Buchbinder begeistert mit Schubert
Musik
Rudolf Buchbinders Interpretation in der Ägerihalle zeigte einmal mehr auf, was grosse Kunst ausmacht.
Unterägeri – Das Foyer der Ägerihalle füllte sich früh mit zahlreichen Menschen. In den ersten Gesprächen beim gemütlichen Apéro spürte man die Vorfreude und Spannung – allen war bewusst, dass ein Musiker von internationalem Rang auftreten würde. Dass er kommen würde, war klar. Aber wie würde es werden?
Sabina Keresztes, Gründerin der Aegeri Concerts, umriss ihre Vision einer Konzertreihe, die hochkarätige klassische Musik ins Ägerital bringt und der Nachwuchsförderung verpflichtet ist. Was 2022 als Idee begann, ist zu einer veritablen Kulturmarke herangewachsen.
Diese Philosophie wurde sofort lebendig: Das Schlagzeugensemble der Musikschule Unterägeri eröffnete mit Leopold Mozarts «Die Schlittenfahrt» charmant und rhythmisch pointiert den Abend. Kinder verwandelten sich dabei in konzentrierte Musiker.
Der Maestro betritt die Bühne
Dann ging es los: Der Maestro kam auf die Bühne – Rudolf Buchbinder, beinahe beiläufig und ohne Pathos, aber mit jener stillen Autorität, die nur entsteht, wenn ein Künstler über Jahrzehnte mit seiner Musik nicht mehr kämpfen muss, weil er längst weiss, dass sie sich ihm ergibt, wenn er sich ihr dienstbar macht.
Buchbinder ist in der internationalen Klassikszene vor allem als Beethoven-Spezialist bekannt. Seine Interpretationen der 32 Klaviersonaten gelten als Referenz, seine Auseinandersetzung mit dem Bonner Komponisten umspannt Jahrzehnte intensivster Beschäftigung. Dass er sich an diesem Abend ganz dem Spätwerk Franz Schuberts widmete, war daher eine besondere, fast zärtliche Entscheidung – eine Öffnung in eine andere Welt.
«Im Gegensatz zu Beethoven, der Skizzenbücher mit Entwürfen füllte, brauchte Schubert nur knappe Erinnerungen, eine Floskel, eine Modulation als Vorentwurf», erklärt der Pianist. «Alles andere hatte er im Kopf.» Diese intuitive Arbeitsweise Schuberts, seine Fähigkeit, aus dem Moment heraus zu komponieren, fasziniert Buchbinder ebenso wie die Tatsache, dass Schubert bereits als Jugendlicher zu jener melodischen Vollendung fand, die ihn zum «rätselhaftesten Monolithen der Musikgeschichte» macht, wie Nikolaus Harnoncourt es einmal formulierte.
Der Abend begann mit den vier Impromptus op. 90 (D 899), die bei Buchbinder weniger wie «Zwischenspiele» wirkten, sondern vielmehr wie vier eigenständige Erzählungen, jede mit eigenem Atem und eigenem Licht. Das erste Impromptu in c-Moll entfaltete seine dunkle Dramatik ohne Übertreibung, das zweite in Es-Dur perlte leichthändig dahin.
Ein Abend der Reduktion
Besonders das dritte Impromptu in Ges-Dur wurde zu einem Moment stiller Erleuchtung – Buchbinder weiss aus seiner Beschäftigung mit Originalquellen, wie verheerend es wäre, dieses Stück in der vom Verleger geforderten Transposition nach G-Dur zu spielen. In der ursprünglichen Tonart Ges-Dur entfaltet sich eine kristallklare Architektur aus Klang, die in sich ruht, ohne je statisch zu werden.
Später die Klaviersonate in B-Dur (D 960), Schuberts spätes Vermächtnis. In Buchbinders Händen wurde das Werk zu einer Meditation über Zeit und Vergänglichkeit. Der erste Satz «Molto moderato» mit seinem berühmten Basstriller wirkte wie ein inneres Beben, das aus weiter Ferne kommt und doch alles durchzieht. Das «Andante sostenuto» entfaltete eine fast gebetsartige Qualität; beim «Scherzo. Allegro vivace con delicatezza» bewies Buchbinder Gespür für Schuberts typischen «heiteren Ernst». Das Finale «Allegretto ma non troppo» rundete diesen grossen Bogen ab – brillant, immer verankert in der Innerlichkeit des Ganzen. Buchbinder spielte nicht für das Publikum, er spielte aus einem inneren Raum heraus, der sich nur dann öffnet, wenn man bereit ist, sich selbst zurückzunehmen. Seine Interpretation zeigte einmal mehr, was grosse Kunst ausmacht: dass sie in der Reduktion liegt, nicht in der Effekthascherei.
Der herzliche Applaus mit Standing Ovation am Ende war Ausdruck echter Dankbarkeit für einen Abend, der bewies, dass ein Ort wie Unterägeri, wenn er sich so konsequent der Qualität verpflichtet, zu mehr wird als zur Kulisse – nämlich zu einem Resonanzraum für das, was wirklich bleibt.
Hinweis
Die weiteren Anlässe im Rahmen der Aegeri Concerts finden Sie unter www.keresztesartists.ch.
(Text: Haymo Empl)