Die Würde bis zuletzt erhalten

Literatur & Gesellschaft

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Der Zuger Journalist Adriano Küpfer hat mit «Sophie» ein Buch über die Endlichkeit des Lebens geschrieben.

  • Adriano Küpfers Buch handelt von der Friedhofsgärtnerin Sophie, die der Endlichkeit des Lebens begegnet. (Bild PD/Beat Holdener)
    Adriano Küpfers Buch handelt von der Friedhofsgärtnerin Sophie, die der Endlichkeit des Lebens begegnet. (Bild PD/Beat Holdener)

Zug – Das Leben ist ein Geschenk, doch wie überall gibt es auch hier zwei Seiten: Solange wir gesund sind, können wir ein zufriedenes Leben führen. Aber was ist, wenn uns eine Krankheit trifft, bei der es – trotz aller Fortschritte in der Medizin – keine Heilung gibt, und das Ende absehbar ist? Die Reaktionen können von Wut bis Resignation reichen. Dann geht es auch um die Frage: Was ist noch wichtig im letzten Stück unseres Lebens?

Vor drei Jahren wurde der Zuger Adriano Küpfer (52) wegen einer schweren Diagnose mit solchen Fragen konfrontiert. Damals arbeitete er in einem humanitären Hilfsprojekt in Kolumbien. In der Freizeit unternahm er Marathonläufe, Tauchgänge und Wanderungen. So konnte er manche Gräuel verarbeiten, auf die er als Helfer gestossen war.

«Als ich in Marokko war, fiel mir auf, dass ich beim Laufen Mühe mit dem Gleichgewicht bekam. Schon die erste Diagnose lautete, dass ich an der seltenen Krankheit MSA litt, die eine Hirnschrumpfung und unter anderem den Verlust der koordinativen Fähigkeiten zur Folge hat», berichtet Adriano Küpfer. «Sofort konsultierte ich andere Ärzte, doch alle bestätigten es, und ich erfuhr, dass meine Lebenserwartung nur noch sechs bis neun Jahre beträgt.» Das war vor drei Jahren. Und er stellte fest, dass es, trotz Unmengen an Medikamenten auf dem Markt, für sein Leiden keine Medizin gibt. Weil MSA so selten ist, wird dazu wenig geforscht.

Um möglichst lange mobil zu bleiben, habe er sofort mit Ergo- und Physiotherapie begonnen und anderes ausprobiert. Adriano Küpfer realisiert, dass die Krankheit bei ihm schnell fortschreitet: Ende letzten Jahres musste er seinen Beruf aufgeben. Seit Sommer ist er auf den Rollstuhl angewiesen, und das Sprechen fällt ihm schwer. Dennoch ist er für das Gespräch von Belp, wo er mit seiner Familie lebt, mit dem Zug nach Zürich gekommen.

Die Bucket-List ist schon fast erledigt

Das Buchprojekt ist ein wichtiger Teil auf seiner Bucket-List, die all die Dinge umfasst, die jemand vor seinem Tod unbedingt noch machen möchte oder muss. «Inzwischen habe ich 193 Ziele von 203 erreicht», sagt Küpfer stolz. Das Buch und ein Tattoo am Oberarm mit einem Phönix, dem Zeichen für Auferstehung, standen weit oben. Er sei noch immer offen für neue Sachen, anderes wurde aber nicht mehr so wichtig.

«Mit dem Buch ‹Sophie› hatte ich bereits 1994 begonnen, doch erst nach der Diagnose 2016 daran weitergearbeitet», so Küpfer. Obwohl er nicht der Schnellste gewesen sei, erwähnt er schmunzelnd, habe er immer gern geschrieben. Die Hauptfigur der fiktiven Erzählung ist die Friedhofsgärtnerin Sophie, die bei ihrer täglichen Arbeit der Endlichkeit des Lebens begegnet. Bei der Grabpflege, die ihr von vielen Angehörigen übertragen wird, hält sie bei Verstorbenen Monologe, in denen sie über den Grabschmuck, das Leben und seine Vergänglichkeit sinniert.

Adriano Küpfer zeigt voller Freude das von seiner Nichte Amanda Küpfer mit vielen Blumenzeichnungen gestaltete Buch, und er berichtet, dass an der Vernissage vor wenigen Tagen in Bern über 100 Personen anwesend waren: «Ich habe nicht gedacht, dass ich es erlebe, das Buch selbst herausgeben zu können. Ein Team hat mitgeholfen, und ich durfte viel Solidarität spüren.» Obwohl er nicht mehr so gut sprechen kann, ist es ihm ein Anliegen, über seine progressive Krankheit zu informieren, denn nach Abzug der Selbstkosten geht der restliche Erlös aus dem Verkauf des Buches an die MSA Coalition zum Zweck von Forschung und Heilung für Projekte in Europa.

Adriano Küpfer ist in Zug und Rotkreuz aufgewachsen. Er hat Germanistik und Publizistikwissenschaft studiert und einige Jahre als Journalist bei den Zuger Nachrichten und Radio 24 gearbeitet. Seit 1997 war er als Delegierter für das Internationale Rote Kreuz in Afghanistan, Uganda, Kongo-Brazzaville und Kolumbien tätig. Von 2002 bis 2018 wirkte er bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit der Schweiz. So war er Chef der Schweizer Kooperationsbüros in Kolumbien und Marokko. Zudem leistete er für die Schweiz und die Vereinten Nationen humanitäre Einsätze nach Krisen und Katastrophen.

«Die Krankheit wird mir immer mehr bewusst»

Nun benötigt der Helfer selber Hilfe und ist dankbar über die Unterstützung der Familie. Bis im Sommer ist er auch regelmässig nach Zug gefahren. Gerne schaut Adriano Küpfer auf sein Leben zurück: «Mit Fleiss habe ich in meinem Leben viel erreicht. Ich will lieber kurz und intensiv leben und möglichst lange daheim – und ohne Schläuche – bleiben können.» Mit dem Tod beschäftigt er sich derzeit nicht nur des Buches wegen. Und bevor er nach Belp zurückreist, sagt er sehr offen: «Die Krankheit wird mir immer mehr bewusst. Ich habe keine Angst, und ich werde selber entscheiden, wann ich gehen will.» (Monika Wegmann)

Hinweis
Das Buch «Sophie» von Adriano Küpfer ist im Buchhandel erhältlich: ISBN 978-3-033-07589-4