Der Jubilar geriet selten ins Rudern
This & That
Der Ruderclub feiert sein 100-Jahr-Bestehen. Er hat sich neben dem älteren Rivalen am Zugersee behauptet und diesen mitunter bezwungen. In der Gründungszeit deutete noch nicht viel darauf hin.
Cham – Es ist ziemlich unromantisch: Die Motivation einiger Enthusiasten vor 100 Jahren, den Ruderclub Cham (RCC) zu gründen, war offensichtlich pure Langeweile. So steht es jedenfalls in einer unterhaltsamen Medienmitteilung anlässlich der bevorstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten (siehe Box). Zur Verdeutlichung der damaligen Stimmungslage werden darin einige Fakten erwähnt: Im Kanton Zug seien damals 45 Personenwagen eingelöst gewesen, «einen Telefonanschluss hat fast niemand, die Telefonnummern sind noch zweistellig», und es gab weder Fernsehen noch Radio.
Neuzuzüger gab es aber schon 1918. Ein solcher war Ernst Keller-Pessina. Der Kaufmann aus Wädenswil, der dort gerudert hatte, interessierte sich weder für den Turn- noch für den Fussballverein in Cham. Und Zug war damals weit weg. Unter anderen im «Blech»-Wirtesohn Robert Ritter fand Keller einen Mitstreiter für seine Idee, ein Boot zu kaufen. Fündig wurden sie, dank einem Inserat in der «NZZ», in Arbon. Die Zugreise retour – es gab damals nur eine Verbindung, um gleichentags hin- und zurückzukommen – dauerte 12 Stunden. Der Enthusiasmus dieser Anfangszeit verflog rasch: Das Boot stellte sich als Fehlkauf heraus, und 1919 waren nur noch zwei Mitglieder im Verein. 1920 kauften die Chamer ein neues Boot, und mit diesem ging es aufwärts: 1922 gewann der Verein bei seiner ersten Ragattateilnahme auf Anhieb.
Die 100-Jahre-Vereinsgeschichte war Wellenbewegungen unterworfen. Die hervorragend gemachte und erstaunlich detailreiche Jubiläumschronik, die nächste Woche veröffentlicht werden wird, spart negative Kapitel nicht aus: Anfang der 1950er-Jahre gab es mehrere Zerreissproben mit zahlreichen Vorstandswechseln und Mitgliederaustritten. In der Neuzeit sorgten der Brand des Bootshauses 2010 sowie eine umstrittene Trainerfreistellung 2016 für Unstimmigkeiten.
Ein Mann für alle Fälle
Dennoch blickt der Ruderclub Cham überwiegend auf gute Zeiten zurück. Er hat 21 Schweizer Meistertitel (Aktive und Junioren) gesammelt. Die ersten davon sind untrennbar mit einem Namen verbunden: Christoph Bruckbach. Er trat 1955 als 11-Jähriger dem Klub bei und erlebte so den Aufschwung nach den Krisenjahren mit. «Ich wuchs im Quartier an der Seehofstrasse auf. Irgendwann fragte mich jemand, ob ich Steuermann machen will – so begann es», blickt der heute 74-jährige Bruckbach auf seine Anfänge im RCC zurück. Er gehört zu den grossen Figuren des Vereins, war «alles ausser Kassier» und ist Ehrenmitglied. Auf die Frage seit wann, muss Bruckbach zuerst die Zinnkanne in seinem Wohnzimmer konsultieren. Diese stünde ganz oben im Regal, «damit man sie nicht so oft putzen muss», bemerkt der Pensionär mit feinem Humor. «1985» steht darauf.
14 Jahre zuvor war er Trainer des Ruderclubs Cham gewesen, als André Kunz, Guido Gretener, Jörg Baumgartner, Richard Kölliker und die Steuermänner André Betschart respektive Rolf Limacher im Achter respektive im Vierer der Junioren die ersten Meistertitel für Cham errangen. Von den «Zuger Nachrichten» wurden sie zur «Sportmannschaft des Jahres» ausgezeichnet. «Diesen Titel hatte sonst fast immer der EVZ erhalten», steht dazu im Jubiläumsbuch. 1973 feierten Bruckbachs Schützlinge Gretener, Baumgartner, Kurt Schriber und Steuermann Limacher im Achter den ersten Aktiv-Meistertitel.
Die Rivalität mit den Zugern
Dass sie diesen in einer Renngemeinschaft mit Ruderern anderer Herkunft errangen, ist bezeichnend. Der RCC zählt gegenwärtig 170 Aktivmitglieder. Er ist damit im Vergleich zu anderen Vereinen eher klein – nicht zuletzt gegenüber dem See-Club Zug (SCZ), der schon 1882 gegründet wurde und heute rund 300 Aktivmitglieder aufführt. Das Verhältnis der beiden Klubs ist, legt man die Einträge im Jubiläumsbuch zugrunde, am ehesten mit «wechselhaft» zu bezeichnen. Die Zuger gaben den Chamern Starthilfe und halfen ihnen später öfter aus der Patsche. Manchmal belächelten sie den Nachbarn aber auch unverhohlen. «Je nachdem, welcher Präsident am Ruder war, behandelten die Zuger uns wie Provinzlinge», erinnert sich Christoph Bruckbach.
Der aktuelle Zuger Vereinspräsident Christian Steiger findet im Grusswort im Jubiläumsbuch lobende Worte für den Rivalen aus dem Westen. Er vergisst nicht zu erwähnen, dass der Garant für den jüngsten Grosserfolg der Zuger seine Ursprünge in Cham hat: Im vergangenen Jahr wurde der SCZ erstmals als erfolgreichster Ruderclub der Schweiz ausgezeichnet. Dies nicht zuletzt dank dem Klubtrainer Stephan Wiget, der in Cham mit dem Rudern begann und dort 1999 bereits im Alter von 19 Jahren das Traineramt übernahm, bevor er 2006 nach Zug übersiedelte. Unter Wigets Ägide trat auch Erika Bütler in den RCC ein. Sie ist mit 112 Siegen in allen Bootsklassen die erfolgreichste Frau der Vereinsgeschichte. Als schönsten Erfolg bezeichnet sie in der Chronik den Meistertitel 2012 im Zweier mit Ladina Meier. Der Grund? «Wir schlugen das Boot des See-Clubs Zug, das sonst immer gewonnen hatte.» Bütler und Meier, die heute für den RC Thalwil startet, sorgten 2014 im Zweier für den bislang letzten Chamer Meistertitel.
Erfolgsgeschichte Nationale Regatta
Zudem hat Bütler das Layout für den Prospekt der Nationalen Ruderregatta entworfen. Jene ist das Aushängeschild der Chamer und wird dieses Jahr (26. und 27. Mai) zum 44. Mal ausgetragen. Zu Beginn ruderten die Teilnehmer zur Badi Hünenberg, seit 1981 findet sie auf der heutigen Strecke vor dem Hirsgarten statt und zählt bis zu 1000 Bootsstarts.
Einer der geistigen Väter der Regatta ist – was Wunder? – Christoph Bruckbach. Er freut sich auf die bevorstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten und auf die Rückkehr ins Bootshaus, das am selben Ort an der Seehofstrasse steht wie das Vorgänger-Gebäude im Jahr 1955. Mittlerweile wohnt Bruckbach in Unterägeri. Dort sorgte er ab 1991 dafür, dass etwas Chamer Ruder-Know-how auch im Berg zu finden ist: Er half bei Gründung und Aufbau des Ruderclubs Ägeri. (Raphael Biermayr)