Emil begeisterte mit seinen Klassikern
Theater & Tanz
Der Lorzensaal feierte gestern Abend eine 82-jährige Kabarettlegende: Emil Steinberger zog beim ersten Zentralschweizer Auftritt seiner aktuellen Tournee alle Register.
Cham – Wenn der Lorzensaal in Cham bis auf den letzten Platz ausverkauft ist, muss etwas Spezielles los sein. Und das ist er an diesem Abend auch: Emil tritt mit seinem neuen Programm «No einisch» auf, in einem fulminanten Zwischenstopp auf seiner grossen Schweiz-Tournee.
Alter charmant thematisiert
Selten ist ein Publikum altersmässig so durchmischt wie gestern Abend, viele Zuschauer waren noch nicht geboren, als Emil mit seinem Programm bereits Erfolge feierte. Steinberger ist jetzt 82 Jahre alt, und er versteht es, sein Alter gleich zu Beginn des Programms zu thematisieren. Dies macht er charmant und klug. Auftakt: Ein etwas schusseliger Garderobier meldet sich auf der Bühne und lamentiert über einen fehlenden Garderobenhaken. Dies tut er endlos und – wie fast jede Figur von Emil – liebenswürdig.
Was dann folgt, ist Emil in Höchstform, mit Spiellaune, mit gedehnten Vokalen, verschluckten Silben, eine Figur, durchkomponiert exakt bis ins Detail. Bereits nach wenigen Sekunden der erste Lacher, und nach weiteren Sekunden ist klar, dass Emil das Publikum auf seiner Seite hat. Der Garderobier wird abgelöst von Emil, der als Emil Steinberger auftritt. Und dieser erklärt, dass der Garderobier sich halt im Alter noch ein Zubrot verdienen müsse, denn die AHV reiche nicht. (Und ausserdem würde er noch Ergänzungsleistungen wegen eines Militärunfalls beziehen).
Spiel mit Identitäten
Bereits an dieser Stelle gelingt Emil Steinberger Unglaubliches: Er verwischt die Bühnenfigur Emil mit seiner eigenen. Und dies gelingt. Dieses Spiel mit Identitäten – auch seiner eigenen – ist ein gewagtes; oft funktionieren solche Binnenerzählungen auf verschiedenen Ebenen nämlich nicht. Bei Emil tut es das, und zwar perfekt. Man vergisst glatt, dass Emil Steinberger eigentlich seit 28 Jahren erstmals wieder als Emil auf der Bühne steht.
100 Auftritte im nächsten Jahr
Dass Steinberger mit 82 Jahren – an die 100 Auftritte sind geplant – manchmal jeden Abend auf der Bühne steht, ist erstaunlich. Das ist auch körperlich eine absolute Höchstleistung. Steinberger strahlt eine unglaubliche Energie aus und fasziniert mit enormer Präsenz. Da wirkt nichts auswendig gelernt, nichts konstruiert – und dennoch sitzt jede Pointe. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Steinberger für seine Figur Emil enorm lange an den Nummern gefeilt hat, entsprechend funktioniert jede.
Wenn es einem während des Abends langweilig würde, gäbe es hier im Saal ja einiges zu beobachten, leitet Steinberger zur nächsten Nummer über. Als Emil Steinberger, nicht als Bühnenfigur. Man könne beispielsweise die Vorhänge im Lorzensaal beobachten, die seien doch hübsch. Er hätte während seiner Zeit in New York auch viel beobachtet ... und dann streut Steinberger entsprechend eine private Anekdote aus jener Zeit ein, um dann direkt wieder Emil das Parkett zu überlassen. Gerade bei solchen Übergängen wird klar, dass Steinberger alleine mit seiner Sprache und seiner Mimik Unglaubliches vollbringen kann: Er erschafft die Illusion, seine Figuren seien real. Keine Lichtshow, keine aufwendige Maske. Steinberger reicht eine Mütze, ein Jackett oder eine Brille.
Schlag auf Schlag dann die Kirche von Wassen, der Parkierer, Wachtmeister Schnyder, der Vorstandsvorsitzende ... Eine Nummer folgt auf die nächste, und alle kennen sie, manche im Publikum sprechen einzelne Passagen sogar mit. Und hier fällt auch auf, wie akkurat Emil das Schweizerdeutsch pflegt. Keine Germanismen, dafür ein unglaublich schönes Spiel mit Dialektwörtern.
Auch politisch und subversiv
Nach einer Stunde dann die Pause, auf dem Büchertisch im Foyer eine Werkschau von Steinberger: viele Bücher, einige Filme und natürlich auch die DVD der «Schweizermacher». Wie politisch Emil ist, wie subversiv, das zeigt sich in seinen Nummern meist erst auf den zweiten Blick. Und auch das ist einzigartig: Emil funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Wer will, kann Schenkelklopferhumor wahrnehmen, wer etwas weiter geht, sieht das System in Frage gestellt, und manche freuen sich einfach, dass Emil es schafft, die helvetische Kultur liebenswert zu reflektieren. Dies gelingt ihm mit verschiedenen dramaturgischen und rhetorischen Mitteln, es gelingt ihm aber immer. Beispielsweise bei einer Stammtisch-Erzählung: Emil steigt dort nicht direkt in die Figuren ein, sondern schiebt quasi die indirekte Rede vor. Dadurch schafft er eine Distanz zu den Redenden. Das ist nicht mehr Emil, der Verschrobene, das ist im Falle dieser Nummer astreiner politischer Kommentar.
Steinberger steht gestern beinahe zweieinhalb Stunden auf der Bühne und gibt noch zwei Zugaben. Nicht eine Sekunde spürt man, dass der Kabarettist eigentlich schon längst pensioniert wäre. Das Publikum bedankt sich für «No einisch» mit frenetischem Applaus. (Haymo Empl)