Zug – An ihrer Versammlung im März 1926 beschloss die katholische Kirchgemeinde Zug die umfassende Aussenrenovation der St. Oswaldskirche. Exakt ein Jahr später lag ein ausführlicher Expertenbericht vor, der belegte, dass Baumeister Hans Felder 450 Jahre zuvor gute Arbeit geleistet hatte: Mauern, Gewölbe und Zimmerwerk waren noch immer in einem schadlosen Zustand.
Das Hauptaugenmerk der Renovationsarbeiten fiel neben kleineren Notwendigkeiten wie etwa dem Ersatz von Traufrinnen hauptsächlich auf den reichen ornamentalen und figürlichen Aussenschmuck der Kirche. Die Sandsteinstatuen sowie Zierwerk wie Gurten, Konsolen, Masswerke, Gesimse oder Baldachine und über 1600 Quadersteine waren mässig bis stark verwittert und mussten kopiert respektive ersetzt werden. Man war erpicht, die Arbeiten umsichtig zu planen, und holte sich Eindrücke und Rat an mindestens 14 Orten, wo gotische Kirchen gerade renoviert wurden, unter anderem in den Bauhütten von Köln, Freiburg, Zürich und Bern.
Tonnenweise Sandstein vom Lothenbach
Im Herbst 1929 wurde im Garten der gegenüberliegenden Pfrundhäuser St. Anna und St. Konrad direkt unterhalb der Burg von der Baukommission unter dem Kommissionspräsidenten Josef Kaiser eine Bauhütte errichtet, die den Bildhauern und Steinmetzen als temporäre Werkstatt dienen sollte. Da die Hütte als Provisorium geplant war, gab die Stadt damals ihr Einverständnis ohne eine behördlich ausgestellte Baubewilligung. Während der Renovationsarbeiten im Zeitraum von 1933 bis 1939 waren hier namhafte Steinmetze und Fachkräfte tätig, darunter der Tessiner Giovanni Salvadè als leitender Künstler, der Zürcher Georg Michel, der Zuger Wilhelm Hürlimann und Karl Josef Abegg aus Steinen.
Während der etwas mehr als fünf Jahre dauernden Renovation der St. Oswaldskirche wurden in der Zuger «Dombauhütte» Tonnen von Sandstein bearbeitet, vornehmlich aus dem Steinbruch Lothenbach stammend, von wo man bereits Jahrhunderte zuvor Material für den Kirchenbau herangeschafft hatte. Somit entstanden die Figurenkopien aus demselben Material. Gewisse Statuen ohne hohen Kunstwert wie etwa der hl. Konrad und die hl. Barbara wurden durch Neuschöpfungen ersetzt. Die Gesamtkosten der Aussenrenovation von St. Oswald beliefen sich auf 266330 Franken.
Nach Beendigung der Arbeiten wurde die Bauhütte im Garten gegenüber der Kirche nicht wie geplant wieder abgetragen, sondern man liess sie stehen, ungeachtet der nie da gewesenen Baubewilligung. Ab 1943 wurde das Gebäude an den hier auch tätig gewesenen Zuger Bildhauer Wilhelm Hürlimann als Atelier vermietet für 360 Franken (!) pro Jahr. Er verblieb bis 1952 in der Bauhütte, worauf der Steinhauer Andreas Walser aus Oberrieden das Atelier übernahm und hier drei Jahrzehnte lang arbeitete.
Über längere Zeit ungenutzt
Danach verblieb die Hütte ohne aktive Nutzung und diente hauptsächlich als Abstellraum. 2001 überlegte man sich eine Verwendung der Holzhütte und des Gartens als Erweiterung des Museums Burg Zug, liess die Pläne jedoch bald wieder fallen. Die Idee einer Nutzung als Archiv scheiterte an der ablehnenden Haltung der Denkmalpflege. So hielt die einstige Bauhütte weiterhin ihren Dornröschenschlaf und setzte Patina an. Dem Sakristan von St. Oswald diente sie als Geräteschuppen. Die gemalten Glasfenster der Oswaldskirche wurden hier eingelagert, welche um 1866 erschaffen und eingesetzt und bis Mitte des 20. Jahrhunderts wieder entfernt worden waren.
Lange blieb es still um die ehemalige Bauhütte, die von der Kirchenstrasse her hinter der hohen Burgmauer bestenfalls als alter hölzerner Schuppen wahrgenommen wurde. Obschon ein Abriss gelegentlich zur Sprache kam, sah man schliesslich davon ab. Zum Glück! Nach der Bestandesaufnahme historischer Bauten im Kanton Zug im Dezember 2016 kam man zum Schluss, dass die einstige Bauhütte zu St. Oswald allein insofern von Seltenheitswert ist, als solche ursprünglich wegen Zweckgebundenheit nur temporär erstellte Bauten in der Regel wieder aus dem Stadtbild verschwinden. Kommt hinzu, dass die Hütte als eigentliches Provisorium aussergewöhnlich aufwendig konstruiert ist – als vertikal verschalter Ständerbau mit Krüppelwalmdach und zwei Quergiebeln, wovon einer eine Lastenaufzugvorrichtung birgt. Burgbachseitig führt ausserhalb des Gebäudes eine geschlossene Treppe ins Dachgeschoss. Hier finden wir einen Dachstuhl aus Holz, der – wiederum angesichts der Tatsache, dass es sich eigentlich nur um ein Provisorium handelt – durch seine bemerkenswert aufwendige Konstruktionsweise erstaunt. Das Amt für Denkmalpflege spricht von einem Beispiel traditioneller Zimmermannskunst und misst der Bauhütte neben der besonderen historischen und typologischen auch eine grosse architekturgeschichtliche Bedeutung zu.
Historische Kirchenfenster als Wandschmuck
2015 erwog die katholische Kirchgemeinde Zug eine aktive Neunutzung der Bauhütte. 2017 erfolgte die Baueingabe. Umbau und Gesamtsanierung erfolgten nach Plänen des ausführenden Zuger Architekten Hugo Sieber. Die gemäss Architekt vorzüglich erhaltene Bausubstanz sowie das Erscheinungsbild des Gebäudes wurden weitestgehend beibehalten, selbst die alten Ziegel liessen sich mit typengleichen Exemplaren ersetzen. Man entfernte den Kamin und im Inneren die Wand, welche den nun beheizbaren Hauptraum in zwei Teile trennte. Der westliche Dachstuhl wurde geöffnet, um Raumhöhe zu gewinnen. Sanitäre Anlagen und eine vollwertige Küche wurden installiert. Als Besonderheit liess Hugo Sieber im Inneren die zwei besterhaltenen historischen Glasfenster aus der Oswaldskirche in die Wand einbauen und stimmungsvoll hinterleuchten. Die qualitätvollen Glasmalereien zeigen den heiligen Michael und die heilige Elisabeth. Die restlichen Glasfenster, welche teilweise in einem desolaten Zustand waren, liess man von einer Zürcher Fachfirma stabilisieren.
Die etwas verwilderte Fläche zwischen der Bauhütte und der Mauer entlang des Burgbachs wurde in einen schmucken Garten mit Rasen und Kiesflächen umgewandelt – einfach gehalten, dem Charakter der Bauhütte entsprechend. Die Gerätschaften, welche zuvor in der Hütte untergebracht waren, fanden in einem einfachen neuen Schuppen direkt an der Burgmauer Platz. Der einladende, lichtdurchflutete und mit hellem Holz ausgekleidete Saal in der einstigen Bauhütte dient der Kirchgemeinde als multifunktionaler Nutzraum (siehe Text unten). Das Gebäude steht zwar nicht unter Denkmalschutz, wird aber vom entsprechenden Amt offiziell als «schützenswert» eingestuft.
Ein attraktives Mietlokal mitten in Zugs Altstadt
Wo die Steinmetze und Bildhauer einst hämmerten, meisselten und viel Staub aufwirbelten, stehen nun moderne Tische mit entsprechender Bestuhlung. Im selben freundlich gestalteten Saal ist eine stilvolle bordeauxrote Küche mit Anrichte eingebaut. Auf jeder Raumseite ist die Wand durchbrochen worden für je eine Glastür, die ins Freie führt; eine davon direkt in den neu gestalteten, mit Obstbäumchen bepflanzten Garten.
Ambros Birrer von der katholischen Kirchgemeinde Zug und Architekt Hugo Sieber betrachten zufrieden das Resultat der kürzlich vollendeten Renovation: Die einstige Bauhütte zwischen der Kirchenratskanzlei und der Burg ist zu einem modernen, einladenden Veranstaltungsraum umfunktioniert worden mit allem, was es braucht für Anlässe unterschiedlicher Art mit bis zu 40 Personen. Der Naturkautschukbelag im Inneren ist in einem Dunkelgrau gehalten, was an die Farbe des vorherigen Hüttenbodens anlehnt. Sowohl die Hütte als auch der Garten sowie eine der Toiletten sind rollstuhlgängig. Der Dachboden – ein Kaltestrich – dient weiterhin als Stauraum.
Nach der Messe zum Kaffee gleich gegenüber
Die katholische Kirchgemeinde hat die neue alte Bauhütte bereits «eingeweiht», indem die ihre letzte Sitzung hier abgehalten hat. Bauchef Ambros Birrer ist mehr als zufrieden mit dem, was Hugo Sieber aus dem Schuppen gemacht hat. «Sein Vorschlag hatte uns seinerzeit überzeugt», sagt Birrer rückblickend. Die Hütte mitsamt Garten wird auch der Öffentlichkeit nicht verschlossen bleiben. Bereits jetzt fest eingeplant ist, dass hier künftig die Kirchgänger nach der Messe zum Kaffee gehen können. Birrer: «Bislang fand dies jeweils im Pfarreiheim St. Michael oberhalb der Oswaldskirche statt. Nun müssen die Leute nicht mehr den Berg hoch, sondern können direkt gegenüber der Kirche einkehren.»
Auf Anmeldung wird die Bauhütte mitsamt Garten ab kommendem Jahr auch vermietet für Anlässe unterschiedlicher Art, seien es Tagungen, Taufen oder Hochzeiten. Voraussichtlich ganz- und halbtags sowie auch stundenweise. «Der Austausch mit den Leuten hat ergeben, dass die Nachfrage vorhanden ist», sagt Ambros Birrer. Geplant sei, dass das Raumangebot sowie die Mietpreise ab Januar 2019 auf der Internetseite der katholischen Kirchgemeinde Zug ausführlich und anschaulich einseh- und buchbar sein werden, führt Birrer weiter aus.
Einladung zur Besichtigung
Die frisch renovierte und nun fertige Bauhütte von St. Oswald wird der interessierten Öffentlichkeit kommende Woche präsentiert im Rahmen zweier Tage der offenen Türe. Der Kirchenrat lädt am Samstag, 17. Novembersowie am Sonntag, 18. November, jeweils von 10 bis 17 Uhr zur Besichtigung ein. Am Sonntag, 18. November, findet um 11.15 Uhr nach dem Gottesdienst die feierliche Einsegnung des neuen Lokals statt. (Andreas Faessler)
HinweisMit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.