Ein Wolf empfängt illustre Gäste

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Der Zuger Bildhauer Wilhelm Schwerzmann hat eine der bemerkenswertesten Jugendstilbauten Zürichs gestaltet.

  • Wilhelm Schwerzmanns Fassadengestaltung mit dem Wolf. (Bild Andreas Faessler)
    Wilhelm Schwerzmanns Fassadengestaltung mit dem Wolf. (Bild Andreas Faessler)

Zug – Wer einst in der Zürcher Kunstszene unterwegs war und auf dem Laufenden sein wollte, kam am «Kunstsalon Wolfsberg» nicht vorbei. Die Galerie im Haus Bederstrasse 109 im oberen Stadtzürcher Enge-Quartier repräsentierte alles, was national und international Rang und Namen hatte. Gegründet hatte den Kunstsalon 1911 der Lithograf Johann Edwin Wolfensberger (1873–1944), dies in seinem 1910 erbauten Geschäftshaus «Zum Wolfsberg» an genannter Adresse, wo er zudem residierte und eine Druckerei, die «Graphische Anstalt J.E. Wolfensberger», betrieb.

Wolfensberger konnte dank seines bestens rentierenden Plakat-Druckunternehmens ein ansehnliches Vermögen anhäufen und es sich leisten, arrivierte Künstler, aber auch noch unbekannte Angehende mit Entwürfen für seine Plakate zu beauftragen. Im Kunstsalon des Hauses ging die aufstrebende Elite der damaligen Zeitgenossen ein und aus. Adolf Dietrich, Cuno Amiet, Ferdinand Hodler, Ernst Ludwig Kirchner, die Giacomettis, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Heinrich Campendonck, Max Beckmann, Lovis Corinth, Max Liebermann oder Max Slevogt waren nur einige der Exponenten, welche in Wolfensbergers Zürcher Jugendstil-Tempel ihre Neuschöpfungen der Schweizer Öffentlichkeit vorstellten.

Hochstehende Qualität – innen wie aussen

Das stattliche Gebäude an der Bederstrasse beherbergte im Erdgeschoss die Maschinenräume der Druckerei, im ersten Stock fanden sich die Zeichenateliers und Büroräumlichkeiten, der Kunstsalon lag im zweiten Obergeschoss, und darüber waren die Wohneinheiten. Der bald auch in der internationalen Kunstszene wohlbekannte Hausherr Wolfensberger legte rundum Wert auf hochstehende Qualität, sowohl was seinen Druckereibetrieb als auch die Kunstgalerie betraf. Selbstredend sollte sein von den Zürcher Architekten Jakob Haller und Carl Schindler erbauter «Wolfsberg» auch gegen aussen eine Gattung machen. Für die Gestaltung der bemerkenswerten Fassade des abgerundeten Eckhauses beauftragte der Bauherr den Zuger Bildhauer Wilhelm Schwerzmann (1877–1966).

Auf den ersten Blick wirkt das sechsgeschossige Gebäude mit seinen Erkern und zahlreichen Lukarnen im hoch aufragenden Steildach wie eine Trutzburg. Doch aus der Nähe betrachtet erschliesst sich einem die dekorative Kleinteiligkeit der von Schwerzmann ornamentierten Fassade. In mehreren Parapetfeldern unterhalb der Fenster am grossen Runderker wie auch der Längsfassaden sind verspielte Reliefs eingelassen. In einem von ihnen liest man «Zum Wolfsberg 1910». Wie für den Jugendstil typisch, entlehnt Schwerzmann seine Ornamente hauptsächlich der Natur. Es sind in diesem Fall weniger die populären floralen Elemente mit viel Blattwerk, sondern die Details scheinen eher vom Bereich der Hülsenfrüchte und des Getreides inspiriert. Zuweilen überhöhte, leicht wulstige und sich kettenartig aneinander reihende Formen mit rustikaler Oberfläche tragen mitunter die Charakteristika des Schweizer Heimatstils in sich.

Die Handschrift Schwerzmanns

Wilhelm Schwerzmanns gestalterische Arbeit liess sich seit jeher keinem allgemeinen Stil zuordnen. Er bediente sich neobarocken Ideen, tendierte dann wieder zum Expressionismus, später lehnte er sich der Neuen Sachlichkeit an. Er entfaltete seine Kreativität mehrheitlich aus dem Moment heraus – wie ihm der Sinn gerade stand. Und dennoch zieht sich eine gewisse Handschrift wie ein roter Faden durch sein Werk, anhand derer man sein Schaffen erkennt. Am «Wolfsberg» wird dies besonders deutlich bei der Gestaltung des Haupteingangs auf Seite der Bederstrasse. Dieser unterschiedet sich allein durch seine dunklere Farbe von der Fassade. Im Feld über der Tür steht in einer Nische in ruhender Stellung ein grosser Wolf als Wappentier der Wolfensberger und Namensgeber des Gebäudes. Versehen ist die «Wolfsnische» mit kordelartigem Steingeflecht. In der oberen rechten Ecke sind das kunstvoll ligierte Monogramm Schwerzmanns und die Jahreszahl 1915 zu lesen. Blick und Haltung des Wolfes sind schwierig zu interpretieren. Er fixiert den Ankommenden mit seinen Augen – neugierig, vielleicht skeptisch, gar misstrauisch.

Seine Tierliebe – in Stein gemeisselt

Jedenfalls hat kaum eine andere Tierfigur in Zürich eine solche Vielzahl an illustren Persönlichkeiten der Kunstwelt unter sich hindurchgehen sehen wie der «Wolfsberg»-Wolf. Wilhelm Schwerzmann und die Tiere; das müsste vor allem den Chamern bekannt vorkommen: Von ihm – Schwerzmann hatte in Cham das Bürgerrecht – stammt der sogenannte «Tierli-Brunnen», eine Art Chamer Wahrzeichen. Schwerzmann hat ihn 1935 geschaffen, wonach er lange Zeit vor dem ehemaligen Gasthaus Neudorf gestanden hat, später mit dem Bau des Neudorfcenters aus dem Ortsbild verschwunden und 2009 an seinem heutigen Platz beim Schulhaus Kirchbühl wieder aufgebaut worden ist («Hingeschaut» vom 24. August 2016). Der Brunnen war ein Geschenk des Künstlers an die Ennetseer Gemeinde.

Die erklärte Tierliebe des Zuger Bildhauers schlägt sich also immer wieder in seinem aussergewöhnlichen Werk nieder. Am Haus «Zum Wolfsberg» beschränkt sich die Repräsentation der Fauna nicht nur auf den grossen Wolf im Türsturz: Tritt man in die Vorhalle des Eingangs, sieht man zu seinen Seiten je zwei Doppel-Rundnischen mit anthropozoomorphen Fi­guren, sprich Mensch-Tier-Mischwesen; Vier nackte Menschengestalten tragen Tierköpfe, eine davon in Rückansicht mit langem Schweif.

Wilhelm Schwerzmann hat an der Bederstrasse 109 einen wertvollen Beitrag an die vielfältige und reiche Jugendstilarchitektur der Stadt Zürich der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts geleistet. Die Fassade des Hauses «Zum Wolfsberg» und ein grosser Teil der Innenräume stehen heute unter Denkmalschutz. Der einst einflussreiche Zürcher Kunstsalon wie auch die Druckerei wurden 2007 von den beiden Söhnen Wolfensbergers aufgegeben und das Gebäude verkauft.

In Davos stehen die meisten Schwerzmann Werke

Da Wilhelm Schwerzmann sein Atelier einige Jahre in Zürich hatte, wird er auf der Hinweistafel am Gebäude Bederstrasse 109 – faktisch inkorrekt – als «Zürcher Bildhauer» bezeichnet. Ohnehin hatte Schwerzmann zum Zeitpunkt seiner Arbeiten am «Wolfsberg» den Wohnsitz bereits hauptsächlich ins Tessin verlegt, ab 1915 lebte und arbeitete er in Minusio, also war der Zuger – wenn schon – vielmehr Tessiner als Zürcher. Nachdem die Gemeinde Davos 1916 Schwerzmanns Landi-Brunnen erworben hatte, erwuchs eine enge Kooperation zwischen dem Zuger Künstler und dem Bündner Kurort. In Davos findet sich heute die dichteste Konzentration von Schwerzmann-Werken im öffentlichen Raum – Hauptsächlich Brunnenanlagen, viele davon mit Tier- und Genremotiven.

Wilhelm Schwerzmann starb am 7. Juni 1966 in Orselina oberhalb Locarno. Er war zeitlebens ein ausgeprägter Freigeist, was sich bereits während seiner Kindheit in Zug abgezeichnet hatte: An der streng katholisch geführten Schule schenkte man dem kreativen Talent Schwerzmanns kaum Beachtung, was in ihm eine starke Aversion gegen die Kirche und damit einhergehend einen enormen Drang nach persönlicher und gestalterischer Freiheit auslöste. Diese Entwicklung beeinflusste schliesslich sein gesamtes Schaffen. Dass der Zuger Bildhauer Wilhelm Schwerzmann heute zum unrühmlichen Reigen der vergessenen Künstler gehört, ist freilich zu bedauern. Immerhin: Mittlerweile haben einige Schweizer Institutionen die Qualität seines Werkes erkannt und ihn in ihre Sammlungen aufgenommen. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.