Steinernes Gedenken an tote Franzosen

Brauchtum & Geschichte

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Eine Tafel im Beinhaus St. Michael erinnert an das Schicksal von 15 Soldaten. Und zugleich an einen Akt grosser Solidarität der Zuger.

  • Die Namen von 15 verstorbenen französischen Soldaten sind auf der Gedenktafel im Beinhaus St. Michel eingraviert. (Bild Stefan Kaiser)
    Die Namen von 15 verstorbenen französischen Soldaten sind auf der Gedenktafel im Beinhaus St. Michel eingraviert. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Dass Flüchtende an den Grenzen europäischer Länder stehen und auf Einlass und Asyl hoffen, ist traurige Allgegenwart – und doch im Grunde nicht Neues, obschon sich Hintergründe und Ausmass der Fluchtbewegungen geändert haben. Vor 150 Jahren, im Frühjahr 1871, sah sich die Schweiz mit einer solchen Situation konfrontiert: An der Grenze warteten Menschen in Not sehnlich auf den Übertritt in die Sicherheit. Nur waren es damals nicht Zivilisten, sondern bewaffnete Soldaten der so genannten Bourbaki-Armee.

1870/71 führte Frankreich gegen Preussen Krieg, weil sich Leopold Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen auf Anraten Bismarcks hin für die Spanische Thronfolge zur Verfügung stellte. Frankreich wollte dies um jeden Preis verhindern und erklärte Preussen schliesslich den Krieg. Wider Erwarten stellten sich vier süddeutsche Staaten an die Seite Preussens, dessen Heer schliesslich übermächtig wurde. Als die deutschen Truppen in jenem eiskalten Winter die grenznahe Stadt Belfort belagerten, hatte die französische Armée de l’Est von General Charles Denis Soter Bourbaki den Auftrag, die Deutschen in Belfort anzugreifen. Sie wurden jedoch unter grossem menschlichen Verlust zurückgeschlagen und Richtung Schweizer Grenze getrieben. Der einzige Weg, ihrem Schicksal – Kriegstod oder Tod durch Verhungern respektive Erfrieren – zu entkommen, war die Flucht über die Grenze. Der Bundesrat bewilligte einen Asylantrag von General Justin Clinchant, welcher Bourbaki nach dessen Suizidversuch und anschliessender Amtsabgabe nachfolgte.

Es kamen mehr als erwartet

Der Schweizer General Hans Herzog unterschrieb am 28. Januar 1871 den Vertrag von Verrières, benannt nach dem Schweizer Grenzdorf nächst Pontarlier, und genehmigte somit den rund 87000 französischen Soldaten den rettenden Grenzübertritt. In der Schweiz erfuhren die französischen Flüchtlinge grosse Solidarität und Hilfsbereitschaft. Für das 1866 gegründete Schweizerische Rote Kreuz war es der erste Grosseinsatz. Am 1. Februar wies der Bundesrat an, die Geflüchteten auf Internierungsstandorte in der gesamten Schweiz zu verteilen. Zug sollte 700 Soldaten aufzunehmen. Dafür wurden Betten im Stadtspital für die Kranken vorbereitet, für diejenigen, welche keine intensivere medizinischen Versorgung benötigten, dienten die Kaserne und das Regierungsgebäude als Unterkunft. Doch anstatt der angekündigten 700 trafen am Bahnhof Zug rund 1000 französische Soldaten ein. Offenbar – so war damals in der «Neuen Zuger Zeitung» zu lesen – haben die Luzerner einen Teil ihres Kontingentes ohne Weisung nach Zug abgeschoben. Schleunigst wurden Dachstock und Korridore des Regierungsgebäudes für die Unterbringung der Überzähligen eingerichtet. Am nächsten Tag schickte man sie nach Luzern zurück.

Die Zuger zeigten sich sehr empathisch und grosszügig gegenüber den Ankömmlingen und deren Not. Es gingen reichlich Kleider- und Essensspenden ein, der Stadtrat war darum besorgt, dass alle bestmöglich betreut und versorgt waren, die Aufgenommenen äusserten grosse Dankbarkeit.

Der Tod in der Fremd

Viele waren stark gezeichnet vom Krieg. Das Spital war dauerhaft voll, neben den Folgen von Kriegsverletzungen litten viele an Krankheiten wie den Blattern oder Typhus. An letzterem starb nach elf Tagen Spitalaufenthalt ein gewisser Pierre Soudrit, Familienvater aus dem französischen Dorf Saint Angel, so notiert die «Neue Zuger Zeitung». Er wurde auf dem Friedhof St. Michael zu Grabe getragen. Soudrit war der erste von insgesamt 15 Bourbaki-Soldaten, die während der Internierung in Zug aus einem der genannten Gründe ihr Leben verloren. An sie alle finden wir im ehemaligen Beinhaus auf dem Friedhof St. Michael eine Erinnerung in Form einer grabsteinähnlichen Gedenktafel, ein so genannter Epitaph. Montiert auf der rückseitigen Innenwand, ist auf der weissen Steinfläche eingraviert zu lesen: «Erinnerung an die internierten Franzosen, gest. in Zug vom 18. Februar – 1. Mai 1871.»

Darunter sind die 15 Namen der Verblichenen mit dem jeweiligen Herkunftsort gelistet. Sie alle starben in der Fremde, fern von Heimat und Familie. Ein trauriges Schicksal, welches zu Kriegszeiten Zigtausende ereilte. Der vergleichsweise schlichte Epitaph mit bekrönendem Kreuz zeigt im Giebel einen Kavalleriehelm mit Schwert und eine Blätterranke als Kriegssymbole. Den Sockel zieren ein Vierpass und Ornamentik. An der unteren rechten Ecke des Tafelträgers sind die Reste einer Signatur zu lesen – «Keis...». Eine Flickstelle verdeckt die fehlenden Buchstaben. Es ist wohl anzunehmen, dass der Epitaph vom bekannten Zuger Bildhauer Ludwig Keiser (1816-1890) geschaffen worden ist. (Andreas Faessler)