Besondere Besucher im Kunsthaus

Kunst & Baukultur

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Dank des Projekts «Aufgeweckte Kunstgeschichte» der Beratungsstelle Alzheimer Zug und des Kunsthauses Zug können Demenzbetroffene ihre Gedanken und Erinnerungen zum Thema Kunst miteinander teilen.

  • Die Kursteilnehmer betrachten das surreale Bild aufmerksam und diskutieren darüber. (Bild Maria Schmid)
    Die Kursteilnehmer betrachten das surreale Bild aufmerksam und diskutieren darüber. (Bild Maria Schmid)

Zug – Sieben kunstaffine Senioren trafen sich diese Woche im Kunsthaus Zug, das an diesem Vormittag nur für sie früher geöffnet wurde. Als Einstieg versammelte sich die Gruppe vor dem Bild «Der Krieg» des Schweizer Malers Walter Kurt Wiemken, das beim letzten Treffen Thema war. Nochmals las die Protokollantin des Kunsthauses Friederike Balke die daraus entstandene Geschichte vor. Danach wurde die aktuelle Ausstellung «Fantastisch Surreal – Die Sammlung» anvisiert.

Die leitende Kunstvermittlerin des Kunsthauses Zug Sandra Winiger liess die Gruppe um ein von ihr ausgesuchtes Bild sitzen und eröffnete die Runde. Das Thema der Diskussion sollte die Betrachtung des Bildes «Borealis Efflorescence» von Kurt Seligmann sein, was sich die Anwesenden nicht zweimal sagen liessen. Jeder wollte seine Interpretation des Bildes zum Besten geben. Sofort sah jemand darin einen Regenwurm, einen Engerling – die Käferlarve des Maikäfers – oder ein Häuschen am See, bis hin zu einem Darmverschluss oder auch einem Confiseriebild mit Gipfeli. Auch die Auswirkung des Bilderrahmens auf das Bild sowie die Achse des Werks wurden angesprochen. Alle Beiträge wurden wortwörtlich von der Protokollführerin notiert.

Wenn man es nicht besser wüsste, würde man meinen, dies sei ein gewöhnlicher Kunstklub für Senioren. Tatsächlich war dies ein Treffen des Projekts «Aufgeweckte Kunstgeschichte», das von der Beratungsstelle Alzheimer Zug und dem Kunsthaus Zug organisiert wurde. «Ziel dieses Projekts ist, dass Menschen mit Demenz unter fachkundiger Leitung gemeinsam eine Geschichte zu einem ausgewählten Kunstwerk der Sammlung entwickeln», erklärt Daniela Bigler Billeter, Leiterin der Beratungsstelle Alzheimer Zug. Ebenfalls wolle man Betroffenen ermöglichen, auch mit Demenz das Kunsthaus besuchen zu können. Denn es sei wichtig, dass sie im geschützten Rahmen weiterhin am normalen Leben teilhaben könnten.

So wird das Selbstbewusstsein gestärkt

An diesem Vormittag im Kunsthaus Zug fragte ein Teilnehmer plötzlich, ob denn das Bild überhaupt einen Sinn machen müsse. Weitere Teilnehmer fanden, das Bild fessle sie auch so, ohne genaues Wissen über das Motiv oder die Bedeutung. Ebenfalls sehe es aus, als wäre es auf Glas gemalt. Jemandem fiel auf, dass es sich um einen Traum über eine Krankheit handeln könnte. Und tatsächlich lagen die Anwesenden gar nicht so falsch, denn der Künstler Kurt Seligmann war ein schweizerisch-amerikanischer, surrealistischer Maler. «In surrealistischer Kunst kann man vieles erkennen und keine Feststellung, Assoziation oder Betrachtung ist falsch», so Winiger. Surrealismus sei eine Kunstrichtung, die das Unbewusste sowie Träume oder Visionen als Ausgangsbasis künstlerischer Produktion ansehe.

Jeder Teilnehmer konnte anschliessend eine Kopie des Bildes und die gemeinsam erarbeitete, notierte und gedruckte Geschichte mit nach Hause nehmen. Wer an vielen Treffen teilnimmt, kann schlussendlich alle Geschichten zu einem Buch zusammenbinden lassen. Durch das Projekt seien viele Teilnehmer zum ersten Mal richtig mit Kunst in Kontakt gekommen, ergänzt Daniela Bigler Billeter. «Die Betroffenen leiden an der Krankheit des Vergessens, haben im Kunsthaus aber gemerkt, dass sie noch viele Gedanken und Erinnerungen formulieren können. Das stärkt auch das Selbstbewusstsein.» Die Idee von «Aufgeweckte Kunstgeschichte» geht auf ein Forschungsprojekt der Universität Zürich zurück. Winiger hat das Projekt von Anfang an mitverfolgt und führte dann selber zusammen mit Alzheimer Zug die erste Veranstaltung im Oktober 2019 im Kanton Zug durch. (Tijana Nikolic)

Hinweis
Termine im Herbst: 20. und 27. Oktober, jeweils 10.30 Uhr, Kunsthaus Zug. Anmeldungen an Alzheimer Zug via 041 760 05 60.