«Unbändige Beharrlichkeit»

Dies & Das, Literatur & Gesellschaft

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Nach 26 Jahren sagt er Adieu: Christoph Balmer, Mitbegründer und Präsident der IG Kultur Zug, hat sein Amt weitergegeben. Er weiss, was es braucht, um in der Kulturlandschaft etwas zu bewegen.

  • Christoph Balmer in seinem Garten. (Bilder: Philippe Hubler)
    Christoph Balmer in seinem Garten. (Bilder: Philippe Hubler)
  • Balmer schaut zurück auf 26 Jahre Kulturarbeit.
    Balmer schaut zurück auf 26 Jahre Kulturarbeit.
Kanton Zug - Ort nach Vereinbarung – Dieser Text ist in der August-Ausgabe (#71) des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Fast drei Jahrzehnte lang hat Christoph Balmer als Mitinitiant und später Präsident der IG Kultur Zug Netzwerke geknüpft, Fäden gesponnen und dafür gesorgt, dass die Kultur in Zug sichtbarer und zugänglicher wurde. Genug, befand Balmer letzten Winter. Vor einem Monat hat Balmer das Zepter Barbara Gysel überreicht.
Wir wollen einen Blick zurück werfen und treffen Christoph Balmer darum zum Kaffee. Kaum ist dieser bestellt, beginnt er zu erzählen: «Schon mehrmals hatte ich geplant, als Präsident zurückzutreten. Doch dann kam immer ein grosses Projekt dazwischen», sagt Balmer über seine Zeit bei der IG Kultur Zug. So etwa die Spinni-Halle Anfang der 2000er- Jahre, wenige Jahre darauf das Projekt Chollerhalle oder aber 2013, als die IG mit Zug Kultur ein webbasiertes Kulturportal ins Leben rief. Letzteres ist ein Unterfangen, das Christoph Balmer besonders am Herzen liege.
Schon 1999 habe er erste Internetlösungen evaluiert. Zuerst war allerdings Papier angesagt. «Als ich mich Anfang der 90er-Jahre für die Zuger Kultur zu engagieren begann, war das unser primäres Ziel: eine Möglichkeit zu entwickeln, um kulturelle Anlässe besser zu koordinieren und den Informationsaustausch unter Veranstaltern zu verbessern.» Daraus entstand der Kulturkalender des Kantons Zug.
Ein Blick in die damalige Chronik verrät: Schon zu Beginn, noch bevor die IG Kultur Zug 1995 gegründet wurde, brauchte es beim Engagement für die Kultur in Zug vor allem eines: «Eine unbändige Beharrlichkeit», wie es Balmer formuliert. Nicht nur, weil sich die Initianten quasi wöchentlich zu Gesprächen mit verschiedenen Gremien und Interessengruppen trafen. Es galt, sich mit der Idee eines Kulturkalenders gegenüber der Politik zu behaupten.

Zuerst kommt die Skepsis
«Als wir das geplante Projekt ‹Kulturkalender› dem damaligen Regierungsrat Walter Suter präsentierten, reagierte dieser skeptisch», erinnert sich der ehemalige Präsident. «Dieser wollte eine breite Streuung und forderte uns auf, zuerst abzuklären, ob wir die Publikation der ‹Zuger Zeitung› und den ‹Zuger Nachrichten› beilegen können.»
Man hatte Glück, die Medien stimmten der Beilage zu, womit der Kulturkalender mit einer Auflage von 30 00 Stück beginnen konnte. Heute liegt sie noch halb so hoch. «Die Regierung setzte uns einen Schuss vor den Bug, der letztlich sehr positiv war. Es blieb nicht das letzte Mal, dass sich eine bessere Lösung ergab, indem unsere Pläne durch die Behörden hinterfragt wurden.»
Um die Jahrtausendwende kristallisierte sich bei den Zugern das Bedürfnis nach einem alternativen Kulturhaus heraus. Mit der Spinni-Halle, die wenig später als passenden Ort gefunden wurde und unter der Trägerschaft der IG Kultur Zug stand, begann für Balmer ein wildes Kapitel.

Super-GAU für die Spinni-Halle
Zwar lief zunächst alles glimpflich. Die nötigen finanziellen Mittel konnten dank öffentlichen Mitteln, Mäzenen und Stiftungen gefunden werden, die Zustimmung von Seiten der Bevölkerung und der Politik war gross. Klingt verdächtig unkompliziert. «Wenige Monate nach der Eröffnung der Spinni-Halle erhielten wir die Mieterkündigung», sagt Christoph Balmer. Heute kann er darüber schmunzeln. Für die IG war dies jedoch der Super-GAU. «Vor allem, weil es aus unserer Perspektive keinen Grund gab. Doch Adrian Gasser, der Besitzer der Lorze AG und Vermieter der Halle, hatte mit den Behörden einen schwelenden Konflikt um die Personalfürsorgestiftung der Lorze AG.» Zweiter Grund für Gassers Missmut: das Buch «Zug erkunden», welches vom Regierungsrat und allen 11 Gemeinden herausgegeben wurde. Das Kapitel über die Schliessung der Spinnerei Baar verärgerte Gasser dermassen, dass er sowohl gegen die Gemeinden, den Regierungsrat sowie den Verleger des Buches gerichtlich vorging.
Der Verleger: niemand anderes als Christoph Balmer selber. Während dieser versuchte, Gasser dazu zu bewegen, die Kündigung aufzuheben, sprachen gleichzeitig der Regierungsrat und der Grosse Gemeinderat Zug jährlich wiederkehrende Beiträge im fünf- und sechsstelligen Bereich für die Spinni-Halle. Erst später wurde die Kündigung publik.

Glück im Choller
Doch man hatte Glück. Wenig später entdeckte Vorstandsmitglied Peter David Weber im Choller eine Landzelle, die sich als Standort für die Spinnihalle-Nachfolge eignete. Die Korporation als Besitzerin war offen für die Idee. Doch die Finanzierung musste die IG Kultur Zug selbst aufbringen. Innert drei Monaten hatten Weber und Balmer 1,7 Millionen Franken gesammelt. «Alle fanden es skandalös, dass die Spinni-Halle zu geht. Wir nutzten die Gunst der Stunde», sagt der 68-Jährige.
Seit November 2005 steht die Chollerhalle nun, die ersten Jahre noch unter der Trägerschaft der IG Kultur Zug. 2012 entstand ein eigener Verein. Wenn Balmer heute an die Chollerhalle denkt, tut er das mit gemischten Gefühlen. «Vom Grundkonzept eines alternativen Kulturhauses, wie es die Spinni-Halle zweifellos war, ist wenig hängen geblieben. Das bedaure ich.» Ursprünglich sei die Idee gewesen, dass sowohl experimentelle als auch kommerzielle Veranstaltungen durchgeführt werden, welche sich querfinanzieren sollten. «Nun finden vorwiegend kommerzielle Events statt, welche austauschbar sind», gibt Balmer zu bedenken. Er überlegt und sagt: «Vermutlich lässt einem die heutige Zeit jedoch fast keine andere Wahl.»
Dass es nicht einfach ist, mit dem Betrieb der Chollerhalle schwarze Zahlen zu schreiben, bekam der damalige Präsident der IG Kultur Zug deutlich zu spüren. «Mehrmals mussten die ­öffentliche Hand und Stiftungen den Rettungsanker auswerfen, um die Finanzen wieder ins Lot zu bringen.»

Zuletzt: Kulturvermittlung
26 Jahre: Jahre, in denen es für Balmer einige Erfolge zu verbuchen gibt. Als Letztes in Sachen Kulturvermittlung, welche die IG Kultur Zug im Frühjahr 2017 in Angriff nahm. «Von verschiedenen Stellen wurde das Bedürfnis an uns herangetragen, dass kulturelle Angebote für Schulen koordiniert werden.» Der Regierungsrat verweigerte sich der Idee vor einigen Jahren, weil sie ihm zu teuer war. Die IG Kultur Zug sprang in die Bresche, integrierte ein neues Angebot auf der Plattform Zug Kultur und schuf eine entsprechende Fachstelle.

Offenheit und Gärtlidenken
Wie hat sich der Kulturplatz Zug in den letzten 26 Jahren verändert? Balmer denkt kurz nach. «Zug wandelte sich von sehr provinziell hin zu sehr weltoffen. Man spürt die Internationalität des Raums Zug im kulturellen Angebot, etwa im Theater Casino und den anderen Kulturhäusern, beim Kunsthaus und in Museen, die viel moderner geworden sind.» Er sagt weiter: «Trotzdem ist hier und dort noch immer ein Gärtlidenken spürbar.» Wie meint er das? «Sobald im Kanton eine gemeindeübergreifende Sache geplant ist, harzt es. Man ist häufig nicht bereit, Geld an ein Projekt in einer anderen Gemeinde oder kantonsübergreifend zu zahlen. Auch besuchen die Einwohner Kulturanlässe eher in der eigenen Gemeinde und tun sich schwer daran, Kultur in anderen Gemeinden zu erleben.»
Neben seinem Amt als Präsident der IG Kultur hat Christoph Balmer auch das Präsidialamt beim Stadtorchester nach 25 Jahren weitergegeben. Fertig Kultur? Nicht doch. «Ich spiele weiterhin Cello im Orchester, bin als Mitbegründer des Vereins Zuger Übersetzer noch Vorstands- und Jurymitglied, engagiere mich in den beiden Buchhandlungen in Zug und Steinhausen unter anderem als Gastgeber von Autorenanlässen.» Ausserdem ist Balmer beruflich beim Forum Kirche und Wirtschaft der Katholischen Kirche Zug tätig. Netzwerke knüpfen und Ideen zugänglich machen, das wird er auch in Zukunft tun.

(Text: Valeria Wieser)


In eigener Sache: Barbara Gysel neu Präsidentin

Mit Barbara Gysel übernimmt eine engagierte Politikerin das Präsidium der IG Kultur Zug. Sie ist ausgebildete Kulturmanagerin und bringt viel berufliche und ehrenamtliche Erfahrung mit, die für die IG Kultur Zug sehr wertvoll ist. Sie ist zudem in Zug bestens vernetzt und betreibt als Kantonsrätin, Mitglied des Grossen Gemeinderats der Stadt Zug sowie verschiedener Kommissionen Politik für den Kanton Zug, etwa als Mitglied der kantonalen Kulturkommission. Zudem hat sie sich mit grossem Engagement in verschiedenen Zuger und Schweizer Vereinen und Organisationen eingebracht und bringt viel Erfahrung in der Führung von Organisationen mit. Sie ist schon seit 2019 Mitglied des Vorstands der IG Kultur Zug. Der Vorstand der IG Kultur Zug freut sich sehr auf die Zusammenarbeit mit ihr in der neuen Rolle als Präsidentin.