Hatschi! Und Philosophie

Literatur & Gesellschaft

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Auf den ersten Blick ist alles Quatsch. Fidel zwar, aber Quatsch: «Vieles und noch mehr», gereimt von Maria Ursprung und illustriert von Malin Widén.

Zug – Vor allem Kinder, denen man ja eine besondere Freude an Nonsens nachsagt, dürften entzückt sein, wie tollkühn da mit Dingen, Lebewesen und Ideen jongliert wird. Wort und Bild wirken ungekünstelt, fast banal.
Sie ergänzen sich, und manchmal necken sie einander. Der Text ist ein einziges, langes Gedicht. Seine Strophen, zumeist in Vierzeilern gehalten, drehen sich um eine kuriose Aufzählung mehr oder weniger alltäglicher Begebenheiten. «Es gibt Splitter und Pinzetten, Eltern in getrennten Betten.» Auf «Babys, die gern treten,» folgen «Nonnen, die nie beten».
Wer liest und schaut, taucht in eine putzmuntere Welt ein, lockerleicht und schrullig. So etwas kann man problemlos als Bettmümpfeli vorlesen. Allerdings riskiert man, dass die Zuhörenden anschliessend vor lauter Sinnieren kein Auge zutun. Denn zwischen den Zeilen, hinter der Maske verspielt grinsender Harmlosigkeit zwinkern einem grössere Fragen zu. Manche Verse stechen gar ein wenig – wie derjenige mit den Eltern und den Splittern: Stecken da metaphorische Dornen in der Paarbeziehung? Doch was hat die Zeichnung damit zu tun, auf der ein pinzettenbewehrter Vater sich über die Hand der Mutter beugt?
Wie die Äusserungen eines Hofnarren, deren Ulk neben dem vordergründigen Witzfaktor einen tieferen Sinn in sich birgt, reizen auch die scheinbar nebensächlich hingeworfenen, assoziativ verknüpften Reime durch unerwarteten philosophischen Gehalt. Wenn es Ordensschwestern gibt, «die nie beten» – was macht dann stattdessen eine Ordensschwester aus? Ist eine Klosterfrau, die nicht betet, wirklich noch eine Nonne? Werden Menschen durch ihre Tätigkeiten definiert oder durch ihre Gedanken? Durch ihren Beruf, ihre Berufung oder etwas ganz anderes? Anfangs ist es bloss Narretei, dann Poesie, und schwups, schon steckt man knietief in der Philosophie. Da werden Gross und Klein gern mitdiskutieren!
«Vieles gibt’s und ist gegeben, besonders dieses eine Leben, in dem es mehr gibt, als du siehst …» Hatschi! Wie der Reim wohl enden mag? Ich könnte es verraten. Aber dem Geist des Werkes am treuesten bleibt man, wenn man seine Inspiration schweifen, kreiseln und hüpfen lässt, sich den Schluss einfach selbst ausdenkt – und erst nachher vergleicht, was tatsächlich auf der letzten Seite geschrieben steht. (Bitte Nastuch bereithalten!).

Buchtipp von: Ines Trezzini, Pädagogische Hochschule Zug

Bibliografie Maria Ursprung, Malin Widén: Vieles und noch mehr. 32 Seiten. Zürich: SJW 2021. ISBN 978-3- 7269-0354-1.