Bilder von dazwischen

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Eine Zuger Fotografin hat in München Fotografien von ehrlichen Menschen ausgestellt. Und damit ein erstaunlich exotisches Motiv gefunden.

  • Das ist nicht Nussbaumer. Die schaut grad durch die Linse. Bild: Nora Nussbaumer
    Das ist nicht Nussbaumer. Die schaut grad durch die Linse. Bild: Nora Nussbaumer
  • Und so sah das aus an der Photo 19 in München.
    Und so sah das aus an der Photo 19 in München.
Zug – Von Lionel Hausheer. Dieser Text ist in der Dezember-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Es sind die kurzen Momente zwischen den Posen, in denen die Menschen ihre Masken fallenlassen. Und wer ein gutes Auge hat, sieht das Echte dazwischen. Nora Nussbaumer hat das gute Auge und versucht genau, in diesen Momenten den Auslöser zu drücken.
Die Zuger Fotografin konnte Anfang November an der Photo 19 in München ausstellen. Es sind erste Bilder einer Serie, die noch in ihrem Studio in Steinhausen am Entstehen ist. «Es geht darum, dass die Personen die Angst vor der Kamera verlieren», sagt Nussbaumer.

Der verkehrte Anfang
Sie nimmt sich Zeit für ihre Modelle, alle sollen sich wohl fühlen. Sie experimentiert mit der Anzahl Personen am Set, mit Tages- oder Blitzlicht. So erwischt Nora Nussbaumer die Menschen manchmal mitten dazwischen. Im Übergang, balancierend auf dem Grat zwischen zwei Posen. Sie sehen schön aus dabei.
Grenzübergänge scheint Nussbaumer zu mögen. Bereits der Anfang ihrer Karriere war ein Seitenwechsel. Denn aus heutiger Perspektive begann alles auf der verkehrten Seite: als Model vor, statt hinter der Kamera. Die Faszination für Bilder zog sie jedoch zuverlässig an und sie erinnerte sich dabei, wie sie schon früher mit der Kamera des Grossvaters zu fotografieren begann. Sie begann, anderen Fotografen zu assistieren, nur selten stand sie noch selber vor der Kamera und wechselte so sanft die Position. Der letzte Schritt war trotzdem hart.

Unsicherheit in Kauf genommen
«Es war ein Risiko, Fotografin zu werden.» Sich mit 25 Jahren für einen kreativen Job zu entscheiden, heisst, viele Unsicherheiten in Kauf zu nehmen, die sie als angestellte Hochbauzeichnerin nicht kannte. Trotzdem: Ihr habe die kreative Seite im Job gefehlt. «Ich hatte den Drang, etwas auszudrücken, etwas zu verändern.» Vier Jahre nach den ersten Assistenzjobs hinter der Kamera war der Grenzübergang komplett. Nora Nussbaumer begann die Ausbildung zur Fotografin. Ihre Abschlussarbeit der Ausbildung konnte Nussbaumer unter anderem an der Photo 18 in Zürich ausstellen, der grössten Werkschau der Fotografie in der Schweiz. Dort knüpfte sie den Kontakt, der sie Anfang November an die Photo 19 in München brachte.

Aufträge, um frei zu bleiben
In Zürich zeigte Nora Nussbaumer Porträts, in welchen sie die gemeinsame Entwicklung von Malerei und Fotografie untersuchte. «Eine sehr konzeptuelle Arbeit», sagt sie heute darüber und meint damit wohl auch, dass die analytische ­Herangehensweise, zwar von der Ausbildung ­gefordert, aber eigentlich nicht ganz ihr Stil ist. «Wenn mich ein Thema interessiert, fange ich an mich einzulesen und bekomme so einen Impuls, den ich dann in Bilder umsetzen will.»

Neben eigenen Projekten arbeitet Nora Nussbaumer auch an kommerziellen Aufträgen. Was nach einer lästigen Pflicht klingen könnte, sieht die Fotografin ganz anders. Schon in der Zeit vor ihrer Fotografie-Ausbildung habe sie diese Art zu arbeiten gesucht. Sie habe mehrmals eigene Mappen an die Aufnahmeprüfungen von Kunsthochschulen geschickt. Nicht, weil sie ernsthaft ein Studium dort beginnen wollte. Nur weil sie die Aufgaben mochte.

Ähnlich sei es heute mit Aufträgen aus der Werbung. «Dort kann ich teilweise so konzeptionell arbeiten, wie ich das bei meinen eigenen Pro­jekten bewusst vermeide», sagt sie. Das Zuger Neujahrsblatt hat sie beispielsweise um Bilder gebeten, die Bewegung in Zug zeigen. Nora Nussbaumer hat Bilder von leeren Orten gemacht, die aber eigentlich für Bewegung angelegt sind. Zu sehen sind ungewohnt stille Plätze. Und darin die Möglichkeit auf Bewegung. «Ich brauche die Aufträge von aussen, um in meinen eigenen Projekten kreativ zu bleiben. Umgekehrt muss ich eigene Projekte haben, um gute Aufträge abzuliefern», sagt sie. Was auf andere wie eine Grenze wirken mag, überspringt Nora Nussbaumer geniesserisch.

Die Momente dazwischen
Die neuste Serie von Nora Nussbaumer dehnt die Trennfuge zur Szene. Ihre Porträts zeigen Menschen, wenn sie von einer erprobten Haltung in die nächste wechseln. Es sind Bilder von ehrlichen Momenten. «Es ist für mich gruselig zu sehen, wie schnell Kinder vor der Kamera in eine Pose verfallen.»

Einerseits seien sich viele die Präsenz von Kameras so gewohnt, dass man ganz selbstverständlich auf eine Reihe bewährter Körperhaltungen zurückgreife. Anderseits höre sie den Satz «Ich werde nicht gerne fotografiert» noch immer sehr oft, erzählt sie.
In den Sitzungen für die Serie probiert Nussbaumer viele verschiedene Dinge aus, jede Session muss neu auf das Modell abgestimmt sein. Da versucht Nussbaumer, mit vielen Leuten ein Gewusel im Studio zu kreieren. Dort posiert das Modell mit den eigenen Kindern.

Atmosphäre ist alles
«Es geht bei Porträts ganz stark um die Atmosphäre im Studio», sagt Nora Nussbaumer. Und an dieser Atmosphäre ist sie bei dieser Serie besonders interessiert. «Ich will dem Modell nichts aufdrängen, ich will herausfinden wie ich und die Modelle zusammen funktionieren. Wie ich die richtige Stimmung für jede Person schaffen kann.» Was Nussbaumer sucht, scheint sie teilweise schon gefunden zu haben. Besucher der Photo 19 in München erzählen, wie sie 
an den verhältnismässig schlichten Porträts ­regelrecht hängen geblieben seien. Ehrlichkeit scheint eine verblüffende Wirkung zu haben. Wenn man sie denn erwischt.