Aus der Schatzkammer eines Ur-Ägerers
Brauchtum & Geschichte
In seinem Haus in Unterägeri bewahrt Eugen «Geni» Häusler ein beträchtliches Stück Ägerer Geschichte auf. Ein Dorforiginal berichtet von seinen Dorforiginalen.
Unterägeri – Auf der Suche nach Unterägerer Dorforiginalen landet man ziemlich schnell in Eugen Häuslers Keller. Er hat ihn vor 25 Jahren umbauen lassen, und seither sammeln sich hier Artefakte aus vergangenen Zeiten: Seitenweise alter Kompositionen, die im 19. Jahrhundert in den Ägerer Kirchen gespielt wurden; ein Kontrabass, den Häusler vor seinem Schicksal als Sperrmüll gerettet hat und Fotos von Theateraufführungen, in denen sein Vater aufgetreten ist. Überall liegen Bilder, Bücher und Dokumente aus den Nachlässen verstorbener Ägerer, die Eugen Häusler – gerne Geni genannt – in Ordnern und Sichtmappen aufbewahrt.
Nicht nur der Keller, das gesamte Haus von Geni Häusler ist voll mit Zeug. Es steht nahe des Zentrums Unterägeris, eingebettet zwischen Marienkirche, Pfarrkirche und den Schulgebäuden, alles Institutionen, die dem 75-Jährigen bis heute wichtig sind.
Etwa 500 Jahre ist das Haus alt, originale Mauern, originale Holzbalken, darauf ist Geni Häusler stolz. Hier drin hat schon Bernhard Fliegauf gewohnt, ein Unterägerer Pfarrer, der massgeblich zur Trennung der alten Talpfarrei beitrug und dafür sorgte, dass Unterägeri 1714 unabhängig von Oberägeri eine eigene Pfarreigemeinde gründen konnte. Neben der Tür in Häuslers Keller hängt sein Porträt an der Wand.
Alles, was mit Unterägerer Musik zu tun hat
Geni Häusler, talentierter Musiker und einst Reallehrer, sammelt vor allem Informationen über die musikalische Vergangenheit Unterägeris. Ihn interessiert alles, was irgendwie mit Kirche, Chor und Orchester zu tun hat. Zusammengezählt singt Häusler seit über 60 Jahren in den Kirchenchören Oberägeri und Unterägeri, bis zu seiner Pension war er 14 Jahre lang Orchesterpräsident in Unterägeri. Irgendwann hat er angefangen, die Infos über seine Vorgänger zusammenzustellen.
Die Leute wissen das mittlerweile. Immer wieder kommen sie auf ihn zu, halten ihm ein altes Liederheft, ein Instrument oder ein Gedichtebuch unter die Nase, sagen «schau mal, Geni, willst du das?», und er sagt immer «ja, das darfst du auf keinen Fall wegschmeissen». So haben sich das Haus in Unterägeri und der umgebaute Keller über die Jahre hinweg gefüllt. Geni Häusler bewahrt scheinbar zusammenhangslose Informationsstücke auf, spinnt sie zu einer Geschichte, verbindet sie mit Persönlichkeiten im Dorf.
Auf dem Tisch in der Mitte des Kellers hat er die Porträts von acht Männern ausgebreitet. Bei jedem Bild liegt ein Stapel Notizblätter, Gesangshefte, Partituren, bei einigen liegen Originalfotos dabei, Heimatscheine, Briefe, Nekrologe. Geni Häusler kennt keine Art, stringent von früher zu erzählen. Wenn er eine Geschichte anfängt, schweift er auf Nebenschauplätze ab, weil ihn die eigenen Sätze immer auf neue Ideen bringen, «ah, das ist auch noch spannend!», und «warte, da muss ich etwas ausholen». Zwischendurch spielt er etwas Spanisches auf der Gitarre. Bis er das draufhatte? 15 Jahre hat’s gedauert.
Das sind Geni Häuslers Dorforiginale
Geni Häusler erzählt von Thomas «Schnauzli» Nussbaumer, von Kari und Josef Iten, von Albert Zumbach, Albert Grätzer, Josef und Hans Schmucki und Max Müller. Das sind seine Dorforiginale. Männer, die vieles gleichzeitig waren: Primar-, Musik- und Turnlehrer, Sänger, Poeten, Organisten, Komponisten. Sie waren Vorbilder und – wie Geni Häusler sagt – Genies. Als Lehrer und Musiker mit hohem Ansehen im Bauerndorf Unterägeri prägten sie Generationen von Ägerern und formten das Gesellschaftsleben mit.
«Das wäre mein Dirigent gewesen, wenn ich hundert Jahre früher gelebt hätte», sagt Häusler und deutet auf das Bild eines Mannes mit weissem Schnauz. Thomas Nussbaumer (1846–1925) hat unter anderem das Liederbuch «Ägeriblumen» verfasst, aus dem noch lange nach seinem Tod gesungen wurde.
Albert Zumbach (1884–1962) war erst 25 Jahre alt, als er das Hotel und Restaurant Seefeld übernahm. Er leitete es bis zu seinem Tod. Bekannt als grosszügiger Mäzen, ermöglichte er Theateraufführungen und Konzerte in seinen Sälen. Es waren Theater, in denen auch Genis Vater mitspielte. Stolz zeigt er die Fotos von damals. Zumbach war selber Musiker, schrieb Partituren grosser Chor- und Orchesterwerke und war zwei Amtsperioden lang Gemeindepräsident Unterägeris.
Dann Albert Grätzer (1892–1957), der als Dirigent und Organist auf Karl Iten folgte. Grossartiger Mann, sagt Geni Häusler. In der Primarschule sang er mit seinen Schülerinnen und Schülern mehrstimmige Lieder. Mit Grätzer arbeitete der Organist und Sek-Lehrer Josef Schmucki (1880–1931). Er starb im Alter von 51 Jahren an einer Gallenblasenentzündung und hinterliess ein erschüttertes Dorf. «Wem musste es nicht ins Herzen schneiden, diesen prächtigen Mann, edlen Menschen und vorbildlichen Lehrer nicht mehr unter den Lebenden zu wissen?», steht in seinem Nekrolog geschrieben. Das seien nicht bloss aufgeblasene Worte, sagt Geni Häusler. Das wisse er auch von seinen Eltern.
Was passiert mit all den Sachen?
Bei Josef Schmuckis Sohn Hans (1910–1995) ging er selber zur Schule. Hans Schmucki war ein engagierter Lehrer, der seine Schüler vor allem mit seinen lebendigen Schilderungen der Schweizer Geschichte begeisterte. Nach Kriegsende übernahm Schmucki die Leitung der Theatergesellschaft Seefeld und des Kinderchors und dirigierte den Männerchor.
Die lebhaftesten Erinnerungen hat Geni Häusler aber an Max Müller (1911–2002), einen Lehrer, der den Männerchor, den Kirchenchor, das Orchester und die Feldmusik dirigierte. «Da hat man keinen Unterschied gehört zwischen ihm und dem angesehenen Luzerner Stadtdirigenten.» Als Häusler nach mehreren Stunden fertig ist mit Erzählen, liegen die Texte, Bilder und Hefte quer über den Tisch verteilt.
Er steht auf, schiebt den Vorhang an der Wand zur Seite. Dahinter kommen Regale zum Vorschein, darin säuberlich eingereiht zahllose weitere Dokumente, Bücher, Partituren. Von finanziellem Wert ist kaum etwas. Was passiert mit all den Sachen, die er hier bei sich Zuhause aufbewahrt? Geni Häusler seufzt, dann lächelt er ein wenig. Das können alles mal seine Söhne haben, und dann damit machen, was sie wollen. «Ihnen tut es nicht weh, das alles wegzuschmeissen», sagt Häusler. «Aber mir. Mir schon.» (Text von Linda Leuenberger)
Hinweis
In loser Folge beschäftigen wir uns mit Dorforiginalen in den Zuger Gemeinden.