Volksmusik und ihre Verfremdung

Musik

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Unter dem Motto «Jolidulidu» gestaltete der Chor Audite Nova Zug ein Programm im Grenzbereich. Es war ein würdiges Abschiedskonzert von Dirigent Johannes Meister im gut besetzten Theater Casino.

  • Die Intonation war tadellos. (Bild Maria Schmid)
    Die Intonation war tadellos. (Bild Maria Schmid)

Zug – Johannes Meister leitete den Chor Audite Nova Zug seit 1999. Er war erst der zweite Dirigent nach dem unvergessenen Gründer Paul Kälin, der die Singgemeinschaft in den 28 Jahren vorher dirigiert hatte. Obwohl von der Gründergeneration praktisch niemand mehr aktiv dabei ist, sind viele der damals aufgebauten Qualitäten über die Jahrzehnte erhalten und weiter ausgebaut worden.

Nach langer und intensiver Probearbeit überzeugten die rund 80 Mitwirkenden im Theater Casino über alle Register ein weiteres Mal durch eine sichere Beherrschung des teilweise sehr anspruchsvollen Notentexts. Trotz zahlreicher exponierter Stellen vor allem im Sopran blieb die Intonation bis zuletzt tadellos und verband sich mit einer prägnanten Aussprache. Nur dank intensiver Stimmschulung war es möglich, auch die letzten Akkorde noch mit einem lockeren Piano zu bringen.

Schweiz Landessprachen statt Englisch

Den Schwerpunkt des Programms bildete das «Joli­dulidu» des 1973 geborenen Schweizer Komponisten Stephan Hodel. In zwölf Sätzen – teilweise ineinander übergehend, teilweise klar voneinander getrennt – suchte seine Komposition in ungefähr 45 Minuten Spieldauer eine Synthese zwischen überlieferter Schweizer Volksmusik und Stilelementen aus moderner Unterhaltung. Als erfreulicher Aspekt blieb er aber wie das ganze Programm im Bereich der schweizerischen Landessprachen und verzichtete auf jede Amerikanisierung. Mit eingängiger Struktur bewegte sich die harmonische Stimmung oft im tonalen Bereich, verfremdete sich aber plötzlich – etwa durch die Häufung der Sekund-Intervalle im fünften Satz – oder liess den Gesang unvermittelt in einen Sprech-Chor abgleiten.

Sechs stilsichere und technisch versierte Solisten – Marcel Lüscher, Roger Konrad, Markus Muff, Marc Jaussi, Doris Bertschinger und Jonas Elmiger – bildeten das Begleitensemble, wechselnd auf verschiedenen Blasinstrumenten, Akkordeon und Perkussion. Sie leisteten beides, selbstständige Zwischenspiele und Begleitfunktion.

Ausgiebig verwendet wurden die Naturton-Instrumente Büchel und Alphorn in mehreren Grössen, was die harmonische Struktur fast automatisch immer wieder in die C-Grundstimmung zurückführte. Als suboptimal erwies sich die Verteilung des Begleitensembles durch den Saal für den 9. Satz; je nach Sitzort entstand für das Publikum ein sehr unterschiedliches Hörerlebnis.

Auch Mani Matter komponierte

Durchwegs unbegleitet gestaltete der Chor die Sätze der ersten Hälfte mit teilweise originalen und teilweise bearbeiteten Kompositionen verschiedener Schweizer Komponisten: Martin Völlinger (geb. 1977), Joseph Bovet (1879–1951), Pierre Kälin (1913–1995) und Mani Matter (1936–1972).

In den Bearbeitungen liess die stilsichere Interpretation die Grundmelodie altbekannter Volkslieder stets klar erkennen, selbst wenn sie in kurzer Abfolge auf die verschiedenen Register verteilt waren. Darüber hinaus durchbrachen aber Erweiterungen nach Tonumfang und Dynamik die ursprüngliche Schlichtheit. Audite Nova verfügt über eine langjährige Tradition von der Aufführung anspruchsvoller A-cappella-Musik bis zu grossen Oratorien mit voller Orchester-Begleitung. Mit den beiden «Jolidulidu»-Aufführungen im Zuger Casino setzte man sich irgendwie dazwischen. Es gefiel aber dem Publikum offensichtlich. Die Stehend-Ovation am Schluss wurde mit dem zweiten Satz der Hodel-Komposition als Zugabe verdankt.

Der Chor steht nun vor einer weiteren anspruchsvollen Aufgabe bei der Suche eines Dirigenten, der die jahrzehntelange Arbeit in angemessener Weise weiterführt. (Text von Jürg Röthlisberger)