Die diebische Elster des Blues
Dies & Das, Musik
Der Roots-Blues lässt ihn nicht mehr los: The Delta Magpie aus Allenwinden tritt alleine auf und klingt dabei wie ein Quartett. Wer ist der Mann dahinter?
Allenwinden – Dieser Artikel erschien in der Dezember-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Vieles, was ihn ausmacht, steckt schon im Namen drin: The Delta Magpie. Zu Deutsch: Die Elster aus dem Delta.
Seine Musik atmet den Geist des Mississippi-Deltas. Sie folgt den Pfaden des waschechten Blues aus dem frühen 20. Jahrhundert. Und die diebische Elster bedient sich schamlos bei anderen, aber immer mit Sinn für das Ästhetische. «Beim Blues wird seit eh und je ‹geklaut›. Musiker kupfern untereinander ab und tragen die Tradition weiter», sagt der Mann hinter The Delta Magpie. Sven Müller, 56, aus Allenwinden schlüpft damit nicht einfach in eine Rolle, sondern «lebt und atmet Musik», wie er über sich schreibt. Wie tief er in die Musikgeschichte eintaucht, zeigt die Spannbreite seiner Einflüsse: Delta-Blues, Ragtime, Tin Pan Alley, Old Time Music und Rock ’n’ Roll.
Immer weiter zurück
Die Leidenschaft war früh entfacht: Sein älterer Bruder hatte ihm in den 1970er-Jahren die ersten Vinylplatten in die Hand gedrückt – und Klein Sven war angefixt. Er verbrachte fortan jede freie Minute in den Plattenläden der Stadt und fing an, auf der Gitarre die Lieder seiner Vorbilder nachzuspielen. Led Zeppelin, Rolling Stones, Elvis, John Lee Hooker oder Muddy Waters fesselten ihn. Er wollte sie nicht nur nachspielen, sondern wissen, woher ihre Musik kommt. Und so reiste er in der Musikgeschichte immer weiter zurück, bis er in den 1920er- und 30er- Jahren landete – und einen Schatz entdeckte. «Dieser ganz alte Blues ist der Wegbereiter von so vielem. Es gab in dieser Zeit so viele Musiker, die man heute nicht mehr kennt, die aber enormen Einfluss auf den späteren Rock ’n’ Roll hatten», sagt Sven Müller.
Namen wie Blind Blake, Casey Bill Weldon oder Scotty Moore liessen ihn nicht mehr los und beeinflussten und prägten seine Hörgewohnheiten, sein Songwriting und seine Gitarrentechnik. «Ich will und kann sie nicht covern, sondern versuche, sie auf meine Art zu interpretieren, und lasse sie in meine Musik einfliessen», sagt er. Das geht für ihn weit über die Musik hinaus: «Mich interessiert auch die Geschichte, das gesellschaftspolitische und soziale Umfeld, aber auch was für Instrumente und Equipment sie benutzten», sagt Müller.
Zurück in die Ruhe
Auch in seinem Alltag neben der Musik trägt er Vintage-Kleider. Sein Körper ist tätowiert bis unter den Hals. Er wirkt geerdet, tough, gleichzeitig nachdenklich, melancholisch. Wie viel davon ist echt? Was ist künstlerische Figur? «Alles ist echt, meine Songs handeln von meinem eigenen Leben», sagt er. Und der Fundus an Erfahrungen, Geschichten und Erlebnissen ist nicht gerade klein. «Ich bin schon lange unterwegs und habe ein intensives Rock-’n’-Roll-Leben hinter mir», sagt er. Heute müsse er mit den Energiereserven anders haushalten, das wilde Leben und den Alkohol hat er hinter sich gelassen. Davon zeugt auch sein Umzug von der Stadt Luzern zurück nach Allenwinden, wo er seine Kindheit verbrachte. «Ich vermisse und bereue nichts, es ist gut so, wie es ist», sagt er. Wie viel Mississippi-Groove ist da zu finden? Er lacht und sagt, er schätze das ländliche und ruhige Allenwinden als Ausgleich und Rückzugsort. Er ist immer noch täglich für die Arbeit in Luzern – und viel unterwegs für Konzerte. Mit der Musik bestreitet er im Moment etwa 50 Prozent seines Einkommens, den Rest unterrichtet er als Lehrer Deutsch für Erwachsene. Er probt im legendären Luzerner Sedel und verkehrt auch sonst viel in Luzern, wo auch seine beiden erwachsenen Kinder leben.
Zusammen und allein
Dieses Jahr spielte er rund 50 Konzerte, 14 davon in Deutschland. Bei unserem Gespräch ist er eben zurückgekehrt. «Es ist klar, dass es nicht mehr so wild zu und her geht wie früher», sagt er. The Delta Magpie ist eine One-Man-Show, die wie eine Band klingt: roher intensiver Gesang, dazu treibender Gitarrensound, manchmal Slide-Gitarre oder Mundharmonika – und Rhythmus: Mit seinen Füssen bedient er Tom, Snare und Hi-Hat und ersetzt so fast einen ganzen Drummer.
Auf Tour ist er alleine mit dem Auto und seinem Equipment unterwegs – das hat logistisch viele Vorteile. Lange Zeit war er Teil des Rockabilly-Trios The 69ers und hat in dieser Zeit auch den amerikanischen Rockabilly-Musiker Billy Harlan als Gitarrist auf seiner Europa-Tour begleitet. In der Corona-Zeit fiel das alles weg und er spielte und probte vermehrt allein und fand Gefallen daran. «Nach vielen Jahren als Teil einer Band fühlte es sich gut an, alles selbst zu machen.» Allein auf der Bühne zu stehen, war für ihn eine komplett neue Erfahrung. «Du wirst nicht getragen von Bass und Schlagzeug und bist rhythmisch völlig auf dich gestellt», sagt er. So ist er sehr flexibel unterwegs und kann an verschiedensten Orten spielen. Daneben hat er noch andere Projekte – etwa mit dem Künstler Ron Dideldum, einem Zauberer, Maler und Drehorgel-Spieler. «Das gefällt mir extrem und es passt gut zusammen.» Sein erstes Album «Cold in Hand» erschien 2024, er hat es analog und live eingespielt – so wie er auch live zu erleben ist. Aufgenommen mit Raummikrofonen und auf analoger Bandmaschine im Luzerner Foolpark-Studio von Deezl Imhof – ebenfalls ein gebürtiger Zuger. Sven Müller kennt ihn schon lange, Deezl habe das richtige Equipment für seinen Sound. «Er versteht meine Art Musik und weiss, wie man sie aufnimmt und abmischt. Er ist ein alter Rock’n’Roller, der das Virus der Musik auch in sich trägt», sagt Sven Müller.
Ausgezeichnet
2026 folgt seine zweite LP «The World Keep On Turning», die wieder digital, auf CD und Vinyl herauskommt. Er scheut dafür keinen Aufwand, auch wenn das Geschäft mit Tonträgern verschwindend klein geworden ist. «Im Vordergrund steht die Freude am Gesamtkunstwerk und nicht der kommerzielle Aspekt.» Der befreundete Luzerner Künstler Urs Häberli, der in Genf wohnt, war für die grafische Gestaltung des ersten Albums verantwortlich und hat auch die Innenhülle mit den Illustrationen zu den Texten gezeichnet. Er wird wiederum die grafische Gestaltung des zweiten Albums übernehmen. «Das Künstlerische und Visuelle hat für mich eine ebenso wichtige Bedeutung wie die Musik.» Das Album veröffentlicht er bei Hill Mill Records, dem Label des Luzerners Cello Inferno – seines Zeichens ebenfalls eine One-Man- Show. Der Vertrieb erfolgt über Irascible Music. Ein weiteres Highlight steht 2026 an: The Delta Magpie ist für den Swiss Blues Award nominiert. Er steht auf der Shortlist und Ende Januar werden an einem Anlass in der Mühle Hunziken die Sieger bekanntgegeben. «Die Nomination hat mich sehr gefreut und überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mit meiner Nischenmusik schaffe», sagt er. Die Auswahl wurde von einer Fachjury getroffen, es geht dabei also um Musik und nicht um eine möglichst grosse Mobilisierung von Fans wie bei anderen Awards. Immer wieder ist die One-Man-Show auf Achse – in der Schweiz, in Deutschland, Österreich oder in Frankreich. Und was ist mit dem Geburtsort seiner Musik? Er hat zwar schon den Süden der USA bereist, ist aber noch nie in Amerika aufgetreten. «Nur schon logistisch und wegen der Arbeitsbewilligung wäre das aufwendig», sagt er. Die USA sind im Moment kein realistischer Traum, lieber will er hier «Schritt für Schritt weitermachen». Mit der Nomination für den Swiss Blues Award erhofft er sich, in weiteren Blues-Kreisen Fuss zu fassen. «Ich schaue, wo die Reise hingeht», sagt er bescheiden. «Ich bin sehr zufrieden, wie es läuft, und spüre immer noch die gleich grosse Freude und Leidenschaft für diese Musik.»
Man glaubt ihm sofort, dass das für ihn das Wichtigste überhaupt ist. Dass er diese traditionelle Musik weiterhin lebt und atmet.
Text: Jonas Wydler
