Brahms neben Wagner
Musik
Das dritte Abo-Konzert der Zuger Sinfonietta, das im Lorzensaal aufgeführt wurde, stand unter dem Motto «Bayreuth in Cham».
Cham – Richard Wagner (1813-1883) und Johannes Brahms (1833-1897) haben sich als Komponisten gekannt und gegenseitig geschätzt. Beide waren aber weise genug, um sich nicht stilistisch annähern und kopieren zu wollen. Für Daniel Huppert (Leitung) und Lion Gallusser (Werkeinführung) von der Zuger Sinfonietta ist das Feuer für Vergleiche auf hohem künstlerischen Niveau damit entfacht.
Mindestens nach der Intensität des Applauses zu schliessen, wurde Brahms vom Chamer Publikum ganz eindeutig an die erste Stelle gesetzt. Sein Streichquintett in G-Dur Opus 111 gehörte in der herausgegebenen Fassung eindeutig zur Kammermusik. Vor allem in den Ecksätzen enthält es aber auch viele orchestrale Elemente; einige Musikwissenschafter vermuten die Übernahme der Thematik aus einer nie fertig ausgeführten fünften Sinfonie.
Nur vier Bratschen waren da
So rechtfertigte sich auch die Ausführung mit einem Streichorchester aus 20 Mitwirkenden. Der spieltechnisch und stilistisch souveräne Gesamteindruck verzieh offensichtlich die Schwächen der Bearbeitung. Diese liess den Notentext und die Verteilung auf die einzelnen Stimmen praktisch unangetastet. Dadurch entstand ein gewisses klangliches Ungleichgewicht: Dem vollen Chor der elf Violinen und den zum Teil durch die Kontrabässe verstärkten drei Celli standen für zwei vom Komponisten unabhängig geschriebene Stimmen nur vier Bratschen gegenüber, die beiden Spielerinnen der zweiten Stimme ausserdem in akustisch suboptimaler Position. Fast in jeder Hinsicht führte Richard Wagner ein sehr unruhiges Leben: künstlerisch, politisch, persönlich und finanziell. Das zu Beginn gespielte «Siegfried-Idyll» entstand 1870 in Tribschen bei Luzern, als er die seit vielen Jahren geliebte Cosima endlich heiraten konnte und den vorher geheim gehaltenen gemeinsamen Sohn der Öffentlichkeit vorstellte. Spät wurde damit übrigens der nur zwei Jahre ältere Franz Liszt (1811-1886) sein Schwiegervater. Die zweite in der Instrumentierung etwas erweiterte Fassung mit zehn Bläsern kam den Qualitäten der Sinfonietta offensichtlich entgegen. Unter der Leitung von Daniel Huppert erklang eine stimmungsvolle Wiedergabe, welche den richtigen Mittelweg zwischen Einzelsatz und angedeuteter Grossgliederung fand.
Relativ kurz blieb der Beitrag der Hauptsolistin Nadine Weissmann. Die Mezzosopranistin interpretierte die fünf «Wesendonck»-Lieder. Dieser gewichtigste Beitrag Wagners zum Sololied galt allerdings weder seiner damaligen noch seiner späteren Ehefrau, sondern der Gattin jenes reichen Zürcher Kaufmanns, der den Komponisten nach seiner politisch motivierten Flucht grosszügig aufgenommen hatte. Mit der Interpretation zeigte die Solistin die Qualitäten der vorangekündigten Wagner-Interpretation: ausreichendes Stimmvolumen über einen weiten Tonumfang, prägnante Diktion für den praktisch ohne Wiederholungen vorgetragenen Text, so wie eine – entgegen der Ankündigung – erfreulich gute Sprachverständlichkeit. Wagner schrieb seine Lieder – original Solostimme und Klavier – für einen privaten vertraulichen Zweck. Aber ihre musikalische Struktur ruft nach dem Konzertsaal, was auch ihre Instrumentierung durch ein klanglich gemischtes Orchester rechtfertigte.
«Bayreuth in Cham» als Konzertmotto erschien nicht in allen Punkten berechtigt. Das dortige Festspielhaus, das sich nach dem vor mehr als 100 Jahren festgelegten testamentarischen Willen inklusive Publikum auf einen einzigen Komponisten fixiert, lässt sich nicht auf Cham verpflanzen, mit einem Orchester, das immer wieder eine erfreuliche Flexibilität gegenüber den verschiedensten Stilrichtungen zeigt. (Text Jürg Röthlisberger)