Sinfonie zwischen Stadt und Land

Musik

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Tobi Zwyers Ländlerorchester spielte im Rahmen der neuen Musikreihe «Heimatklänge» des Theaters Casino Zug wild-expressive neue Volksmusik.

  • Tobi Zwyer und sein Ländlerorchester sorgen im Theater Casino für Alpstimmung – und noch viel mehr. Bild: Mathias Blattmann (Zug, 13. 3. 2024)
    Tobi Zwyer und sein Ländlerorchester sorgen im Theater Casino für Alpstimmung – und noch viel mehr. Bild: Mathias Blattmann (Zug, 13. 3. 2024)

Zug – Auf der Bühne des Theaters Casino Zug stehen im Halbrund vor rot beleuchtetem Vorhang viele Notenständer bereit, Gitarren hängen an ihren Bügeln, eine Tuba liegt auf dem Boden. Der Akkordeonist Fränggi Gehrig sitzt allein da und entlockt seinem Instrument leise ziehende Töne. Bandleader Tobi Zwyer kommt mit Bassist Simon Kaufmann und Drummerin Jane Mumford von rechts herein, die Hände in den Hosentaschen wie bei einem Sennen, und bald durchzieht ein Naturjuuz den Saal – in drei Kehlen gebildete Klänge ohne Worte. Sofort ein wenig Alpstimmung.

Während die Violinistin Andrea Kirchhofer und der Klarinettist David Jud spielend dazutreten, entführt Zwyer am Mikrofon das Publikum – «bitte Augen schliessen» – mit Worten aus dem Konzertsaal hinaus, über Seen und Berge in ein einsames Innerschweizer Tal. Drei Trompeten – Jérôme Müller, Stephan Fröhlicher und Gregor Krtschek – spiegeln die Majestät der Berge. «Z’hinterscht im Täli, zwüschet Bärge und Wald», beginnt der Frontmann mit rauer Stimme zu singen, und auch die Gitarre von Joël Kuster stimmt ein: «... sind d Bliemli no frisch und d Hiiser no alt». Musikalisch beschwört die Band die alpine Bärglerwelt, die es schon immer und noch immer gibt. Dann nimmt Zwyer seine Tuba auf, der Rhythmus fährt ein und die Band legt los – ist es ein Ländler?

Für den Laien ist es in den nächsten zwei Stunden oft schwierig zu hören, was hier gespielt wird. Indes auch un­nötig: Es ist Volksmusik, aber abgestaubte. Sie geht von den eigenen Wurzeln aus, überwindet jedoch konstant Grenzen und Engen. Die Tradition wird dynamisch aufgebrochen und mit anderen Klangwelten verbunden – mit Jazz, Balkanbrass, irischen Melodien und manchmal gar orientalisch anmutenden Schnörkeln.

Sonaten, Liedformen und modale Tänze

Die Musik evoziert fortlaufend neue visuelle Landschaften, sie ist stark programmatisch: «Stadt und Land» nannte der Urner Komponist Tobi Zwyer seine viersätzige «Ländlersinfonie in C-Dur». Sie entstand 2022 als Auftragswerk für das Zürcher Festival für Neue Volksmusik «Stubete am See» und besteht aus Sonaten, Liedformen und modalen Tänzen mit unterschiedlichen geografischen Einflüssen. Eine wilde Mischung «zwischen allen Stühlen». Sein 10-köpfiges Ländlerorchester hat Zwyer zu diesem Anlass zusammengestellt.

Stadt und Land stehen als Synonyme für unterschiedliche Lebensweisen, für Tradition und Moderne – einerseits idyllisch-archaische Berglandschaften, andererseits die multikulturelle Lebendigkeit heutiger Städte. Das hört man konstant: die irische Sehnsucht nach der «grünen Insel»; dramatischen Jazz mit schwebenden Off-Beats, die an New Orleans denken lassen; von der Tuba angeführte Gebirgsstürme; einen gemütlichen Ländlertanz; das Zentralschweizer «Chlefelen», das die Perkussionistin nachahmt.

Der gemeinsame Nenner ist dabei wohl «Herzmusik». Der Naturjuuz, mehrmals wiederaufgenommen, vor allem durch den stimmgewaltigen Zwyer selbst, ist ein Leitmotiv, gleichsam ein Anker, der das Konzert auf dem Boden hält. «Kultür und Natür» gehören zusammen. Zwyers Musik ist manchmal ungestüm und expressiv, dann wieder zärtlich und spielerisch. Sie fährt auch beim – leider nicht sehr zahlreich erschienenen – Zuger Publikum unter die Haut, unterhält, bezaubert, fasziniert. Die Tutti-Stellen machen geradezu glücklich.

Eine Hymne an den Planeten

Nach der Pause, im zweiten Teil des Abends, überrascht die Zuhörenden ein Alphorn-Stück: Jérôme Müller spielt es zuerst fast wie ein Didgeridoo, dann kommen die Alpenmelodien. Weitere Stücke bieten Gelegenheit fürs Solieren, für samtige Trompetenfanfaren, Klarinetten- und Gitarrenperlen, eine Perkussionseinlage. Schliesslich erzählt Zwyer sprechend und singend eine «Erdgeschichte in fünf Minuten»: Die Erde sei 4,5 Milliarden Jahre alt, während es die Menschheit seit etwa 2,5 Millionen Jahren gäbe. Das Lied, das folgt, ist eine Hymne an den Planeten – «so wunderschön und alt» – und die Vielfalt des Lebens darauf. Man spürt hier noch ein anderes Engagement, ein naturwissenschaftlich begründetes.

Denn Zwyer schloss gleichzeitig mit seinem Dirigentenstudium an der Hochschule Luzern auch ein Studium der Geologie an der ETH Zürich ab. Hinter dem heutigen Berufsmusiker, der diverse Bands leitet, aber auch allein, im Duo oder im Trio auftritt, steckt ganz offensichtlich einer mit einem weiten Horizont, ein «Allrounder mit dem Fokus auf das grosse Ganze», wie er sich selbst auf seiner Website bezeichnet. Das Publikum beantwortete das Gehörte mit enthusiastischem Applaus: Hat das Konzert dieses «grössere Bild» transportiert? (Text von Dorotea Bitterli)


Hinweis

Die Musikreihe «Heimatklänge» bringt noch zwei weitere Konzerte: am 24. 3. und am 2. 6. Siehe www.theatercasino.ch/heimatklaenge-uebersicht