«Ich wollte schon immer Rockstar sein»

Literatur & Gesellschaft, Musik

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Silvia Tschuis erster Roman spielt im ländlichen Finstersee. Wenn sie daraus vorliest, tönt es manchmal sogar nach AC/DC.

  • Silvia Tschui und Gitarrist Benedikt Lachenmeier begeisterten in der Bibliothek Ägerital das Publikum. (Christof Borner-Keller)
    Silvia Tschui und Gitarrist Benedikt Lachenmeier begeisterten in der Bibliothek Ägerital das Publikum. (Christof Borner-Keller)

Unterägeri – Der Debütroman «Jakobs Ross» der Zürcherin Silvia Tschui schlägt Wellen: Zahlreiche Lesungen in der Schweiz und in Deutschland, unter anderem an der Leipziger Buchmesse, konnte die 39-Jährige in den letzten Monaten abhalten stets mit grossem Erfolg. Denn wenn Silvia Tschui liest, sitzt sie nicht still: Ihre Lesungen gestaltet Tschui als Performance mit schweizerdeutschem und englischem Gesang, Gitarrenbegleitung und etwas Theater.

Am Mittwochabend las Silvia Tschui in der Bibliothek Ägerital aus ihrem Debütwerk. Musikalisch unterstützt wurde sie dabei, wie bereits in Deutschland, von Benedikt Lachenmeier. «Jakobs Ross» spielt in der Schweiz des 19. Jahrhunderts, angelegt ist die Geschichte in der Region Wädenswil-Finstersee-Menzingen. Mit der Gegend hat Tschui eigentlich nicht viel am Hut. Bei Finstersee war es, wie sie zugibt, vor allem der Name, der ihr gefiel: «Ich war aber natürlich im Dorf und habe dort sogar einen Kaffee getrunken», erzählt sie lachend. «Dennoch habe ich mir bei der Landschaftsgestaltung einige Freiheiten genommen.»

Unterhaltsam und fordernd

Frei ist bei «Jakobs Ross» aber vor allem die Sprache: Geschrieben ist das Buch in dialektischem Schweizerdeutsch, einer gotthelfschen Kunstsprache ohne feste Grammatik: Entsprechend unterhaltsam, aber auch fordernd liest sich das Buch. «Jacobs Ross» ist die Geschichte der ebenso vom Leben gestraften wie widerspenstigen und talentierten Magd Elsie, die nichts lieber tut als singen und auf der Geige spielen. Mit ihrer Stimme vermag sie Mensch und Natur zu verzaubern. Vom dickbäuchigen Direktor geschwängert, wird Elsie kurzerhand mit dem Stallknecht Jakob verheiratet und auf ein Pachtgut abgeschoben. Dort träumt die junge Frau davon, zu Fuss nach Florenz zu kommen, während der Jakob in Elsies Bauch seine finanzielle Zukunft und damit auch sein lang ersehntes Ross heranwachsen sieht.

Sie kann nicht still sitzen

Das Buch ist eine wuchtige, bildgewaltige Geschichte, die zuweilen verträumt, im nächsten Moment wieder sehr brutal und unangenehm ist. Den roten Faden bildet Elsies Gesang, und wenn Elsie im Buch singt, singt auch Silvia Tschui in der Bibliothek Ägerital. Doch «Jacobs Ross» ist, wie Tschui beteuert, kein Heimatroman und die Lesung ebenso wenig ein Heimatabend, denn auf die Mundartstücke folgt englischsprachige Musik: Johnny Cash, AC/DC die Texte der jeweiligen Lieder hat Tschui abgeändert, die unverkennbaren Melodien sind geblieben.

Der Applaus des begeisterten Publikums gibt der Zürcherin Recht: Ihr Konzept funktioniert. Etwas anderes würde Tschui ohnehin nie machen: «Eine halbstündige Lesung ist für mich der Horror. Ich kann nicht einfach still sitzen», erzählt sie. Und weiter: «Ich möchte den Leuten ein Programm bieten und das Dialektale etwas brechen und ausserdem wollte ich schon immer Rockstar werden.» Fünf Jahre lang hat die sympathische Mutter eines zweijährigen Sohnes an ihrem Debüt geschrieben. Halb ernst, halb scherzhaft beschreibt sie den Roman in Bezug auf seine Hauptmotive auch als ihre Biografie: «Es geht um Kunst versus Brot, um zwei unterschiedliche Lebenswege, die ich beide beschritten habe. In ‹Jakobs Ross› sind es der Weg der Musik und der Weg des Materiellen – im Roman siegt die Kunst.» (Natalia Widla)