Punkt für Punkt zur Abstraktion

Kunst & Baukultur

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Das Berliner Künstlerpaar Römer+Römer sucht sich für seine Arbeit Menschen in individuellem Setting. In der Zuger Galerie Urs Reichlin sind fotografierte Motive zu sehen, die in ihre Einzelteile zerlegt und in Öl auf Leinwand übertragen worden sind.

  • Die meist grossformatigen Ölgemälde von Torsten und Nina Römer entstehen durch eine ausgefeilte Technik. (Bild Matthias Jurt)
    Die meist grossformatigen Ölgemälde von Torsten und Nina Römer entstehen durch eine ausgefeilte Technik. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Beim flüchtigen Blick aus der Distanz meint man, es mit Fotografien zu tun zu haben, doch sind solche lediglich die Grundlage im aussergewöhnlichen Werk von Nina und Torsten Römer. Das Berliner Künstlerpaar analysiert eine Vielzahl digitaler Kameraaufnahmen eines ganz bestimmten Sujets, erörtert deren Beschaffenheit sowie Strukturen eingehend und überträgt das abgelichtete Motiv in Form von unterschiedlich grossen Farbflächen und Abertausender Punkte in Ölfarbe auf Leinwand. Die Gemälde der beiden sind mehrheitlich grossformatig, einige monumental von bis zu sechs Meter Länge.

Ein solches plus eine weitere feine Auswahl an repräsentativen Werken zeigt aktuell die Galerie Urs Reichlin in Zug. Bereits seit 1998 arbeiten Römer+Römer als Paar. Kennen gelernt haben sich der deutsche Torsten Römer und die gebürtige Russin Nina Tangian während ihres Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf. Beide besuchten dort die Meisterklasse von Ralf Winkler alias A.R. Penck (1939–2017). Seit über 20 Jahren leben und arbeiten sie in Berlin und haben sich neben der Malerei auch mit digitaler Kunst, Grafik sowie Performance einen Namen in der Szene gemacht. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der Geschichte und davon insbesondere mit derjenigen Berlins prägte ihr schöpferisches Profil mit. Sie waren seit Anbeginn scharfe Beobachter der urbanen Szene, legten ihren Fokus primär auf die Räume der jüngeren Generationen. Erste grosse mediale Aufmerksamkeit wurde den beiden anno 2003 mit ihrer «Deutsch-russischen Knutschperformance» zuteil.

Menschen in ihrer ureigenen Welt

Ihre Motive erfüllen grundsätzlich ein besonderes Kriterium. Torsten Römer: «Wir suchen Menschen, die sich auf individuelle Weise in Szene setzen, eine eigene Bühne für ihren Auftritt um sich bauen.» Häufig suchen Römer+Römer solche Szenarien an thematischen Festivals – sei es am Burning Man, an der Fusion oder am Leipziger Gothic Festival. Auch die Trenddistrikte fernöstlicher Städte, wo sich die junge Cosplay- oder Mangaszene trifft, sind für die Berliner Kunstschaffenden Fundgruben auf ihren ausgedehnten Bildungsreisen. Zuweilen finden sie ihre Settings auch im unaufgeregten urbanen Raum: eine Gruppe von Punkern auf der Brunnentreppe, eine Handvoll koreanischer Schulmädchen, die sich in ihren Uniformen am Stadtstrand vergnügen...

Alles wird mit der Kamera vielfach abgelichtet. «Aus 10000 Fotografien entstehen schlussendlich um die 30 Bilder», führt Nina Römer aus, um von den Verhältnissen eine Idee zu erhalten. Die Bilder werden – so wie eingangs beschrieben – zerlegt und mit Pinsel auf Leinwand übertragen. Der Prozess ist aufwendig: «An grossen Gemälden arbeiten wir gemeinsam zwischen einem und zwei Monaten», so Nina Römer.

Eigenständige Lichtquellen innerhalb des Gemäldes

Die pointillistische Technik lässt das entstandene Werk aus naher Distanz als abstrahierende, in alle Farbnuancen aufgesplittete Pixelmasse erscheinen. Mit jedem Schritt Entfernung nimmt das Bild konkretere Züge an, bis es sich schliesslich in seiner ganzen Gegenständlichkeit nahezu fotorealistisch zurück manifestiert.

Ein besonderes Merkmal sind die eindrücklichen Lichteffekte: Manche Elemente erscheinen wie eine eigenständige Lichtquelle, respektive als wären sie – von einem unsichtbaren Scheinwerfer angestrahlt – gezielt als visueller Fixpunkt innerhalb des Gemäldes erkoren. Diese Effekte werden erreicht, indem helle Farben akribisch in lasierenden Schichten übereinandergelegt werden. Und immer dient schliesslich der Punkt als probates Mittel, die entsprechende Endwirkung im Detail zu erzielen. Diese soll nicht zwingend absolutes 1:1-Abbild der zugrunde liegenden Fotografien sein, sondern die beiden nehmen sich heraus, Details hinzuzufügen oder mit der Schärfe in ausgewählten Bildausschnitten zu variieren, indem sie die Punkte grosszügiger anordnen, was den Bildern zuweilen eine gesteigerte Dynamik verleiht.

Die Ausstellung «Straight to the point» in der Zuger Galerie ist die erste Einzelausstellung des international tätigen Künstlerduos in der Schweiz. Bis und mit 29. Mai werden hier knapp 20 Ölgemälde von Römer+Römer gezeigt – im Rahmen eines grosszügigen Hängungskonzeptes, welches dem Betrachter viel Platz für das Erleben jedes einzelnen Werks gewährt. (Andreas Faessler)

Hinweis
Römer+Römer, «Straight to the Point», Galerie Urs Reichlin, Baarerstrasse 133, Zug. Ausstellung bis 29. Mai, www.ursreichlin.com.