Kirchengeschichte neu entdecken

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Die Geschichte der reformierten Kirche Baar ist eng verknüpft mit der Spinnerei an der Lorze. Kunsthistorikerin Brigitte Moser vermittelt die Zusammenhänge.

  • Auf kunsthistorischer Entdeckungstour: Die Besucher betrachten Objekte, die eng mit der Geschichte der reformierten Kirche in Baar verbunden sind.(Bild: Stefan Kaiser )
    Auf kunsthistorischer Entdeckungstour: Die Besucher betrachten Objekte, die eng mit der Geschichte der reformierten Kirche in Baar verbunden sind.(Bild: Stefan Kaiser )

Baar – Rund 30 Personen fanden sich am späten Montagnachmittag bei der reformierten Kirche in Baar ein, um sich mit der Kunsthistorikerin Brigitte Moser auf einen geschichtsträchtigen Rundgang zu begeben. Bei der Spinnerei an der Lorze angekommen, erzählte Moser: «Mitte des 19. Jahrhunderts war Baar ein kleines Strassendorf. Mit dem Bau und der Inbetriebnahme der Spinnerei stieg die Einwohnerzahl rasch an. Rund um die Spinnerei entstand zwischen 1853 und 1867 ein neues Quartier mit Arbeiter- und Gasthäusern, einer Brauerei und weiteren Gewerbebetrieben und mit der ersten reformierten Kirche im katholischen Kanton Zug.» Der Bau der Kirche sei vom katholischen Spinnereigründer Wolfgang Henggeler-Frei und seiner reformierten Frau Barbara massgeblich unterstützt worden.

Mit dem Blick auf die «Höllhüser» am Ausgang des Lorzentobels erklärte Brigitte Moser: «Die im Auftrag der Fabrikleitung von Zimmermeister Christian Iten erbauten Häuser vermieteten die Fabrikherren ihren Arbeitern zu günstigen Konditionen, womit sie sie an ihr Unternehmen zu binden vermochten.» Die 1993 mit dem Erhalt der originalen Bausubstanz diskret ausgebauten Häuser würden zwei Vollgeschosse und ein Dachgeschoss unter einem Satteldach umfassen. Sie bestünden aus einer aussen verschalten und innen vertäfelten Riegelkonstruktion. Im schlichten Stil des Biedermeier akzentuiere ein umlaufendes Gesims über dem Erdgeschoss die Fassade, während ausgesägte Schmuckformen die Dachunterseite zieren würden.

Hans Willenegger, der die 1880/81 vom bekannten Zuger Architekten Dagobert Keiser sen. erbaute Fabrikantenvilla Burgweid vor 25 Jahren kaufte und seither bewohnt, gewährte eine Aussenansicht seines original restaurierten Bijous. Laut Willen­egger ist sein Gebäude «eine Art Südstaatenvilla der USA».

Anlehnung an klassizistische Bauwerke

Der interessante und lehrreiche Rundgang endete bei der reformierten Kirche. Als erste reformierte Kirche im katholischen Kanton Zug ist sie ein einzigartiger Zeitzeuge der frühen Industrialisierung und der damit verbundenen Geschichte der Protestanten im Kanton. Dank der Industrialisierung und dem damit zusammenhängenden Zuzug von Reformierten konnte sich eine reformierte Kirchgemeinde bilden – ein eigenes Gotteshaus wurde möglich. 1866/67 erbaut, ist die erste reformierte Kirche im katholischen Kanton Zug ein bedeutendes Werk des renommierten Architekten Ferdinand Stadler. Brigitte Moser verwies auf die für Stadlers Bauten typische ausserordentliche Klarheit in der Form und Gliederung. «Insofern ist es eine architektonische Anlehnung an klassizistische Bauwerke. Es scheinen aber immer auch neugotische Elemente auf, also Formen, die typisch für gotische Kathedralen sind. Zu erkennen ist dies im Innern an den schönen spitzbogigen Masswerkfenstern und aussen in der Auszeichnung der Fassaden durch Strebepfeiler mit Kreuzblumen oder in der Verzierung der Turmkanten mit Blendbögen», betonte Brigitte Moser. Mit dieser architektonischen Rückbesinnung habe Stadler in einer Zeit des Aufbruchs auch einen romantischen Blick zurückgeworfen und die Sehnsucht der Menschen nach dem Beständigen gestillt.

Der reformierte Baarer Pfarrer Manuel Bieler zeigte den interessierten Teilnehmern des kunsthistorischen Events zum Abschluss eine kupferne Taufschale, Kelche aus Holz, Silber und Gold, einen silbernen Brotteller, eine imposante Lutherbibel – alles Objekte, die eng mit der Kirchengeschichte verknüpft sind.

Kirchenführer im Handel erhältlich

In einem von Brigitte Moser geschriebenen Kunstführer mit dem Titel «Die Reformierte Kirche Baar» und einem Beitrag des Baarer Historikers Philippe Bart sind detaillierte Ausführungen zur Industrie- und Kirchengeschichte und des Kirchenbaus zu entnehmen.

Der Kunstführer ist anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Reformierten Kirche Baar entstanden. Er wurde von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK) herausgegeben. Er ist im Buchhandel erhältlich. (Martin Bühlebach)