«Lieber Gott – es war so nett mit uns zweien»

Theater & Tanz

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Gebete, abseits von Regeln und Riten. Schauspielerin Yael Schüler bringt diese auf die Bühne. In der Citykirche ist man begeistert.

Zug – «Gott, mein Gott, so eine Trauer. Graue Trauer, Gott, mein Gott, die Trauer so grau. Weder Töne noch Farben, mein Gott, weder Farben noch Töne. Geborsten ist die letzte Glocke, alle Uhren auf Erden stehen still, gestern erlosch der letzte Stern für wen soll er leuchten? Grauer Herrscher der stillen Welt ... schwarze Falter trinken aus schwarzen Kelchen schwarzen Tau.» Als hätte er vorausgesehen, wie düster die Welt bald wird: Janusz Korczak (1878–1942) schrieb sein «Gebet der Trauer» 1922 – zwanzig Jahre später zählte der polnische Jude zu den unzähligen Opfern des Holocausts.

Nicht jedes Gebet wird zur Bitte

In seiner Gebetssammlung «Allein mit Gott Gebete von Menschen, die nicht beten» findet der Kinderarzt, Pädagoge und Schriftsteller nicht nur Worte für eine alles umfassende Trauer, sondern auch für eine grosse Empörung, für jugendlichen Übermut oder die Weisheit des Alters. Der Warschauer lehnt seine 18 Gebete aus der Sicht verschiedenster Menschen ganz bewusst an das jüdisch-rituelle Achtzehnbittengebet an. Auch wenn bei ihm nicht jedes Gebet zur Bitte wird. Vielleicht das des kleinen Jungen, der sich vom Onkel eine Uhr wünscht, heute wäre es vermutlich ein Smartphone: «Hilf mir nur dabei, dass du den Onkel an sein Versprechen erinnerst.»

Inmitten von Schuhen

Schauspielerin Yael Schüler zieht ihre schwarzen Schuhe aus, wenn sie in die Rolle dieses Jungen schlüpft. Das genügt. Der schwarze Anzug bleibt, die langen braunen Haare auch. Acht Gedichte trägt Yael Schüler vor, mal ist sie jung, mal alt, mal weiblich, mal männlich. Wessen Seele sie gerade zeigt das machen die Worte Korczaks deutlich, die Lautstärke und die Intonation, mit welchen diese ausgesprochen werden. Zudem liegen überall auf der Bühne Schuhe verstreut, Stiefel, Boots, High Heels. Oft ordnet die Schauspielerin sie, schliesslich ist ja auch jedes Gebet ein Versuch, etwas in Ordnung zu bringen. Einmal schlüpft sie in rot glitzernde High Heels – und tanzt mit dem Cellisten Tango.

Cellist Itamar Barkai aus Tel Aviv und Pianist David Serebrjanik aus Deutschland sind Teil des Theaters, ihre Musik macht sich wie Stimme und Körper der Schauspielerin auf die Suche nach einer Interpretation der zeitlosen Gebete eines «religiösen Humanisten» so nennt Leonhard Jost-Zeller von der Schweizerischen Janusz-Korczak-Gesellschaft den polnischen Schriftsteller. Und als sie mit dem Cellisten Tango tanzt, sagt die «leichtfertige Frau»: «Vielleicht bete ich deshalb so selten, weil ich nicht knien mag. Du wirst deshalb doch nicht beleidigt sein, denn du bist der gute, der liebe Gott. Lieber Gott, es war so nett mit uns zweien.»

Für vieles ein Gebet

Es gibt auch das Gebet des Empörten. Wie zeitlos wahr die Worte: «Du hast dem Denken Flügel gegeben; aber der Rüssel des Lebens hat die Flügel angefressen.» Oder das Gebet des Übermuts, das für «Lachen, Tanz und Spass» plädiert und das man sich ganz sicherlich und zeitlos auch zu Herzen nehmen sollte: «Denn du bist ja nicht nur im Himmel, sondern auch im Kuss ... bist wie ich, voller Sehnsucht und frei, frei wie ein Falke.»

Bald schon ist es so weit für das Gebet des alten Mannes, besonders schön vorgetragen von Yael Schüler: «Für uns Alte bleibt die Stille. Und es ist so schön, auf das Grün und die Sonne zu schauen. Sonne und Grün verstehen das die Jungen? Sie begreifen nicht, was das bedeutet: Der Tod mäht, sie wissen nicht, was das heisst – das Ende.»

Zufällig auf Korczak gekommen

Schauspielerin Yael Schüler erzählt im Anschluss, die Rolle der Greisin spiele sie am liebsten, ihre 87-jährige Freundin sei ihr ein gutes Vorbild. Entdeckt hat die junge Deutsche, die in Basel lebt, die Gebete Korczaks per Zufall: in einem Berliner Antiquariat. Auf einem Flohmarkt in Tel Aviv ergab sich der zweite Zufall: Yael fand die Texte auch noch auf Hebräisch. Nun hat sie sie auf die Bühne gebracht, letzten Sommer in Israel und in Deutschland, diesen Januar unter anderem in Basel und Zürich. Für die Citykirche ist es die erste Veranstaltung im neuen Jahr und das Publikum ist begeistert. «So viele berührende Bilder», meint Brigitta Kühn, «ich kann sie noch gar nicht alle fassen.» (Susanne Holz)