«Liquid Families»: Zeitgenössisches Theater im Casino

Theater & Tanz

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Ein ungewöhnliches Bühnenprojekt tritt am Wochenende auf: Eine klingende Installation mit Profis und Zuger Laien.

  • «Liquid Families»: Das zentrale Thema ist das Zusammensein. (Bild Julie Masson/zvg)
    «Liquid Families»: Das zentrale Thema ist das Zusammensein. (Bild Julie Masson/zvg)

Zug – Etwa siebzehn Frauen und Männer, jüngere und ältere – Körper aller Art – bewegen sich auf der Bühne. «Liquid Families» ist sichtbar eine Choreografie, aber keine getanzte, wie man sie sich traditionellerweise vorstellt: Die Bewegungen sind alltäglich, Gehen, Laufen, Kriechen, Sich-Begegnen, gestisches Kommunizieren; sie wirken zufällig, improvisiert, haben aber einen klaren Zweck, ein Ziel – den Bau einer fantastischen und raumfüllenden floralen Installation, die vom Künstlerpaar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger stammt.

Zu diesem visuellen Ablauf gesellt sich eine Tonspur in Form einstudierter und improvisierter Lieder, gesummten Konsonanzen und Dissonanzen, also Musik; und überhaupt wird die Stimme mit all ihren Möglichkeiten ausgelotet. Die Darstellenden bilden gleichsam einen Chor, der in ständiger physisch-vokaler Auseinandersetzung die Beziehungen untereinander laufend verändert. «Performance» ist wohl das beste Wort, um dieses sich jeden Abend neu entwickelnde Bühnenstück genremässig einzuordnen.

Zuhören wichtiger als das Tun

Das zentrale Thema ist das Zusammensein, die Gruppe oder Community, das gemeinsame Singen, Hören und Erschaffen. Die im Kanton Zug aufgewachsene und heute in Lausanne lebende Choreografin Nicole Seiler (53) beschäftigt sich schon länger damit: «Wichtiger als das Singen oder das Tun ist mir das Zuhören. Das Individuum hört sich selbst zu, aber auch den anderen, dabei gibt es Reibung, Konflikte und Lösungen. Das ist eine aktuelle, grosse Thematik, aber auch ein persönliches Anliegen. Es handelt sich um etwas sehr Einfaches und gleichzeitig höchst Anspruchsvolles.»

In «Families» entsteht Identität, Zugehörigkeit. «Es ist berührend, wenn es den Menschen auf der Bühne gelingt, wirklich zuzuhören», so Seiler. Wenn sich die Teilnehmenden inklusive Publikum ernsthaft darauf einlassen, können magische Momente entstehen. Zugehörigkeit, und damit Identität, muss jedoch «liquid», fluid, beweglich bleiben; man kann ja auch gleichzeitig zu verschiedenen Gruppen gehören.

«Liquid Families» wurde 2022 in der Romandie mit Erfolg uraufgeführt. Als Koproduktion mit dem Theater Ca­sino und der Kaserne Basel kommt das zeitgenössische Stück nun mit zwei Aufführungen nach Zug. Für die Neueinstudierung wurden Zuger Laien gesucht und seit April an Wochenend- und Intensivproben auf die Aufführungen vorbe­reitet. Performance-Profis aus Lausanne ergänzen sie.

Installationen sind lebendige Objekte

Die international bekannten bildenden Künstler Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, deren Rauminstallation am Ende des Abends die Bühne einnimmt, verstehen ihre Kunst nicht als nach der Premiere fixierte Werke, sondern als lebendige Objekte, die sich weiterentwickeln. Kunst als Prozess.

Seit 1997 erschaffen sie gemeinsam immersive Installa­tionen, in denen das Publikum eingeladen ist, in fantastische Pflanzenwelten einzutauchen oder an Experimenten teilzunehmen. Dabei simuliert das Paar in seinen bisherigen Werken Biodiversität und schafft so auf spielerische Weise ein ökologisches Bewusstsein bei den Betrachtenden.

Das passt gut zu Nicole Seilers Ideen: «Liquid Families» funktioniere nach Regeln, bleibe jedoch über circa 210 Minuten offen für Weiterbewegung. Jeden Abend entsteht quasi ein einmaliges Werk. Das Publikum erlebt die künstlerische Produktion «jetzt» und «jetzt», in lebendig-körperlicher Gegenwart. Es darf dabei frei entscheiden, wann es zusehen oder eine Pause für einen Drink einlegen will. Dass diese prozesshaften Bühnenprojekte eine «longue durée», «lange Zeit» einnehmen, gehört zum Konzept. «Zusammen mit der Einfachheit der Vorgänge verstehe ich das als Reaktion auf die exorbitante Beschleunigung unserer Zeit», erklärt Seiler, «überall ist dieses Rennen, im Produktiven und im sozialen Leben. Tempo setzt Menschen immer mehr unter Druck.»

So schafft Kunst einen Abend lang eine Zeit-Insel, in der die Betrachtenden zurückfinden zur Langsamkeit und zu den inneren Räumen, die sich auftun, wenn man sich darauf einlässt. Vielleicht geschehen dann auch im Theater Casino magische Augenblicke. (Text von Dorotea Bitterli)

 

Hinweis 

«Liquid Families» wird im Theater Casino aufgeführt morgen um 19 Uhr (mit Einführung um 18.15 Uhr) und am Sonntag um 17 Uhr. Infos und Tickets: www.theatercasino.ch/liquid-families.