Anwohner regen sich über Lärm auf

Brauchtum & Geschichte

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Chlausjagen ist ein uralter Brauch im Dorf. Dieses Jahr erhielten die Trychler aber Besuch von der Polizei - weil zwei Einwohner sich am Glockengeläute störten. Für die Chlausjäger ist das unverständlich.

  • Jeweils im Dezember zieht der Samichlaus mit seinem Gefolge und den Trychlern - wie hier in Oberägeri - durchs Dorf. (Archivbild Stefan Kaiser)
    Jeweils im Dezember zieht der Samichlaus mit seinem Gefolge und den Trychlern - wie hier in Oberägeri - durchs Dorf. (Archivbild Stefan Kaiser)

Walchwil – Seit Patrick Hürlimann sich erinnern kann, schlüpft er jedes Jahr am 5. Dezember in seine Trychler-Kleidung und macht sich am späten Nachmittag mit einer Gruppe Gleichgesinnter auf zum Walchwiler Chlausjagen. Etwa zehn grössere Gruppen und zahlreiche kleinere trychlen jeweils mit schweren Glocken durchs Dorf. Die älteren und kräftigen unter den Chlausjägern sind bis am nächsten Nachmittag unterwegs, läuten sich durch die Nacht und ziehen mit ihren Glocken bis auf den Walchwilerberg, wobei sie bei Bauernhöfen und Privatpersonen Halt machen und einkehren. Der alte Walchwiler Brauch lockt jeweils rund 300 Leute aus den Häusern, sei es zum Trychlen selber, zum Geisslechlöpfe oder einfach zum Zuschauen (siehe Box).

Vor zehn Tagen war es wieder Zeit für das Chlausjagen im 3700-Seelen-Dorf. Ein Vorfall trübte allerdings den diesjährigen Anlass. Als nämlich die Trychler-Gruppe, mit der auch Patrick Hürlimann unterwegs war, nach Mitternacht am Alterswohnheim Mütschi im Dorfzentrum vorbeikam, wurde sie von der Polizei erwartet. Zwei Anwohner hatten wegen des Lärms die Ordnungshüter gerufen. «Wir waren auf dem Weg Richtung Berg», sagt Patrick Hürlimann. «Die Polizisten baten uns, ruhig zu sein.» Die Trychler seien weitergezogen, und die Polizisten seien dann wieder gegangen. «Offenbar merkten sie, dass sie nichts machen können», sagt Patrick Hürlimann.

Zwei Polizeieinsätze

Dem 33-jährigen Walchwiler sind keine Vorfälle aus der Vergangenheit bekannt, in denen sich jemand beschwert hat. «Wir hatten noch nie Probleme», sagt Hürlimann. Er könne sich nicht vorstellen, wer die Polizei gerufen habe. «Das waren sicher Leute, die unseren Brauch nicht kennen», erklärt er sich die Aufregung. Unverständlich ist für Hürlimann, dass die Leute gleich die Polizei alarmierten, anstatt das Gespräch mit den Trychlern zu suchen: «Ich denke, dass solchen Leuten das Interesse am Geschehen im Dorf fehlt.»

Den Vorfall in Walchwil bestätigt man auch bei der Zuger Polizei. «In der Nacht auf den 6. Dezember meldeten sich bei uns zwei Personen, die sich ab dem Lärm gestört fühlten», sagt Marcel Schlatter, Mediensprecher der Zuger Strafverfolgungsbehörden. Die Polizei sei deshalb zweimal nach Walchwil ausgerückt. Beim ersten Einsatz sei draussen alles ruhig gewesen, und man habe sich in einer Beiz mit den anwesenden Trychlern ausgetauscht. Nach der zweiten Meldung sei die Polizei auf rund 150 Personen getroffen. «Die Patrouille ermahnte die Anwesenden, auf Schlaf suchende Anwohner Rücksicht zu nehmen, musste dann jedoch wieder abziehen», so Schlatter. Bussen seien keine ausgestellt worden, Anzeigen gingen ebenfalls keine ein. «Wir werden in den kommenden Tagen noch Abklärungen tätigen und mit den Beteiligten das Gespräch suchen», sagt der Mediensprecher. Es sei wichtig, lokale Bräuche zu pflegen, doch Anwohner sollten dabei nicht übermässig gestört werden. Gegenseitige Rücksichtnahme sei wichtig.

Der Fall weckt Erinnerungen an die Debatte über das Geisslechlöpfe in Unterägeri vor drei Jahren. Damals hatte eine aus dem Bündnerland zugezogene reformierte Pfarrerin in einem Brief gefordert, die Zeiten und Orte, an denen das Geisslechlöpfe geübt werden darf, einzuschränken. Ein Mann mit einer Flüchtlingsaufenthaltsbewilligung hatte gar Kinder bedroht, die vor Schulbeginn mit den Geisslen chlöpften. Auch in Oberägeri fühlten sich im Jahr 2011 Neuzuzüger durch eine historische Glocke gestört. Anders ist dies bei der Geschichte aus Walchwil. Hier waren es Schweizer, die sich über den Lärm aufregten: «Die Leute, die uns anriefen, waren keine Expats», betont Schlatter.

Es gibt keine Vorschriften

Selber mit den Trychlern unterwegs durch Walchwil sind jeweils auch Gemeinderatsmitglieder, unter anderen Peter Roth. Auch er hat mitbekommen, dass Anwohner die Polizei gerufen haben. «Das ist natürlich ärgerlich», sagt er. Grundsätzlich, so Roth, sei es nicht schlecht, wenn die Polizei während des Anlasses präsent sei. Dass sich aber jemand am Lärm stört, kann der Bildungs- und Kulturvorsteher nicht verstehen: «Das ist eine uralte Tradition im Dorf, die einmal im Jahr stattfindet und gepflegt werden soll», so Roth. Er habe zuvor noch nie negative Rückmeldungen bekommen.

Aus diesen Gründen gibt es laut dem Gemeinderat auch keine Vorschriften von Seiten der Politik. «Ich wehre mich gegen jegliche Reglementierung des Chlausjagens», sagt er. «Eine solche würde diese langjährige Walchwiler Tradition beschneiden.» Doch müsste die Gemeinde die Leute besser informieren? Entsteht der Ärger aufgrund von Unkenntnis? «Ich sehe diesbezüglich keinen Handlungsbedarf», sagt Peter Roth. Am zweijährlich stattfindenden Neuzuzüger-Apéro informiere man über die Brauchtümer im Dorf. «Das reicht meines Erachtens aus.» (Rahel Hug)

 

Heidnischer Brauch

TRADITION RAH. Das Chlausjagen ist ursprünglich ein heidnischer Brauch, der seine Wurzeln im Mittelalter hat und zum Ziel hatte, die Wintergeister zu vertreiben. Später kam auch die christliche Komponente hinzu. Wie Otto Hürlimann im Buch «Walchwil im 20. Jahrhundert» schreibt, geht die Tradition auf den Bischof St. Nikolaus von Myra zurück, der auf seinen Rundgängen von Eseln und Treicheln begleitet wurde. In den Siebziger- und zu Beginn der Achtzigerjahre sei der Brauch vom Aussterben bedroht gewesen. Heute hat das Chlausjagen aber wieder einen festen Platz im Walchwiler Kalender. «Das ist zu einem Grossteil unseren Jungen zu verdanken, die das Schöne und Gesellige an diesem ‹Vorchlausabig› wieder neu entdeckt haben», schreibt Hürlimann.