Edle Stoffe und viel Handarbeit
Brauchtum & Geschichte
Andrea Balmer aus Hünenberg schneidert seit 15 Jahren Zuger und Luzerner Trachten. Sie trägt viel dazu bei, dass die überlieferten Traditionen bewahrt bleiben.
Hünenberg – In einer wunderschön ausgebauten ehemaligen Scheune in Hünenberg Dorf sind Heim und Atelier der Trachtenschneiderin Andrea Balmer und ihrer Angestellten untergebracht. Das Atelier, das sie vor 4 Jahren von ihrer Mutter übernommen hat, ist hell und freundlich eingerichtet mit je separatem Kunden- und Arbeitsbereich.
Eine Schneiderpuppe trägt eine Zuger Tracht, verschiedene Blusen mit den typischen, gebauschten Ärmeln der Zuger Trachten hängen an Bügeln und warten auf die Abholung durch ihre Besitzerinnen.
Andrea Balmer und ihre beiden Mitarbeiterinnen Judith Huwyler und Natascha Mürset lassen die Nähmaschinen rattern und führen feinste Näharbeiten an weissen, gestärkten Krägen von Hand aus. Momentan – kurz vor dem Eidgenössischen Jodlerfest Zug – arbeiten sie zehn bis zwölf Stunden täglich, oft auch an den Wochenenden. «Wir führen vor allem Änderungen aus», erzählt Balmer. Denn Trachten seien Kleider fürs Leben. «Man arbeitet von Anfang an Reserven ein, die bei Bedarf für Erweiterungen genutzt werden können.»
Arbeits-, Ausgangs- und Festtagstrachten
Die Trachtenschneiderei macht zwischen einem Drittel und einem Viertel des Auftragsvolumens des Kleinunternehmens aus, das neben der Geschäftsführerin vier Teilzeitangestellte und bald vielleicht auch wieder eine Lernende beschäftigt. Daneben werden Kleider aller Art entworfen und massgefertigt. «Bei der Trachtenschneiderei ist vieles noch immer Handarbeit», erklärt die gelernte Damenschneiderin mit Eidgenössischem Fachausweis und Zusatzabschluss in Zuger und Luzerner Trachtenschneiderei.
Bei den Zuger Trachten unterscheide man zwischen Arbeits-, Ausgangs-, Sonntags- und Festtagstracht. Eine fünfte Version, die Patriziertracht speziell für Stadtzugerinnen, habe sie selbst noch nie hergestellt. «Sie ist sehr repräsentativ, besteht fast ausschliesslich aus Seidenstoffen und weist reichhaltige Stickereien auf.»
Goldbrokat, Seidendamast und schlichtes Leinen
Aber auch die Festtagstracht besteht aus edlen Stoffen wie Goldbrokat, Samt, Seidendamast und Kaschmir. Einfachere Trachten sind aus Wollstoffen oder einem Wolle-Leinen-Gemisch geschneidert. «Es sind auf jeden Fall alles Naturfasern. Teilweise werden sie im Bündner Dorf Poschiavo handgewoben», führt die 42-Jährige aus.
Zu erkennen sind einige der örtlichen Modelle am Zuger Streifen auf Hüfthöhe. «In Luzern hat jede Gemeinde einen eigenen Streifen, in Zug macht nur Walchwil mit einer gesonderten Version eine Ausnahme, sonst sind die Trachten überall gleich gestaltet.» Für die Herren gibt’s nicht gar so viele Varianten. «Die meist verbreitete ist die Burschentracht. Selten sieht man auch den Sonntags- und den Festtagsherrn», zählt Andrea Balmer auf. Kinder kleiden sich in eine schlichte Mädchen- beziehungsweise Bubentracht.
Hüte, Strümpfe und Geschmeide
Ja einfacher die Ausführung, desto leichter die Pflege. «Die Trachtenblusen kann man bei 60 Grad in der Maschine waschen», verrät Balmer. Das komplizierte Stärken und Aufplustern der Ärmel steht dann jedoch wieder auf einem anderen Blatt. «Das braucht schon etwas Geschick, und man darf die Ärmel anschliessend kaum berühren, sonst fallen sie wieder in sich zusammen.» Die übrigen Stoffe müssten bei speziellen Reinigungsunternehmen chemisch gereinigt werden.
Aufwendige Perlenstickereien, filigraner Silberschmuck, edle Strickhandschuhe und Strümpfe mit Lochmustern sowie komplizierte Hauben lässt die Schneiderin von spezialisierten Kunsthandwerkerinnen und -handwerkern in Ateliers, Werkstätten und Klöstern anfertigen.
Der Schmuck stammt aus Goldschmieden oder wird gebraucht zugekauft. Die handgearbeiteten Krägen, bei denen eine spezielle «Röhrlischere» zum Einsatz kommt, stellen sie und ihre Fachfrauen selbst her.
«Je nach Ausstattung kann eine Tracht zwischen 3000 und 12000 Franken kosten», sagt die dreifache Mutter. Und das auch nur, wenn man eine Stickerin finde, welche diese Handarbeiten als Hobby pflege und entsprechend gering verrechne. «Allein in diese Stickarbeiten investiert man unzählige Stunden.» Fürs Schneidern einer Tracht berechnet Andrea Balmer 40 bis 60 Arbeitsstunden. Für sie gehört ein solcher Auftrag zu den Königsdisziplinen, über die sie sich besonders freut. Sie berät die Kundin intensiv, nimmt ihr die Masse ab und erstellt dann ein Schnittmuster. Während der Näharbeit bestellt sie die Auftraggeberin zweimal zur Anprobe ein.
Viel Freiwilligenarbeit gehört dazu
Damit die traditionellen Zuger Gewänder genau nach Vorschrift und detailgetreu nachgebildet werden können, führt die Zuger Trachtenkommission, deren Vorsitz Andrea Balmer innehat, ein Nachschlagewerk zu jeder einzelnen Tracht und verwaltet ein Adressverzeichnis der Zulieferer-Werkstätten. Sie verrät ein lustiges Detail: «Damit ja kein Stückchen Bein zu sehen ist, tragen Trachtentänzerinnen Strick-Strumpfhosen, während sich Jodlerinnen mit Kniesocken begnügen dürfen.» Andrea Balmer und ihre vier Kommissionskolleginnen verbringen viele Stunden Freiwilligenarbeit damit, die Trachtenschneiderei für nachfolgende Generationen zu dokumentieren, die Originalmaterialien zu beschaffen und neue Zulieferer zu suchen, sobald einer der Hersteller sein Handwerk aufgibt.
Darüber hinaus bildet die Hünenberger Geschäftsfrau eine zweite Zuger Trachtenschneiderin aus, amtet als Prüfungsexpertin und Leiterin überbetrieblicher Kurse für die lernenden Bekleidungsgestaltenden und ist Mitglied einer Arbeitsgruppe, welche neu eine Weiterbildung mit Fachrichtung Trachten anbieten will. «Vor der Ladentür ist noch lange nicht Schluss für mich», lacht die junge Frau. «Das ist eine so kleine Branche, dass es auf die freiwillige Mitarbeit jeder Einzelnen ankommt, um das alte Trachtenhandwerk zu erhalten.» (Text vonCornelia Bisch)