Die Krise als Chance

Kunst & Baukultur

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In ihrer Bilderserie drückt die Künstlerin Andrea Roder aus Unterägeri ihre spontanen Gefühle nach der Bekanntgabe von Coronamassnahmen aus. Kunst schafft in ihren Augen eine wichtige Balance und mehr.

  • Andrea Roder mit ihren Arbeiten anlässlich der Pandemie. (Bild Stefan Kaiser)
    Andrea Roder mit ihren Arbeiten anlässlich der Pandemie. (Bild Stefan Kaiser)

Unterägeri – Pipi Langstrumpf ist die zentrale Figur von Andrea Roders neunteiliger Corona-Bilderserie. «Astrid Lindgrens eigenwillige Mädchenfigur steht für Lebendigkeit, Freude, Spontanität, Lust am Leben, aber auch für Provokation», erklärt die 46-jährige Künstlerin aus Unterägeri. «Als der Bundesrat seine verschiedenen Massnahmenpakete bekanntgegeben hatte, musste ich meine Gefühle und Gedanken sofort in Bildern ausdrücken.» Sie habe sich gefragt, was das selbstbestimmte, starke Mädchen mit den abstehenden roten Zöpfen bei all den neuen Vorschriften machen oder empfinden würde.

Die Bilderserie zeigt Pipi Langstrumpf mit verzweifelt vors Gesicht geschlagenen Händen, mit ungläubigem, wütendem, resigniertem Ausdruck. Humorvoll spöttisch zeigt das Lausemädel eigene Varianten, die Maske zu tragen, indem sie etwa kurzerhand auf Mundhöhe ein Loch hineinschneidet und ihr damit jeden Sinn und Zweck raubt. Ein andermal streckt sie dem Betrachter frech die Zunge heraus bei unter dem Kinn festgeklemmter Maske oder lässt diese lässig am Ohr oder Finger baumeln. Ein Bild ist besonders provokativ – Pipi zeigt dem Betrachter den Stinkefinger – und eines etwas beängstigend – der Rotschopf wird mit dunklen, toten Höhlen an Stelle der Augen gemalt.

Viele Wahrheiten existieren nebeneinander

Andrea Roder will ihre Bilder nicht für den Betrachter interpretieren. Sie stellt klar: «Jeder darf in meiner Kunst erkennen, was er will. Meine Bilder sind nicht fix, man nimmt sich daraus, was man sieht und vielleicht schon selber in sich trägt.» Sie führt aus: «Wenn sich jemand über den Stinkefinger aufregt, ist er mitten in diesem Gefühl drin und kann nicht anders. Es existieren viele Wahrheiten nebeneinander, für jeden seine eigene.» In der Kunst seien die Möglichkeiten grenzenlos sowohl für den Schöpfer als auch den Betrachter. «Und gerade in der Coronakrise, in der die Menschen gefährdet und verletzlich sind, ist die Kunst eine sehr wichtige Ausdrucksform.»

Die Pipi-Bilder seien denn auch sehr schnell und als unmittelbare Ausdrucksform ihrer eigenen Gefühle entstanden. «Jedes der neun Bilder malte ich innerhalb einer Stunde», erzählt die Künstlerin. Dies, obschon sie sonst 60 bis 70 Stunden für ein Bild aufwende. «Die Gefühle mussten einfach raus», betont die dreifache Mutter. Sonst sei ihre Kunst tiefgründiger, aber «das Leben hat sich ja auch grundlegend verändert». Sie sieht Kunst als Ventil, als Möglichkeit der Verarbeitung von Krisen, was schliesslich zur Ausgeglichenheit zurückführen könne.

Einen Nebenjob, bei dem sie dauerhaft eine Maske hätte tragen müssen, gab die Künstlerin auf. Kurse, die sie gewöhnlich anbietet, finden nicht statt. Trotzdem fühlt sich Andrea Roder durch die Pandemie nicht sehr eingeschränkt. «Ich leide auch nicht darunter. Ich male, das geht immer», sagt sie schlicht. Vermehrt nimmt sie die veränderten äusseren Umstände auch als Chance wahr. «Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf.» Heute bemalt sie Gitarren und Trommeln und verkauft die Instrumente weiter. Roder nimmt sich auch die Zeit dafür, ihr Leben zu überdenken und sich neu zu erfinden.

Natürlich habe jeder eine andere Lebensform, die andere Konsequenzen mit sich bringe, räumt sie ein. Aber statt sich darüber zu grämen, was man alles nicht mehr machen könne, solle man sich lieber fragen, welche neuen Möglichkeiten einem offen stünden: «Ich schätze mich glücklich, dass ich noch so viele Möglichkeiten habe.»

Sie sehe sich nicht einem Kampf ausgesetzt. «Stattdessen fühle ich mich wie ein Baum im Sturm.» Ein Baum mit gefestigten Wurzeln, dem der Sturm nichts anhaben könne.

Das Urvertrauen zurückgewinnen

Sie glaube an ihre Arbeit, daran, dass sie etwas empfange und es durch die Kunst weitergeben könne. «So sehe ich meine Arbeit, als etwas Heilendes. Auch Tanz, Gesang und Musik werden in dieser Zeit besonders wichtig. Die Welt braucht wieder Magie, die Seite, die sich abhebt vom Leistungsorientierten.»

Andrea Roder hofft, dass die Menschen nicht einfach zum Normalzustand von vor der Krise zurückkehren werden. Sie wünscht sich und glaubt fest daran, dass ein Umdenken stattfinden wird. «Ich glaube, dass alles, was passiert, schon gut ist und Sinn macht, auch wenn es im Moment nicht so aussieht.» Die Menschen müssten die Angst überwinden, ihr Urvertrauen zurückgewinnen und an ihre Stärken und Fähigkeiten glauben. Genau so wie die selbstbewusste Pipi Langstrumpf. (Cornelia Bisch)