Von Urzuger Bettelvögten und Baarer Chriesidieben

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte, Musik

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Die Bürgergemeinde hat ein Mammutprojekt aufgezogen und stellt Zuger Geschichten nun online zur Verfügung.

  • Irina Schönen und Walter Sigi Arnold (rechts) lesen aus den Protokollen, Christian Wallner musiziert. (Bild Boris Bürgisser)
    Irina Schönen und Walter Sigi Arnold (rechts) lesen aus den Protokollen, Christian Wallner musiziert. (Bild Boris Bürgisser)

Zug – Ein Sprichwort besagt, dass sich funktionierende Demokratien mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen haben. In diesem Sinne ist es wohl keine Untertreibung, als der Zuger Bürger­präsident Rainer Hager am vergangenen Freitagabend verkündete, dass dieser Abend einer für die Zuger Geschichtsbücher sei. Unter der Leitung von Peter Hoppe und Viktor Ruckstuhl ist es gelungen, über 80000 städtische Rats- und Gemeindeprotokolle aus den Jahren 1471 bis 1798 zusammenzufassen und in die heutige Sprache zu übersetzen. Diese sind auf der Website www.zuger-gschicht.ch sowohl für Laien als auch für wissenschaftliche Zwecke abrufbar.

Der Historiker und ehemalige Staatsarchivar Peter Hoppe hat vor über 30Jahren mit der Auswertung begonnen. «Die uns nicht mehr geläufige Sprache und die schwer leserliche Schrift verkomplizierten das Unterfangen», erzählt Hoppe. Von Beginn weg habe man auf elektronische Hilfsmittel gesetzt und sich das Ziel gesetzt, die über 17500 Seiten in der heutigen Sprache zusammenzufassen, dabei aber möglichst am ­ursprünglichen Wortlaut zu bleiben. «Die Einträge sind authentisch und gehen teilweise fast ins Atmosphärische.» Lächelnd erläuterte Hoppe, dass man beim Lesen einiger Einträge den Geruch von damals förmlich riechen könne.

Geschirr und Fische nicht im Brunnen waschen

Der Bürgerpräsident Rainer Hager sagte: «Dieser nun erschlossene historische Schatz ist von unermesslichem Wert.» Ihm sei es ein Anliegen, dass das Internet­portal ein anregendes Stöberlexikon für jede und jeden wird. Positive Worte für das Projekt fanden am Freitag auch der Regierungsrat Stephan Schleiss und der Zuger Korporationspräsident Urban Keiser. Als Intermezzi zwischen den Ansprachen fungierten Lesungen zu insgesamt vier Themenkreisen aus den Protokollen. Der erste Themenkreis handelte von Medizin und Hygiene. Unterstützt von musikalischen Klängen des Zuger Musikers Christian Wallner lasen Schauspielerin Irina Schönen und Schauspieler Walter Sigi Arnold von einem juristischen Disput aus dem Jahre 1676 zwischen einem Walchwiler Notfallchirurgen und seinem zahlungsunwilligen Patienten vor. Danach erfuhr das Publikum, dass es um 1540 zu unterlassen war, im Stadtbrunnen dreckiges Gerät, «Gschirr» oder Fische zu waschen.

Unterstrichen von melancholischen Klängen wurde das Thema der Armut und Bettler aufgegriffen – der Kanton florierte nicht immer so wie heute. Wer seine Kinder zum Almosenholen schickte, verlor anno 1704 das Stimm- und Wahlrecht. Bettelvögte mussten mit Gewalt Vagabunden aus der Kirche schaffen und ein Beschluss gab einem Hauseigentümer Recht, der einen Vorratskammer-Dieb erschoss.

Mit der Waffe zum Gottesdienst

Der aktuelle Stadtpräsident Karl Kobelt hob stolz hervor, wie weit Zug gekommen sei seit dieser Zeit, in der Selbstjustiz begrüsst und das Rechtsgut Eigentum höher als ein Menschenleben gewertet wurde. Die formale Sprache der Textstellen sorgt weiter für Schmunzler. Um 1751 haben sich einige Baarer erfrecht, auf der Oberwiler Allmend Chriesi zu pflücken. Und wie es sich im Jahr 1618 für einen redlichen Mann gehöre, habe dieser mit der Waffe zur Kirche zu gehen gehabt. Der Entzug der Waffe führte als gängige Strafe zur Wehr- und Ehrlosigkeit.

Schliesslich erfolgte die mit Vorfreude erwartete Onlineschaltung des Internetportals. Dieses überzeugt sowohl visuell als auch bedienungstechnisch. Der Wunsch nach einem regen Stöbern in den historischen Quellen wird zweifelsohne in Erfüllung gehen. (Nils Rogenmoser)