Kokettieren mit der Volksmusik

Film & Multimedia, Musik

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Der Zuger Mathias Landtwing steht vor einer grossen Aufgabe. Der Klarinettist und Komponist soll fürs Duo Lapsus der Volksmusik mit Humor begegnen - ohne sich über sie lustig zu machen.

  • Palettenberge und Musiker: Alles bereit für die Proben. (Bild: Nora Nussbaumer)
    Palettenberge und Musiker: Alles bereit für die Proben. (Bild: Nora Nussbaumer)
  • Mathias Landtwing steht vor einer grossen Aufgabe. (Bild: Nora Nussbaumer)
    Mathias Landtwing steht vor einer grossen Aufgabe. (Bild: Nora Nussbaumer)
Zug – Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Mathias Landtwing ist derzeit viel beschäftigt. Beim Zoom-Gespräch, das wir mit dem Zuger Klarinettisten und Komponisten führen, sitzt dieser in einem der Gänge der Zürcher Maag-Halle, in der gerade Proben stattfinden. Im Hintergrund hört man Menschen sprechen und ab und zu auch ein Scheppern. «Heute ist das erste Mal, wo wir uns alle physisch treffen», sagt er. Es ist unschwer zu erkennen, dass er aufgeregt ist. «Soll ich dir eine Tour geben?», fragt er prompt, hebt den Laptop hoch und läuft flugs mitten auf die Bühne. Dort türmen sich Europaletten zu abenteuerlichen Konstrukten, hier und da spaziert ein Bühnenbauer durchs Bild und winkt, im Hintergrund steht ein Artist, auf dessen Nase ein Besen balanciert. Im grossen Zuschauerraum, der im Hintergrund sichtbar wird, herrscht noch gähnende Leere.

Ein kleiner Shitstorm hat geholfen
Wir befinden uns – zumindest virtuell – mitten in den Proben der Weihnachtsshow des Komiker-Duos Lapsus. 25 Mal wird hier im Dezember und Anfang Januar «Circus Lapsus Helveticus» gespielt, eine Riesenkiste, bei der Landtwing eine wichtige Aufgabe zukommt: Er ist der musikalische Leiter der siebenköpfigen Band, welche die Shows jeweils live begleitet. Damit nicht genug. Viele der Stücke hat Landtwing gleich selber geschrieben.
Wie der 36-Jährige zu dieser verantwortungsvollen Aufgabe kommt? Dafür muss man etwas ausholen. Denn für das Engagement verantwortlich ist nicht zuletzt eine SRF-Ausstrahlung vor sechs Jahren. Bei einer Spezialausgabe der Ländlersendung «Potzmusig» war «der neue Stern am Klarinetten-Himmel» als Gast eingeladen. «Ich wurde dafür angefragt und sagte nur unter der Bedingung zu, dass ich nicht nur Ländler spielen, sondern einen Querschnitt meines aktuellen musikalischen Schaffens präsentieren kann.»

Musikalische Wundertüte
Wer sich die Sendung heute ansieht, bemerkt insbesondere zwei Dinge. Erstens: Der damals 30-Jährige ist ein Ausnahmetalent und eine musikalische Wundertüte. Vom typischen Ländler über die gewagte, Free-Jazz-nahe Improvisation bis hin zum Klezmer scheint dem Klarinettisten alles zu liegen. Zweitens: Das improvisierte Stück schien einigen im Publikum nicht ganz geheuer zu sein.
«Ich habe nach der Sendung einen kleinen Shitstorm geerntet und befürchte, dass dies einer der Gründe sein könnte, weshalb ich oder meine Ländlerkapelle ‹Gläuffig› bis Februar 2021 nicht mehr vom SRF eingeladen wurde», sagt er. «Doch weil ich damals in der Sendung etwas riskierte, habe ich nun die Chance, dieses tolle Projekt zu machen.»
Lapsus kam nämlich aufgrund ebendieser Sendung auf Landtwing zu. «Sie suchten für Circus Lapsus Helveticus jemanden, der zwar von der Volksmusik kommt, diese jedoch weiterent­wickeln und mit ihr kokettieren kann.» Er stellt gleich klar: «Und das, ohne sich über sie lustig zu machen.»

So funktioniert die Parodie
Mit der Volksmusik kokettieren? Weil es schwierig ist, sich das vorzustellen, schickt uns Landtwing sogleich eine Kostprobe der Show-Musik. Alles beginnt urchig mit drei Talerschwingern. Eine Jodlerin setzt ein. Wir erkennen für die Volksmusik typische Instrumente wie Schwyzerörgeli und Klarinette, daneben aber auch Perkussion. Plötzlich verfremdet sich alles, wird zügiger, zeitgenössischer, süffig, distanziert sich vom klischiert Ländlerhaften, kehrt letztlich aber wieder dorthin zurück.
Der Komponist sagt dazu: «Das Parodieren funktioniert nur, wenn man das Original und damit die Essenz verstanden hat. Dann kann man dieses Wissen kreativ verwenden. Etwa, indem man einen bestimmten, vielleicht lustigen oder aussergewöhnlichen Teil aus dem Original, etwas stärker beleuchtet. Gerade so stark, dass es der Zuschauer begreift.»
Für Landtwing ist das Lapsus-Projekt in verschiedenerlei Hinsicht ein spannendes. Da ist zunächst einmal dessen schiere Dimension. Die Maag-Halle verfügt über rund 1000 Sitzplätze. Ganze 25 Aufführungen werden innert eines Monats gespielt. Auch bedeutet das Engagement für den Unterägerer ungewohnte berufliche Herausforderungen: «Ich bin nicht nur der Bandleader und Komponist, sondern gleichzeitig auch die musikalische Schnittstelle zu Artisten, Komikern und den Organisatoren der Maag-Halle. Ich musste Probepläne erarbeiten, Verhandlungen über Gagen führen und abschätzen, wie viele Proben wir brauchen.»

Wie Filmmusik, einfach für Komik
Auch das Komponieren in diesem Setting sei ungewohnt gewesen. «Wenn auch sehr dankbar, denn ich konnte mich nach bestehenden Bildern richten», erzählt er. «Die Artisten schickten mir ihre Nummern, und ich durfte die Musik schreiben, ähnlich wie bei der Filmmusik, welche die passende Stimmung vermittelt. Eine Aufgabe, die mir liegt, glaube ich.» Ungewohnt sei es gewesen, Klicktracks zu erstellen. Er klärt auf: «Bei den Artistennummern müssen wir sichergehen, dass die Musik gleich lange spielt, wie die Nummer andauert. Entsprechend braucht es eine Art Metronom, an dem sich die Bandmitglieder orientieren können.»
Obwohl noch einige Proben und ein ziemlich strenger Dezember bevorsteht, wirkt Landtwing erstaunlich gelassen. «Der grösste Stress für mich ist jetzt durch. Nun muss ich nur selbst noch üben, damit die Stücke gut sitzen.»
Landtwing verfügt über zwei Masterabschlüsse. Einen in Musikpädagogik für Klarinette, Abteilung Klassik, einen weiteren in Music and Art Performance, Schwerpunkt Jazz. Erfahrungen hat er zudem unter anderem mit klassischer Musik, mit Tango, und es gab auch eine Funk-Episode. «Dennoch zieht sich die Volksmusik wie ein roter Faden durch mein Leben», sagt er. Es ist eine Liebe, die bereits als Kind begann.
«Die Volksmusik war der Grund, weshalb ich überhaupt Musik studieren wollte.» Und weiter: «Ich war als Teenager ein Riesenfan von Pare­glish, einer Gruppe, bei der mitunter der Klarinettist Dani Häusler spielte.» Landtwing, der das Instrument bereits spielte, wünschte sich auf den Geburtstag eine Unterrichtsstunde bei Häusler, der, wie er selber, aus Unterägeri stammt. «Als ich im Gespräch mit ihm herausfand, dass er das Konservatorium absolviert hatte, beschloss ich, den Weg über die Musikhochschule ebenfalls einzuschlagen.»

Volksmusik ohne Politik
Er betont: «Schlager ist nicht meins. Typische Hudigäägeler- und Volksmusik finde ich toll, wenn sie gut gespielt ist.»Auf die Frage, was seine eigene Musik unbedingt beinhalten müsse, antwortet Mathias Landtwing: «Authentizität. Ich will meine eigene Musik machen und mich darin wiedererkennen. Meine Musik soll stilfrei sein, wird aber wohl immer einen Touch von Volksmusik beibehalten. Sie ist ein Teil von mir, den man vermutlich nicht wieder wegbringt.»
Was den Zuger ärgert? «Mir ist wichtig, dass Volksmusik nicht in die politisch rechte Ecke gestellt wird. Bei der anstehenden Show werden mitunter Trychler die Halle zum Beben bringen. Es ist schade, dass dieses Thema aktuell politisch so aufgeladen ist.»

(Text: Valeria Wieser)

Hier gibts die entscheidende Sendung von 2015 zu sehen: