Rebell mit Ziehharmonika

Dies & Das

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Akkordeon klingt nach Ländler? Lassen Sie sich von diesem Musiker eines besseren belehren. Aber Achtung: Es könnte eskalieren.

  • Hans Hassler am Akkordeon. Bild: Philippe Hubler
    Hans Hassler am Akkordeon. Bild: Philippe Hubler

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Juli/August-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht's zur Ausgabe als PDF.

Etwas Restfeuchtigkeit steckt noch in seinen Haaren. Behelfsmässig zusammengebunden, hängt ihm sein langer Pferdeschwanz über die Schultern und lässt das Karohemd an jener Stelle um einige Nuancen dunkler erscheinen. Hans Hassler ist frisch geduscht, kommt gerade von einer kurzen Tour auf dem Rennvelo zurück, einer Leidenschaft, der er auch im hohen Alter täglich frönt. «Beim Velofahren kann ich am besten nachdenken», erklärt der 73-Jährige. Der Fahrtwind habe schon einige Ideen geboren.Ideen, die wie nebenbei das Substrat für ein ganzes Kapitel Schweizer Musikgeschichte liefern.
Der begnadete Akkordeonist Hassler, seit 1978 in Hagendorn zu Hause, ist ein subtiler musikalischer Haudegen, der seinen Kochlöffel tief in die traditionelle Volksmusiksuppe tunkte, ungehalten darin zu rühren begann und mit den unterschiedlichsten Ingredienzien herumexperimentierte. Das Resultat: schwer zu beschreiben. Eine kräftig blubbernde Mixtur aus Ländler und Freejazz, aus der mit Klassik und Improvisation geschwängerte Rauchschwaden aufsteigen. Also: stilistisch nicht greifbar. Skurril, humorvoll, einzigartig. Hassler hat nichts weniger als das Akkordeon neu erfunden. Und er tut dies jedes Mal neu, wenn er darauf spielt. Überraschend, ziemlich verwegen, immer authentisch.

Planlos zum Ehrenpreis
Für einige hatte er es zu bunt getrieben. Sie nannten ihn einen Spinner. «Das hat mit Handorgel nichts zu tun, meinten sie», sagt Hassler – und zuckt mit den Schultern. Mittlerweile habe sich das gelegt. Heute gilt er als Pionier, der «seinem» Instrument einen völlig neuen Klangkosmos eröffnete und das Akkordeon bis weit über die Grenzen der Ländler- und Schlagerszene ­hinaustrug. Dafür bekommt er heuer den Innerschweizer Kulturpreis.
Und wieder zuckt Hassler mit den Schultern. «Natürlich freue ich mich sehr über die Auszeichnung. Ich empfinde das als grosse Ehre», sagt Hassler und streicht sich über den wuchernden Bart. «Wenn ich mich aber mit den grossen Komponisten vergleiche, dann frage ich mich schon: wieso ich? Ich habe das ja nicht forciert, sondern einfach das gemacht, was mich interessiert. Dass ich ­dafür einen Preis erhalte, ist schon irgendwie erstaunlich.» Das ist nicht falsche Tiefstapelei, sondern zeugt exemplarisch von seinem bodenständigen Naturell und der ungebundenen ­Gelassenheit, die den schelmischen Freigeist umgibt. «Ich bin kein Mensch, der Pläne schmiedet», versichert der fünffache Familienvater. «Der Bart ist nicht gewachsen, weil ich das so wollte. Der Bart ist gewachsen, weil ich aufgehört habe, mich zu rasieren.» Hassler lebt sein Leben, indem er es passieren lässt.

Dabei sah es zumindest musikalisch zu Beginn nach einer gradlinigen Biografie aus. Hassler ist 1945 in Chur geboren und wuchs in einer tra­ditionellen Volksmusikerfamilie auf. Der Vater war Chauffeur und spielte Kontrabass in einer Ländlerkapelle. Mit sieben Jahren machte Hassler seine ersten Gehversuche auf der Handorgel, holte sich Spielpraxis mit Auftritten in Wirtshäusern und gewann früh erste Wettbewerbe.

Als Jugendlicher tourte er mit seinen beiden Brüdern als die «Hassler Buebe» durch die ländliche Schweiz. «Wir waren damals nicht ganz unbekannt», erinnert er sich und lächelt verschmitzt. Seine Berühmtheit wurde gar noch ­gesteigert, als er von 1966 bis 1968 mit dem Schweizer Jodler und Schlagersänger Peter Hinnen («7000 Rinder») durch die Alpfesthütten zog, «inklusive Autogrammstunden», sagt er und wirkt dabei fast ungläubig.

Von der Volksmusik auf Nebengleise
Einer erfolgreichen Karriere als Volksmusiker stand also nichts im Weg. Freigeist Hassler dürstete es aber nach mehr. Sein Interesse an anderen Musikstilen trieb ihn zunächst auf Neben­geleise: «Das musikalische Spektrum des Ak-
­kordeons empfand ich früh als zu einschränkend», erinnert er sich. «Also legte ich es etwas zur Seite, spielte vermehrt Kontrabass und studierte Klavier und Klarinette an der Musikakademie Zürich.»
Es folgten die ersten Kontakte mit Dixieland, mit Klassik, vor allem Bach, und später mit Jazz. Anfang der 1980er-Jahre kam’s zum musikalischen Befreiungsschlag. «Ich hörte den dänischen Akkordeon-Pionier Mogens Ellegaard im Radio spielen. Nur deshalb bin 
ich heute hier», erzählt Hassler und kommt ins Schwärmen. «Sein Spiel hat mich total umgehauen, so etwas hatte ich nie zuvor gehört. Da haben sich ganz neue Welten aufgetan, die weit über die Transkriptionen hinausgingen.»

Avantgarde im Älpler-Chic
Ellegaards Verdienst für das Akkordeon besteht vor allem darin, dass er direkt in die Manufakturen ging und die klangliche Entwicklung des Instruments aktiv vorantrieb. «Er hat massgeblich dazu beigetragen, das Akkordeon als vollwertiges Instrument zu etablieren», betont Hassler. Vor allem aber lieferte er ihm die nötige Hardware, um seinen rebellischen Geist aus dem Balg zu befreien. «Plötzlich hatte ich alle Töne und konnte auf einmal alles in der Art spielen, nach der ich schon so lange suchte.»
Von da an gab es für Hassler kein Halten mehr. Ob im Ländlerquintett, als klassisches Ensemble, Jazz-Combo, mit experimenteller Kleinkunst, musikalischer Lesebegleitung, Theaterarbeit oder Filmmusik – Hassler hat vielerorts angedockt und sich als Künstler auch fernab der Landesgrenzen längst einen Namen gemacht. «Ich glaube, es liegt in meinem Wesen, dass ich mich für vieles interessiere. Und wenn mich etwas interessiert, dann mache ich das einfach.»
Hans Hassler ist ein Avantgardist Im Älpler­kostüm, der den Ländler eskalieren liess. Ein authentischer Grenzgänger und begnadeter Freispieler, der das Leben nimmt, wie es kommt. «Langsam merke ich, wie die Tage kürzer werden», sagt der 73-Jährige. «Vormittags auf dem Velo, nachmittags ein Interview. Und ehe man sich fragt, was man den ganzen Tag so gemacht hat, ist dieser auch schon zu Ende.» Das Lächeln, das sich hinter dem mächtigen Bart versteckt, wandert in seine Augen, um dennoch gesehen zu werden. (Philippe Bucher)