Sie schaffen den Zugang zur Kultur

Dies & Das

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Was ist das nun, Kulturvermittlung?
Wir finden es heraus, zwischen Breakdance und Lehm-Matsch. Und merken schnell: Da geht es ums Ganze.

  • Kinder mit Lehm-Matsch im Ziegelei-Museum in Cham. Kulturvermittlung braucht Vollkontakt. (BIld: Ziegelei-Museum)
    Kinder mit Lehm-Matsch im Ziegelei-Museum in Cham. Kulturvermittlung braucht Vollkontakt. (BIld: Ziegelei-Museum)

Zug (Kanton) – Dieser Text ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zu den anderen Texten dieser Ausgabe.

«Es reicht schon eine einzige gute Begegnung mit Kultur», sagt Anu-Maaria Calamnius-Puhakka. Ein einziger stimmiger Moment, schon hat die Kultur im Herzen Platz genommen. «Wenn ein Mensch als Kind oder Jugendlicher einmal erlebt hat, dass ihn ein Konzert oder eine Vorführung berührt, wird er das immer wieder suchen.» Dann ist der Zugang gefunden. «Das ist Kulturvermittlung», sagt sie: einen Zugang zur Kultur ermöglichen.

Genau damit wollen wir uns in dieser Ausgabe beschäftigen. Denn da geht was in Sachen Kulturvermittlung. Und sie hat auch uns erreicht (siehe Box nächste Seite) – «Zug Kultur» ist neu auch eine Plattform für Kulturvermittlung. Aber was macht die Vermittlung so wichtig? Das wollen wir herausfinden.

Tanz ohne Sprachbarrieren

Anu-Maaria Calamnius-Puhakka ist Finnin, und genau dahin ist sie jetzt gerade unterwegs, nach Finnland, über die Ostertage. Aber auch hier in Zug ist sie schon seit Jahren zu Hause. Sie hat sich diese Berührung mit Kultur zur Aufgabe gemacht. Vor fünf Jahren hat sie das Tanzfestival Young Dance gegründet, ein Festival, das sich die Kulturvermittlung als Hauptzweck auf die Fahnen geschrieben hat. «Ich fand, dass so was in Zug fehlt: ein Anlass, bei dem Kinder und Jugendliche gezielt mit Kultur in Berührung kommen können», sagt die Finnin. «Zum Glück habe ich die richtigen Leute gefunden, die mich dabei unterstützt haben.» Young Dance ist eine Erfolgsgeschichte. Über 30 Schulklassen waren letztes Jahr am Young Dance und haben sich Tanzperformances angeschaut, mitgemacht, mitgefühlt.

Dieses Jahr werden es über 60 Klassen sein. Dass Calamnius-Puhakka ihr Festival auf Tanz ausrichtete, hat auch mit ihrem Fremdsein in Zug zu tun. «Im Tanz gibt es keine Sprachbarrieren», sagt sie, «eine Tanzvorführung können Menschen jeder Herkunft geniessen und verstehen.» Besonders Jugendliche. Auch wenn denen teilweise die Pubertät in die Quere kommt. «Deshalb müssen wir die Stücke gut aussuchen», sagt Calamnius-Puhakka. «Denn der Tanz eignet sich unglaublich gut, um die Probleme anzusprechen, mit denen sich die Teenager herumplagen. Und wenn man die richtig anspricht, dann ist plötzlich ganz viel Pubertät aus dem Weg geräumt.»

Calamnius-Puhakka stellt die Stücke selber zusammen und besucht die Vorstellungen, bevor sie sie nach Zug holt. «Es gibt Stücke, die funktionieren einfach. Wichtig ist, dass die Kinder und die Jugendlichen gefordert werden – man muss die nicht bei der Hand nehmen, sondern ihnen etwas zutrauen.» Und dann passiert womöglich, was zum Beispiel beim Stück «Tetris» passiert ist; «Am Ende des Stückes tanzen alle, Schüler, Lehrer, Eltern – nur die Künstler selber sitzen. Das ist schwierig, das so herzustellen, aber es hat geklappt, und am Schluss war das eine grosse Tanzparty.»

Breakdance machen auch Jungs gerne

Tanzparty ist auch sein Ding. Michael Hofmann sitzt auf dem Sofa im Eingang seiner Tanzschule «Dirty Hands», im Hintergrund stehen Trampoline und ein federnder Gymnastikboden. Hofmann ist einer der drei schweizweit bekannten Zuger Breakdancer der gleichnamigen Truppe. Und auch sie setzen auf Kulturvermittlung: Ganze Tage gehen sie an Schulen und machen mit Klassen Breakdance-Workshops. Und am Ende treten die Klassen gegeneinander an – auch das endet mit viel Aufregung und viel Spass. «An was erinnert man sich aus der Schulzeit?», fragt Hofmann und gibt die Antwort gleich selber: «Bestimmt nicht an die Mathe-Lektion, sondern an die aussergewöhnlichen Dinge: das Lager, den coolen Ausflug.» Und den Tag, an dem alle Breakdance gelernt haben.

«Es ist toll, wenn wir für einen Tag in eine Schule gehen und da dieses Lebensgefühl einimpfen können. Da passiert enorm viel, wir schaffen zusammen gute Erinnerungen.» Und einen guten Umgang mit der überschüssigen Energie. «Das vermitteln wir auch aktiv. Wenn’s euch mal zu viel wird und ihr Stress habt, dann schliesst euch nicht ein, sondern bewegt euch! Lasst die Energie raus, zum Beispiel indem ihr mit uns den Salto übt, bis ihr ihn könnt.»

Breakdance ist eine besonders gute Möglichkeit, auch die Jungen zum Tanzen zu bringen. «Irgendwie ist der Stil cool geblieben», sagt Hofmann. «Wenn du den Kindern sagst: ‹Wir tanzen jetzt!›, dann wird’s schwierig. Aber wenn du sagst: ‹Wir üben jetzt Breakdance!›, dann kommen die Jungs und finden: ‹Boah, das will ich auch!› Auch wenn du die genau gleichen Figuren machst wie etwa im Jazz Dance.» Einfach plus Überschläge wie im Film. Das klappt auch bei schwierigen Jugendlichen. «Wir haben beim Zürcher Projekt Colours mitgearbeitet und dort zusammen mit den Musikern Dodo und Dabu von Dabu Fantastic mit den Jungs Breakdance geübt, die sonst im Leben viel anecken. Das ist dann etwas schwieriger auszuhalten, wenn die ausfällig werden. Aber es hat wunderbar geklappt.»

Jetzt bauen Dirty Hands die Kulturvermittlung weiter aus. «Wir haben im letzten Jahr damit angefangen, gezielt Programme für Schulen zusammenzustellen», sagt Hofmann, «und dann alle Schulen anzuschreiben.» Nicht nur in Zug – auch im Kanton Luzern und im Aargau. «Wir haben wirklich jeden Schulleiter im Kanton Zug angerufen und unser Angebot bekannt gemacht. Und die reagieren sehr positiv – wenn sie ein Budget für so was haben. Manche Lehrer planen uns jedes Jahr wieder ein.» Noch einfacher ist das im Kanton Luzern. «Dort unterstützt der Kanton unser Angebot, so dass es für die Schulen fast nichts mehr kostet. Schade, dass es das im Kanton Zug nicht gibt.»

Kulturvermittlung quersubventioniert

Mit dem Budget ist das bei Schulen so eine Sache. Das weiss auch Judith Matter vom Ziegelei-Museum in Cham. Das Museum möchte immer lebendig bleiben und muss für jedes Projekt die Finanzierung selber zusammenstellen, Stiftungen, Kanton und Gemeinden anfragen – und das klappt. «Wir sind angekommen», sagt Matter. «Und wir können unsere Kulturvermittlungsangebote für Schulen nun aus eigener Kraft quer­finanzieren.» Wir treffen uns am sonnigen Ostersamstag, und die Wiese vor dem Museum glüht vor lauter Frühling. Auch das Museum betreibt Kulturvermittlung, und Matter ist dafür persönlich zuständig. «Es ist einfach enorm wichtig, dass die Kinder elementare Erfahrungen erleben können. Zum Beispiel, dass das Material, aus dem Dachziegel hergestellt werden, direkt aus dem Boden kommt.» Das verbindet die Schülerinnen und Schüler mit der Welt, in der sie leben, und erdet sie.

Hier im Ziegelei-Museum lernen die Kinder je nach Alter viel über die Kultur und die Geschichte der Ziegelherstellung. «Mit den Kleinsten gestalten wir Zwerge aus selbst gestochenem Lehm. Eindrücklich ist, wenn sie sich in der Arbeit verlieren und ganz still an ihrem Zwerg arbeiten.» Zwei bis drei Schulklassen kommen pro Woche ins Museum, widmen sich zwei Stunden dem Lehm und der Geschichte der Baukeramik und bräteln anschliessend auf der Feuerstelle. Die grösseren Kinder bekommen eine Schnellbleiche als Zieglerbuben und -mädchen und lernen, wie man den Lehm aus dem Boden holt, ihn säubert und bearbeitet, damit er die richtige Konsistenz erhält. Daraus werden dann Neidköpfe hergestellt, Firstziegel mit Menschen- oder Tierköpfen zur Abwehr des Bösen. «Wir konnten einen guten Draht zu den Schulen entwickeln», sagt Matter. «Jetzt müssen wir das einfach immer mehr ausbauen. Angebote wie die neue Vermittlungsseite auf zugkultur.ch helfen da weiter, ich finde das super.»

 Theater kann echte Gefühle wecken

Einen guten Draht zu den Schulen hat auch Judith Spörri – sie ist Theaterpädagogin und Mitgründerin des Theaters Noï. «Mit unseren Stücken wollen wir die Kinder mit altersgerechten Themen abholen, die sie beschäftigen, berühren und die sie nachvollziehen können », sagt Spörri, «aber gleichzeitig sollen die Stücke auch die Erwachsenen ansprechen und zum Denken anregen –  das machen wir mit philosophischem Tiefgang und gutem, feinem Humor.» Jedes Jahr zeigt Spörri mit dem Theater Noï ein neues Stück, meist vor ausverkauften Reihen. 67 Schulklassen sind letztes Jahr bei ihr im Theater gesessen, dazu noch reguläres Publikum, Freunde, Eltern mit ihren Kindern. «Uns geht es darum, den Kindern mit unseren Stücken ein nachhaltiges Erlebnis zu bieten. Das kann das Theater. Es soll nicht bloss unterhalten –  konsumieren können sie schon genug am Bildschirm.»

Die Kinder seien im Leben oft zu stark mit Bildschirmen berieselt. «Aber davon bleibt nicht viel hängen. Das Theater dagegen kann echte Gefühle wecken, die Seele berühren.» Es kann die Kinder ganz in den Moment holen, in die Geschichte eintauchen lassen. Spörri ist auch Lehrerin, und mit ihren eigenen Schülern macht sie jeweils einen ganzen Monat nur Theater. «Und man glaubt gar nicht, wie viele Kompetenzen wir damit abdecken können – wie viele Lernziele wir mit Theaterspielen erarbeiten können.» Das bleibt den Kindern. «Sie kommen manchmal noch nach Jahren zu mir und sagen: ‹Wir haben doch damals diese Geschichte gespielt. Das wissen wir noch ganz genau!›»

Ob Tanz, Breakdance, Theater oder Ziegelei – oder Kunst, Geschichte und Musik: Eines haben alle Zuger Kulturvermittler gemeinsam. Sie wollen das Feuer weitergeben. Wieso? «Weil der Mensch ein schönes Leben haben soll», sagt Anu-Maaria Calamnius-Puhakka. «Und wenn wir einen Zugang zur Kultur gefunden haben, dann kann sie uns etwas geben, das wir sonst nirgends finden.»

(Autor: Falco Meyer)