Der «Fenstergucker» von Zug
Kunst & Baukultur
Von der Strafanstalt Zug blicken uns Gesichter entgegen. Viele von ihnen sind mittlerweile überwachsen. Das Kunstwerk ist aus der Zusammenarbeit mit einem russischen Künstler hervorgegangen.
Zug – Die strassenseitige Sichtbetonwand der Strafanstalt Zug ist mittlerweile so dicht mit Ranken Wilden Weines bewachsen, dass sich einem ein besonderes Detail entzieht: Schaut man aber aufmerksam hin, findet man eine Art Fenster im dichten Blätterkleid. Daraus blickt uns ein Mann entgegen. Der Herr schaut entspannt, irgendwie nachdenklich, vielleicht mit Sehnsucht in den Augen. Das Gesicht ist eines von vielen auf der Wand hinter dem Pflanzenwuchs. Nur dank der Aussparung ist dieses eine hier an dieser Schauseite überhaupt zu sehen.
Die Strafanstalt Zug am Aabach ist 2002 fertiggestellt und in Betrieb genommen worden. Der russische Künstler Pavel Pepperstein (*1966), welcher als eine Leitfigur der jüngeren Moskauer Kunstszene gilt, hatte den Auftrag für ein Kunst-am-Bau-Projekt an und in der neuen Einrichtung erhalten.
Pepperstein kommt nach Zug
Wie aber ist es überhaupt dazu gekommen, dass ein international tätiger Russe hier in Zug am Werk war? Über die Berlinerin Gabriele Leupold, welche 1997 das erste Zuger Übersetzerstipendium erhalten und unter anderem Werke von Pavel Pepperstein vom Russischen ins Deutsche übersetzte hatte, ist es zum Kontakt zwischen dem Kunsthaus und dem Künstler gekommen. In der Folge war Pepperstein wiederholt in Zug auf Besuch, stellte hier auch seine Kunst aus, und schliesslich kam es zur Zusammenarbeit, aus der die Wandmalereien in schwarzer Acrylfarbe am Aabach hervorgingen.
Pepperstein hat unterschiedliche Gesichter mit Pinsel und Acryl direkt auf den nackten Beton gemalt. Mit einfachen, schnellen Strichen und gezielten Schattierungen sind sehr ausdrucksstarke Charakterköpfe von Frauen und Männern entstanden. Diese lassen sich zum einen als diejenigen der Gefangenen interpretieren, zum anderen können sie jedoch auch Spiegel unser selbst sein, die wir in Freiheit leben und die Wand betrachten. Vielleicht als Mahnung, mit dem Gesetz nicht in Konflikt zu kommen?
Durch die abschirmenden Weinblätter haben sich die Acrylmalereien an der strassenseitigen Wand über die Jahre hinweg recht gut erhalten. Diejenigen an der unbewachsenen Wand zum Bahndamm hin sind durch Wind und Wetter weitgehend verblichen und nur noch bruchstückhaft vorhanden. Das war jedoch ganz im Sinne des Künstlers, ist doch nichts ewig, und so werden auch die Menschen hinter den Gittern am Aabach nicht für immer dort bleiben.
Von der Hölle zum Himmel
Das Kunst-am-Bau-Werk von Pepperstein setzt sich im Inneren des Gebäudes fort, wovon an dieser Stelle schon einmal zu lesen war («Hingeschaut» vom 17. Oktober 2012). Diese Malereien hingegen – sie befinden sich in den gemeinschaftlich genutzten Räumen auf allen Stockwerken – sollten Bestand haben, weshalb Pepperstein hier eine Farbmischung verwendet hat, welche sich mit dem Beton fest verbindet.
Wie die Gesichter an der Aussenwand haben auch die Malereien im Inneren der Strafanstalt eine Bedeutung. Sie symbolisieren «Gut und Böse» respektive «Himmel und Hölle». Die Darstellungen zeigen im untersten Geschoss dämonenartige Wesen, ein Stockwerk höher sind Tiere und Landschaften zu sehen, im nächsten Menschen, noch eins höher Engelwesen und und ganz oben Götter. Die Malereien sollen tröstend und motivierend wirken.Das gesamte Projekt mit Pepperstein am Aabach geht auf eine Initiative des Kunsthauses Zug zurück und ist als Schenkung dessen an den Kanton zu verstehen. (Text von Andreas Faessler)