Romantik und Virtuosität aus Böhmen

Musik

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Das renommierte Zuger Kammermusik-Ensemble Chamäleon wartete in der Zuger Gewürzmühle mit einem «Böhmischen Programm» auf. Wie immer auf hohem technischem Niveau und leidenschaftlich engagiert.

  • Das Ensemble Chamäleon während des Konzerts in der Gewürzmühle. (Bild Maria Schmid)
    Das Ensemble Chamäleon während des Konzerts in der Gewürzmühle. (Bild Maria Schmid)

Zug – Für sein Frühlingskonzert hatte das Ensemble Chamäleon «Musik aus Böhmens Hain und Flur» ausgewählt. Das seit 1990 bewährte Kammermusiktrio spielte dieses Mal in seiner Kernformation – Pianistin Madeleine Nussbaumer, Violinist Tobias Steymans und Cellist Luzius Gartmann – und stellte die beiden böhmischen Komponisten Bedřich Smetana (1824–1884) und Antonín Dvořák (1841–1904) ins Zentrum des zweistündigen Anlasses.

Das angekündigte dreiteilige Programm zog am Sonntag ein derart zahlreiches Publikum an, dass die Stühle im grossen Saal der Gewürzmühle in Zug fast nicht ausreichten.

Romantik – Nation und Gefühl

Peter Hoppe baute, ebenfalls bewährt wie immer, mit seiner Einführung die Brücke zwischen Historie und Musik: Die klassisch-romantische Tonsprache des 19. Jahrhunderts, welche aussermusikalische Stimmungen und Bilder «programmatisch» in Musik verwandelte, nahm in den zu eigener Identität erwachenden Nationen Europas Formen an, die stark von der jeweiligen Volksmusik geprägt wurden.

«Smetana und Dvořák wurden so zu Erneuerern der tschechischen Nationalmusik», erzählte Hoppe. Ihre Musik inspirierte sich stark an Heimat, Nationalsprache und Volksliedweisen, war also auch politisch. Exemplarisch für diese Entwicklungen ist Friedrich Smetana, der als Untertan des Kaiserreiches deutschsprachig aufwuchs, erst ab 1860 die tschechische Sprache lernte und sich ab dann Bedřich Smetana nannte.

Von Smetana ertönte am Sonntagabend das Klaviertrio g-Moll op. 15, das mit seinen drei Sätzen durch emotionale Abgründe führte. Denn im Herbst 1855 hatte der Komponist seine Lieblingstochter Bedřiska zu Grabe getragen, die vierjährig an Scharlach gestorben war, und das Trio wurde für sie geschrieben.

Wenn man das weiss, hört man in den düsteren Klängen des ersten Satzes das schmerzliche «Warum» des Vaters, und das wehmütige Seitenthema ist eine einzige Klage in Tönen, variiert und ausgesponnen. Der zweite Satz porträtiert mit seinen zwei «Alternativos» das spielend-tanzende Kind und verklärt seine erwachende Musikalität und mutwillige Ernsthaftigkeit; im dritten Satz dann folgt einem wilden Totentanz ein Trauermarsch, in welchem man Totenglocken zu vernehmen und einen Blick auf den kleinen Sarg zu erhaschen glaubt. Den mittleren Teil des Konzertes widmete das Ensemble vier Liedern von Antonín Dvořák (arrangiert von Fritz Kreisler) – die man beim Hören sofort als «Ohrwürmer» oder «Schlager» identifizierte. Auch Dvořáks Liederschaffen schöpft aus der böhmischen Volksmusik. Die leicht nachzusingenden Melodien von «Als die alte Mutter mich noch lehrte», «Rein­gestimmt die Saiten» (aus «Zigeunermelodien» op. 55) und die berühmte Nummer 7 aus dem Humoresken-Zyklus op. 101 evozierten beim Anstimmen jedes Mal einen Aha-Effekt – so oft gehört und wiederverwendet werden diese Melodien weltweit.

Das «Lied an den Mond» (aus der Oper «Rusalka») war der Höhepunkt des Mittelteiles und malte Nacht und Nixe, Mondschein und Wasserrauschen, Liebesrausch und Liebesleid, Glück und Tragik mit perlenden Klavier-Arpeggien, tief empfundenen Celloklängen und zweistimmigem «Wiener-Geigen-Schmelz».

Musikalischer Ideenreichtum

Nach der Pause erklang quasi ein zweites Juwel aus Dvořáks überreicher musikalischer Schatzkammer: sein Klaviertrio in B-Dur op. 21. Mit diesem Werk soll der damals 34-Jährige zur eigenen kompositorischen Genialität gefunden haben. Wie eruptiv ab dann seine Produktivität war, spiegelt ein Bonmot von Johannes Brahms über seinen Schützling Dvořák: «Der Kerl hat mehr Ideen als wir alle. Aus seinen Abfällen könnte sich jeder andere die Hauptthemen zusammenklauben».

Dieser strotzende Ideenreichtum prägte das vom Chamäleon-Ensemble dar-gebotene Trio so sehr, dass man als Laie zu denken aufhörte und sich einfach nur tragen liess: von Themen zu Tonarten, Modulationen, rhythmischen Figuren und Polyrhythmik, zu Gefühlen und Gedanken. Virtuos spielten alle drei Musizierenden allemal. Aus dem Publikum kamen begeisterte Zurufe, Szenenapplaus und am Ende der Wunsch nach einer Zugabe. (Text von Dorotea Bitterli)