Zurück auf der Lesebühne

Literatur & Gesellschaft

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Es waren schwierige Zeiten für die Lesebühne. Dann kam die Rettung durchs Publikum. Und Judith Stadlin? Die schreibt einfach immer weiter. Zum Beispiel: Ein neues Buch.

  • Judith Stadlin und ihr neues Buch: «Ein Quantum Toast». (Bild: zvg)
    Judith Stadlin und ihr neues Buch: «Ein Quantum Toast». (Bild: zvg)
Zug – Dieser Text ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Judith Stadlin arbeitet einfach immer weiter. «Ich bin selbstständig, seit ich 20 Jahre alt war», sagt sie und lacht. «Disziplin kann ich. Das kostet mich keine Anstrengung mehr. Ich setze mich an den Tisch, damit die Muse mich finden kann, und arbeite los.»
Jetzt gerade steht sie allerdings auf ihrer neuen Bühne, frisch renoviert, nicht ohne Schwierigkeiten, aber dazu später. «Jetzt haben wir sogar einen kleinen Backstage-Bereich», sagt Judith Stadlin und zieht den Vorhang etwas auf. «Das ist toll. Und hier auf der Bühne ist viel mehr Platz als zuvor. Zudem haben wir jetzt eine Durchzugslüftung, die für frische Luft sorgt. Wir sind wirklich sehr glücklich mit dem Umbau.»
Stadlin ist Autorin, Theatermacherin, Regisseurin und eben auch: Lesebühne-Wiedereröffnerin. Das Oswalds Eleven, die kleine Lesebühne an der Oswaldsgasse, hatte im letzten Sommer für Schlagzeilen gesorgt: Stadlin und ihr Partner Michael van Orsouw mussten die Lesebühne kurz nach der Renovation schliessen, nachdem eine Finanzierung durch den Kanton und die Stadt für den Umbau der Lesebühne nicht zustande kam, mit der die beiden gerechnet hatten. Das traf die Lesebühne hart, nach 15 Jahren geleisteter Kulturarbeit, vielen liebevoll gestalteten Bühnenmomenten, viel Initiative, Gestaltungswille und schlicht viel Arbeit für den Kulturplatz war dieser Entscheid nur schwer nachvollziehbar.
Und Stadlin? Sie hat einfach immer weitergearbeitet.

Nun ist die Krise überwunden, die Bühne kann endlich offiziell eingeweiht werden: Anfang Mai feiert die Lesebühne ihre Wiedereröffnung mit dem JUHEE-Festival. «Wir wollten mit dem JUHEE-Festival unserem Publikum etwas zurückgeben», sagt Stadlin. Denn das Publikum hat die Lesebühne eigenhändig gerettet – wo der Kanton nicht einsprang, zückten Lesebühnen-Gängerinnen ihre Portemonnaies. «Das ist kaum zu glauben», sagt Stadlin, «wir haben nur gestaunt: Was unser Publikum da zustande gebracht hat. Man hat uns anonym Geld in den Briefkasten gelegt, andere haben gespendet, wir haben unglaublich viel Zuspruch bekommen – es ist einfach eine grosse Freude.»

Stärker als zuvor
Der Ärger über die missglückte Förderung ist mehrheitlich verraucht, «wir wollten antifragil mit der Krise umgehen, so, dass etwas gutes Neues daraus entstehen kann.» Das ist gelungen: Mit der Hilfe des Publikums steht die Lesebühne nun wieder auf eigenen Beinen, stärker als zuvor. Die Lesebühne hat gezeigt, dass sie ihrem Publikum so wichtig ist, dass es selber Hand anlegt, um sie zu retten. Dennoch bleibe ein Nachgeschmack: «Wir verstehen bis heute nicht, weshalb die Finanzierung des Umbaus verweigert wurde», sagt Stadlin, «es hat uns auch niemand erklärt, was die Gründe dafür waren. So bleibt ein Gefühl der mangelnden Wertschätzung von Kanton und Stadt für unsere Arbeit.»
Die Krise hat für einige Veränderungen gesorgt, nicht nur baulicher Natur. «Wir haben gemerkt, dass wir uns nicht mehr so stark selber ausbeuten können, und dass wir Hilfe brauchen», sagt Stadlin. «Deshalb haben wir die Hilfe von «Stützrädli» eingeführt: das sind Menschen, die  die Lesebühne aktiv unterstützen wollen und etwa an der Bar arbeiten oder das Catering für die Bühnenkünstler:innen übernehmen.» Schon einige Stützrädli sind gefunden, und am Juhee-Festival kann nun die Lesebühne ganz offiziell gefeiert werden, für das Fest haben auch Kanton und Stadt Zug finanzielle Unterstützung zugesagt. «Dafür sind wir dankbar, und wir werden auch in Zukunft wieder um Unterstützung anfragen – als Kulturschaffende in Zug sind wir darauf angewiesen.»

Bisschen Toast?
Und während all dieser Veränderung ist Stadlin ja auch Stadlin geblieben – und hat ein neues Buch geschrieben. Das Buch «Ein Quantum Toast – Spoken Word zum Lesen und Schauen» ist eine Sammlung von Spoken-Word-Texten von Stadlin. «Ich gehe immer vom gesprochenen Wort aus», sagt sie, «jeden dieser Texte habe ich schon auf der Bühne erprobt.»
Manche auch vor der Kamera: Im Buch gibt es QR-Codes, über die man sich die Texte als Video von Stadlin vortragen lassen kann. Das Buch ist aber vor allem auch eine Sammlung von lebendigen Beobachtungen, die Stadlin eingefangen und verdichtet hat. «Ich kann einfach nicht anders, als kreativ sein, zuhören, zuschauen, Erlebnisse einfangen», sagt Stadlin. «Ich brauche das. Wenn ich im Bus sitze, schaue ich nicht ins Handy, es gibt so viel zu sehen. Und ich denke, ich kann in vielen Dingen etwas entdecken, das sich aufzuschreiben lohnt.»
Da kommen witzige Geschichten zusammen über fromme Autoaufkleber, verwirrte junge Väter, die nach der Gebärmutterabteilung suchen, Teeny-Mädchen, die eine stündige Zugfahrt lang mit ihrer Freundin telefonieren, nur um danach der anrufenden Mutter kurz und knapp zu sagen: «Sorry cha grad nöd telefoniere, bin im Zug.» Stadlin bleibt auch eine Sprachforscherin, nimmt Worte unter die Lupe, kann sich darüber ärgern, wenn sie versehentlich «starten» sagt, statt «anfangen», weil das eine tut die Rakete und das andere der Mensch. Und sie hat eine Mission: Sie will des Zugerdeutsche erfahrbar machen. Dafür übersetzt sie die Texte auch mal ins Hochdeutsche, damit keiner sagen kann: Mundart lese ich nicht.

Auf Tour durch die Geschichte
Und weil Stadlin eben Stadlin geblieben ist, auch während der Pandemie, hat sie nicht nur drei Eisen im Feuer – sprich: Arbeiten in Arbeit  –, sondern eher sieben: Man kann ihr Schaffen auch in einem ganz anderen Rahmen erfahren, nämlich bei einem Theaterrundgang durch Unterägeri. Die von ihr geschriebene Theatertour feiert am 6. Mai Premiere (siehe Seite 17 in diesem Magazin). Seit 2020 ist sie an der Arbeit, besonders intensiv wurde sie in den letzten Monaten. «Wir möchten damit Momente in der Geschichte des Ägeritals erlebbar machen», sagt Stadlin, «wenn du auf einer solchen Theatertour durchs Dorf spazierst und dann erlebst, wie die prägenden Figuren von damals auftreten, dann bleibt dir das, daran erinnerst du dich.»
Stadlin hat mit der Tour eine Zeitmaschine eingerichtet, zurück in die Tage der Spinnereigründer, der Kinderkuranstalten, der Entdeckung des Ägeritals für die Moderne. Und sie hat es gründlich gemacht. Nicht nur die Texte geschrieben. «Auch die Kostüme sind von mir. Das hat mir an diesem Auftrag besonders gut gefallen: Ich konnte alles genau aufeinander abstimmen, und in den Proben mit den Schauspielerinnen und Schauspielern konnten wir dann vor Ort die einzelnen Teile zusammenbringen.»
Das ist nicht immer einfach, wenn die Baumaschine lärmt und die Strasse nebenan befahren wird. «Oder wenn es regnet», sagt Stadlin und lacht, «hoffentlich nicht bei der Premiere! Aber das ist die Realität des Ortes, und das gehört alles dazu.»
Die Realität der Lesebühne ist eine andere als vor einem Jahr. Eine offenere, besser belüftete, eine krisenerprobtere. Und Stadlin? Die geht jetzt erst mal noch ein paar Tage in die Ferien. Bevor es dann wieder losgeht mit den nächsten Projekten. Da gibt es noch ein Kinderbuch – aber das ist eine andere Geschichte.

(Text: Falco Meyer)
Hier gehts zur Vernissage von «Ein Quantum Toast».