Die male ich aus dem Gedächtnis

Arte e construção da cultura

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Die Gemälde eines absoluten Stars der internationalen Kunstszene sind in der Galerie Gmurzynska ausgestellt: Der 81-jährige Fernando Botero gab sich persönlich die Ehre.

  • Fernando Botero in der Galerie Gmurzynska vor seinem Gemälde: «Concerto campestre» (2013). (Bild Werner Schelbert)
    Fernando Botero in der Galerie Gmurzynska vor seinem Gemälde: «Concerto campestre» (2013). (Bild Werner Schelbert)

Zug – Es war heiss. Sehr heiss. Und das nicht nur wegen der spätsommerlichen Hitze. Die Vorfreude und die Nervosität auf einen herannahenden Weltstar trieb so manch Wartendem die Schweissperlen in der neuen Dépendance der Galerie Gmurzynska auf die Stirn. Doch dann plötzlich, nach mehr als einer halben Stunde Verspätung, tritt er ein in die «gute Stube» der Vorstadt 14: Fernando Botero, der kolumbianische Künstler. Leibwächter bereiten ihm den Weg und postieren sich dann vor dem Eingang.

Ehefrau ist auch Künstlerin

Zusammen mit Galeriedirektor Mathias Rastorfer schreitet der 81-Jährige in blauem Blazer und mit professoraler Hornbrille gemessenen Schrittes an der Schar der Anwesenden vorbei. Das Blitzlichtgewitter der Fotografen lässt er mit stoischer Ruhe über sich ergehen: Der Kolumbianer scheint in sich selbst zu ruhen. Mit an seiner Seite: Ehefrau und Künstlerin Sophia Vari (73), die eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit Sophia Loren hat. «Es ist nicht schwierig, mit einem Künstler zusammenzuleben», sagt sie und lehnt sich zur Kühlung an einen mannshohen Ventilator. «Wir unterhalten uns sehr viel über Kunst. Er malt figurativ, ich abstrakt.» Über Zug gerät sie regelrecht ins Schwärmen. «Dieser Ort ist eine absolute Entdeckung für mich. Alles sieht hier so aus, als wäre es schon immer da gewesen - ich glaube, ich bleibe für immer hier.» Dann zückt sie ihr Handy und telefoniert. Derweil gibt Fernando Botero bereitwillig Journalisten Audienzen für Interviews. Auf einem Stuhl sitzt er ganz entspannt. Auf dem Tisch steht ein Wasserglas. Eine Lampe ist angeschaltet, die Vorhänge sind zugezogen. Zeit für ein kurzes Gespräch über Kunst und die Welt.

Herr Botero, wie bekommt Ihnen diese Hitze hier in Zug?

Fernando Botero: Ich liebe die Wärme sehr. Kurioserweise ist es in Zug wärmer als in Athen, von wo wir heute Morgen abgeflogen sind.

Thick is beautiful - könnte man meinen, wenn man Ihre Bilder anschaut. Sie entwerfen faszinierende Mikrokosmen von gewichtigen Menschen, die grazil und in sich ruhend wirken - und das in Zeiten von Diät- und Schlankheitswahn. Wie kommts?

Botero: Volumen in der Kunst ist ein jahrhundertealtes Thema. Schon seit Giotto ist es eine Faszination für die Künstler gewesen, die Darstellung von Raum und Volumen kreativ darzustellen und zu interpretieren. Zuvor waren Gemälde flach. Auch in den Gemälden der modernen Kunst ist der Raum und das Volumen teilweise wieder verschwunden. Für mich ist das Volumen und seine Ausdehnung im Raum vor allem ein Ausdruck von Sinnlichkeit. Diese Sinnlichkeit macht mir viel Freude.

Was man zum Beispiel an Ihrem Rückenakt «Woman In A Shower» oder im Akt «Woman Reading» sehr gut sehen kann. Beide strahlen trotz ihrer Körperfülle eine geheimnisvolle Schönheit aus. Sind Dicke schöner?

Botero: Man muss grundsätzlich unterscheiden, dass Schönheit in der Kunst und Schönheit im Leben nichts miteinander zu tun haben. Die Schönheit eines schlanken Models ist so oberflächlich, so gewöhnlich im Vergleich zu Schönheiten, wie sie in der Geschichte der Kunst immer wieder erschaffen worden sind. Zum Beispiel gibt es bei Picasso im Prinzip hässliche Frauen, die aber in ihrer Individualität sehr schön sind. Und auch das Diptychon «Herzog und Herzogin Urbino» von Piero Della Francesca, das in den Uffizien in Florenz zu sehen ist, zeigt eine wunderbare Frauengestalt - obwohl sie auf den ersten Blick wirklich nicht schön wirkt. Sie ist für die Ewigkeit gemacht.

Kritiker haben bemerkt, Sie würden in Ihren Porträts Vertreter der früheren Kolonialgesellschaft karikieren.

Botero: Manche meiner Bilder haben sicherlich einen satirischen Unterton. Und ja, viele meiner Motive stammen natürlich aus meiner Wahrnehmung dessen, was ich als Jugendlicher und junger Erwachsener in meiner Heimat alles gesehen habe. Damals hat es ja beispielsweise noch gar keine Museen in Kolumbien gegeben, und ausser Kirchenkunst und kolonialer Kunst war da nicht viel. Was die Personen in meinen Bildern angeht - die male ich alle aus dem Gedächtnis.

Apropos Gedächtnis. Sie wurden in Medellín geboren. Diesen Ort bringt man vor allem mit Drogenmafiabossen in Verbindung. Was bedeutet Kolumbien für Sie heute?

Botero: Kolumbien ist ein wunderschönes Land. Ich reise jedes Jahr hin, um mich für einen Monat dort aufzuhalten. Es hat sich inzwischen viel verändert - und ich habe auch mitgeholfen, dass neue Museen und Institutionen entstanden sind. Persönlich könnte ich in Kolumbien auf Dauer nicht mehr leben -, weil ich keine Bronze für meine Skulpturen bekomme.

Sie sehen für Ihr Alter aussergewöhnlich vital aus. Ist das Künstlerdasein eine beglückende Existenz?

Botero: Dies ist vor allem meiner Arbeit geschuldet: Ich arbeite nach wie vor täglich sieben Stunden lang - und stehe dabei die ganze Zeit. Als Künstler überrasche ich mich dabei jedes Mal durch das, was ich schaffe. Es gäbe für mich deshalb nichts Schöneres, als einmal mit dem Pinsel in der Hand zu sterben. (Wolfgang Holz)

Hinweis
Die Ausstellungen von Fernando Botero sind bis 19. Oktober in der Zuger Galerie Gmurzynska in der Altstadt und der Vorstadt 14 zu sehen. Eine weitere Botero-Schau läuft bei Gmurzynska in Zürich.
 

Alle sind sehr dick

BIOGRAFIE RED. Fernando Botero ist einer der bekanntesten bildenden Künstler Lateinamerikas. Geboren wurde er 1932 als Sohn einer in bescheidenen Verhältnissen in den Anden lebenden Familie in Kolumbien. Der junge Botero begann im Alter von 12 Jahren zu malen, als er noch die Sekundarschule besuchte. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt schnell als Designer und Illustrator. Mit 16 Jahren nahm er 1948 zum ersten Mal an einer Ausstellung von Malern in Medellín teil. 1951 zog er nach Bogotá, weil das Leben dort kulturell reichhaltiger war, und kurz darauf nach Europa.

Bereits Ende der 50er-Jahre hat er zu seinem eigenen, heute weltberühmten Stil gefunden. Sein Thema ist der Mensch, das menschliche Leben mit all seinen Facetten. Die Darstellung der Figur erlebt eine besondere Ausprägung in seinen Arbeiten, denn er zeigt den menschlichen Körper, wie auch alle anderen Formen, in überzeichneten Proportionen. Die Kunst von Botero verfügt über eine sehr spezielle Charakteristik. Alle seine Figuren sind dick - sehr dick.

In seiner Ästhetik sind dicke Menschen schön: Könige, Soldaten, aber auch Tänzerinnen und Toreros, die man eher mit dünnen Figuren assoziieren würde. Auf diese Art und Weise steigert er die sinnliche Präsenz, ein Stilmittel, das fortan zum prägenden Gestaltungsmerkmal von Botero wird. Wie kaum ein anderer Künstler hat er sich intensiv mit der Kunstgeschichte und Tradition auseinandergesetzt. Er erforscht, wie diese Maler vor ihm, den Raum und die Präsenz der Form. Seine Gemälde leben von der Spannung, die sich durch den Gegensatz der Üppigkeit der menschlichen Figur und der gleichzeitigen Reduktion der Details aufbaut.