusammenarbeiten konnte, im konkreten Fall Johann Gottfried Herder und Theodor Fontane; bei schwächeren Textlieferanten erlag er eher der Gefahr einer allgemeinen Versüsslichung.
Mit geöffnetem Klavier
Ein direktes Wiedersehen bedeuteten die «Vier ernsten Gesänge», Opus 121, von Johannes Brahms. Hier bestätigten sich am klarsten die Eindrücke von 2013 und auch die seitherige Entwicklung. Obwohl eigentlich fremdsprachig, wirkte die deutsche Aussprache von Matthew Rose noch eine Stufe natürlicher, und der Mix zwischen Noten, Textzetteln und völlig blattfrei je nach Werk bewährte sich offensichtlich. Die überaus grosse Stimme ermöglichte es der Pianistin, stets mit voll geöffnetem Klavierdeckel zu spielen. An einer einzigen Stelle durch den ganzen Abend übertönte sie den Sänger, nämlich bei den wohl unvorbereiteten Pianissimo-Einsätzen im «O Tod, wie bitter» gegen Schluss. Sonst war sie nie zu laut; im Gegenteil, bei einigen dramatischen Forte-Ausbrüchen hätte sie sogar noch stärker in die Tasten greifen dürfen. Ebenbürtig gelangen auch die fünf Brahms-Gesänge, Opus 94, alles wohlbekannte Lieder, aber wiederum jedes mit einer persönlichen Interpretation gestaltet, welche eine intensive innere Auseinandersetzung dokumentierte.
Stadtarchivar mit Einführung
Die Kapelle im Missionshaus Bethlehem, Immensee, erwies sich bei guter Besetzung als akustisch dankbarer Raum. Stadtarchivar Thomas Glauser betonte in seinen Einführungsworten zum Konzertort aber vor allem die Bedeutung der Verbindung ImmenseeHohle Gasse–Küssnacht für den Warenverkehr im Mittelalter. So konnte man zwischen Zürich und Luzern einen möglichst grossen Teil der Strecke mit dem billigeren Fährentransport auf dem Zuger- und Vierwaldstättersee bewältigen. Relativ geringe kunsthistorische Bedeutung hat die 1935 erbaute Kirche, welche vor allem das bis heute bestehende Gymnasium ergänzen sollte. Erneut erwiesen die Sommerklänge wettermässig ihrem Namen alle Ehre. Matthew Rose war der Einzige im Raum mit komplettem dunklem Anzug. Den Kittel liess er erst weg, als er am Schluss des Programms eine kurze Kantate nach Henry Purcell (Bearbeitung Benjamin Britten) interpretierte, welche die enttäuschte Liebe mit Blitz und Donner verglich. War es ein Zufall? Als das Publikum wenige Minuten später das Lokal verliess, begann mit Blitz und Donner genau am Konzertort ein heftiges Gewitter, welches sich in das ausgetrocknete Gras ergoss. (Jörg Röthlisberger)