Ein heiliger Blödsinn in völliger Nässe

Theater & Tanz

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Zum sechsten Mal machten Gisela Bitterli Jochimsen und Werner Iten die Lorze zum Kunstraum. Ein bisschen eklig war es dieses Mal – aber das war auch so gewollt.

  • Von oben nass, von unten nass: Gisela Bitterli Jochimsen und Werner Iten sorgten mit ihrer Performance in der Lorze für eine kunstvolle Unterhaltung der derben Art. (Bild Christian H. Hildebrand)
    Von oben nass, von unten nass: Gisela Bitterli Jochimsen und Werner Iten sorgten mit ihrer Performance in der Lorze für eine kunstvolle Unterhaltung der derben Art. (Bild Christian H. Hildebrand)

Zug – «Ach.» Das könnte der Kommentar zum bisherigen Sommerwetter 2016 sein. Es ist aber auch der Titel der sechsten Lorze-Performance (Performance Fluss VI) der beiden Künstler Gisela Bitterli Jochimsen und Werner Iten. Und der Dauerregen am Samstag passte hervorragend zu diesem Titel. «Ach.»

Die beiden alten Hasen aus den Künstlerateliers der Zuger Gewürz­mühle essen nicht nur ihre Schoko-Oster­hasen – der eine weiss, der andere dunkelbraun – im Regen. Nein, sie liegen auch im Regen auf der Wiese, neben friedlich grasenden Kühen. Und sie bespritzen sich gegenseitig, knietief in der Lorze stehend, stoisch und genervt mit Wasser. Während es von oben nur so giesst. «Ach», sagen wir Menschen da sogleich. «Was für ein Wetter, was für ein passendes Bild für die Sinnlosigkeit allen Seins ...» Die Vögel haben es da besser. Sie zwitschern munter während der gesamten Performance.

Was machen die da?

Doch das Gute an der vermeintlichen Sinnlosigkeit – auch dieser Performance – für uns Menschen: Das pure Zuschauen lässt zur Ruhe kommen, regt zum Nachdenken an, schärft den Blick und ebenso das Gehör. Die relative Stille öffnet den Geist. Was machen die da? Fragt man sich und kichert vor sich hin. Die beiden Künstler locken wie jedes Jahr ein treues Publikum auf die Brücke über die Lorze. Auch neue Fans gesellen sich dazu. Mütter, Kinder, Männer, Frauen. In Sommerkleidern und mit Regenschirmen. Man trotzt dem Wetter und dem hässlichen Ernst des Alltags.

«Etwas mit Haaren» wollte Gisela Bitterli dieses Jahr machen – und sammelte fleissig ein halbes Jahr lang beim Coiffeur ebendiese. «Zum Schluss waren die Haare eine Hypothek», erzählt die Künstlerin. «Was sollte ich bloss damit machen?» Sie nimmt sich vor: «Auf jeden Fall etwas Morbides.» Und trägt reichlich «höheren Blödsinn» zusammen. Diesen Blödsinn widmen die Künstler am Samstag Patrizia und Adema: Patrizia kümmert sich alljährlich um den Apéro nach der Performance, und Adema filmt das kultige Geschehen rund um Gewürzmühle und Lorze.

Kultverdächtig ist 2016 das gelb gemusterte Ethnohemd, das Werner Iten schmückt. «Ein Hippiehemd für Möchtegern-Goldkettchenträger», umschreibt sein Träger das schöne Stück. Er habe es vor Jahrzehnten in einem Secondhandladen erstanden. Schon lange Kult ist das Zusammenspiel von Gisela und Werner, sie die Dominante, er der leicht widerwillig Mitspielende. Dann die wiederkehrende Frage: Was lassen die beiden wohl dieses Jahr die Lorze runter-treiben?

Eierlegen der anderen Art

Es sind Eierschalen. Gisela sitzt auf einem Müllsack, der prall gefüllt ist mit Haaren, und gebiert Eier. Ein bisschen eklig ist das, zugegeben. Aber schliesslich ist man Gast bei einer Performance, und da darf der Humor auch mal etwas derber sein. Und während der Regen auf den Schreibblock tropft, fragt man sich, was diese Performance mit dem Albtraum von vergangener Nacht zu tun haben könnte, als man plötzlich schwanger mit Zwillingen war und sich restlos überfordert fühlte ...

Zwei Pelzmäntel und Schokohasen

Gisela legt also huhngleich die Eier, während Werner sie sogleich aufschlägt, die Schalen in die Lorze wirft und den Inhalt in einer Schüssel sammelt. Dann gehts raus aus dem Regen zur Gewürzmühle, wo zwei Pelzmäntel und ein paar Schokohasen warten. Werner entledigt sich des schönen Hemds und reibt sich mit Eierpampe ein. Gisela greift zur Schere und schneidet sich ein bisschen Pelz und etwas künstliches Schamhaar ab. Aus der Zuschauerschar ein amüsiertes Lachen. Irgendwann wird es Werner zu blöd: «Ich muss weg, von dir, von mir, von wir.» Er flüchtet in die Lorze. Gisela wäre nicht Gisela, könnte sie ihn nicht zur Umkehr bewegen, mit Hilfe von Marlene Dietrichs schönen Zeilen: «Werni, wenn du Geburtstag hast, bin ich bei dir zu Gast, die ganze Nacht.» Zu Gast sind nach der Performance die gesammelten Zuschauer, die die durchnässten Künstler mit Applaus zum Apéro empfangen. Ist es den beiden sehr kalt geworden? «Wenn man voll Adrenalin ist, merkt man die Kälte nicht», resümiert Werner Iten, jetzt wieder in heiterem Gelb. (Susanne Holz)