«Erweitertes Wohnzimmer» für die Kunst

Kunst & Baukultur

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Jahrelang hat Nicola Erni hochkarätige Kunst zusammengetragen. Heute gehört ihre Sammlung auf dem Gebiet Fotografie und zeitgenössische Kunst international zu den bedeutendsten. Nun ist die Kollektion in ihrem Museum in Steinhausen für die Öffentlichkeit zugänglich.

  • Zwei bemerkenswerte Bauten im Gebiet Sumpf bei Steinhausen sind die Heimstätte der «Nicola Erni Collection» – einmal mit einer Fassade aus Dietfurter Kalkstein, einmal aus gebürstetem Messing. (Bild Pedrini Photography, Zürich)
    Zwei bemerkenswerte Bauten im Gebiet Sumpf bei Steinhausen sind die Heimstätte der «Nicola Erni Collection» – einmal mit einer Fassade aus Dietfurter Kalkstein, einmal aus gebürstetem Messing. (Bild Pedrini Photography, Zürich)

Steinhausen – Sprechen wir von der Fondation Beyeler in Riehen, vom Museum Langmatt in Baden, vom Römerholz in Winterthur und von weiteren Schweizer Museen mit internationalem Renommee, so steht am Anfang der Geschichte jedes einzelnen dieser Häuser eine Persönlichkeit, die sich der Kunst verschrieben hat. Die Passion jener Köpfe hinter diesen Sammlungen ist früher oder später mit der interessierten Öffentlichkeit geteilt worden. Junges Schweizer Beispiel einer solchen Entwicklung ist die «Nicola Erni Collection» im zugerischen Steinhausen. Die Privatsammlung umfasst bedeutende Werke aus der Sparte Fotografie, Malerei, Skulptur und Installation. Hinter der Kollektion steht die gleichnamige Sammlerin aus Zug, welche vom internationalen Fachmagazin «Art News» unter den weltweit 200 bedeutendsten Sammlerpersönlichkeiten aufgeführt wird.

Am Anfang von Nicola Ernis Sammeltätigkeit in den 1990ern standen insbesondere Ankäufe von Werken Peter Lindberghs und Robert Rauschenbergs sowie Porträt- und Modefotografie weiterer Künstler. Über zwei Jahrzehnte hinweg hat sie mit viel Feinsinn, Gespür und Herzblut Fotografie und zeitgenössische Kunst erworben. Nicola Ernis Fundus an Fotowerken aus den 1960ern und 1970ern sowie Modefotografie aus den 1930ern bis heute gilt als eine der weltweit grössten Fotosammlungen in privater Hand. Sie setzt nicht nur auf Ikonen der Fotografie wie Richard Avedon, Helmut Newton, Irving Penn oder Jacques Henri Lartigue, sondern unterstützt auch aufstrebenden Nachwuchs wie Emma Summerton oder Erick Madigan Heck.

Zu ihrer ausgeprägten Vorliebe für Fotografie kam auch diejenige für zeitgenössische Kunst. Es gelang der Sammlerin mit viel Geschick und einem Gespür für den «richtigen Zeitpunkt», hochkarätige Gemälde anzukaufen, von denen ganz besonders diejenigen von Jean-Michel Basquiat und Andy Warhol hervorzuheben sind. Seit einigen Jahren wird ihre Sammlung mit Werken des nun von Erfolg gekrönten Künstlers Rashid Johnson ergänzt.

«Es ist einfach so passiert»

Es liegt in der Natur der Sache, dass die eigenen vier Wände irgendwann nicht mehr ausreichen. Und wer möchte die Hälfte seiner Sammlung schon im Keller verstauen? So liess Nicola Erni 2013 am Erlenweg im Steinhauser Gewerbeviertel Sumpf eigens für ihre Sammlung ein Gebäude im mediterran-kalifornischen Stil errichten. Ein «erweitertes Wohnzimmer», wie sie es selber bezeichnet. Dass die ursprünglich aus dem Wirtschaftssektor stammende Geschäftsfrau zur passionierten Sammlerin geworden ist, sei «einfach so passiert», sagt sie. «Es gab nie den Zeitpunkt, an dem ich beschlossen habe, zu sammeln. Im Gegenteil, erst vor etwa 13 Jahren habe ich überhaupt realisiert, dass ich Kunstsammlerin bin. Vorher hatte ich diesen Term nicht für mich verwendet.»

Für die gebürtige Badenserin – sie lebt seit Ende der 1990er-Jahre in Zug und ist mit einem Zuger verheiratet – ist die Faszination Kunst ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Emotion, kindliche Begeisterung, die Auseinandersetzung mit einem Werk auf geistiger wie emotionaler Ebene, die stille «Kameradschaft und Verbundenheit» zwischen ihr und dem Kunstwerk... «Kunst erdet mich und gibt mir Energie – ähnlich wie die Natur.» Eine wichtige Rolle spielt für sie – sofern möglich – stets der persönliche Kontakt zu den Künstlerinnen und Künstlern, die in ihrer Sammlung vertreten sind und die noch unter uns weilen. Dabei setzt sie wohlbemerkt nicht nur auf arrivierte Grössen der Szene, sondern wirft stets einen wachen Blick auf den aufstrebenden Nachwuchs, den sie als Mäzenatin zu unterstützen bereit ist, wenn sie Potenzial sieht.

Vice versa wird die Zugerin von den Kunstschaffenden vor allem deshalb geschätzt, weil sie die noch immer häufig verkannte Fotografie – Modefotografie selbstredend mit eingeschlossen – als hohe Kunst sieht und nicht einfach als Handwerk. «Fotografie ist weit mehr als nur eine Momentaufnahme auf Papier», sagt sie. «Fotografie ist Kunst, ist zeitgenössische Kunst. Und wird immer noch völlig unterschätzt.»

Zu Nicola Ernis Kunstaffinität gesellt sich diejenige für Interior Design und Architektur. Entsprechend extravagant ist denn auch ihr «extended living room» in Steinhausen, welchen sie selbst gestaltet hat. Tatkräftige Unterstützung hatte Sie dabei vom Architekten Andreas Senn und seinem Team der Senn Architekten AG in Pfäffikon SZ. Aussen gänzlich in Dietfurter Kalkstein gekleidet, birgt der einzigartige Bau ein sichtlich mit Liebe erarbeitetes Raumkonzept, das einerseits den mondänen Museen dieser Welt kaum nachsteht, andererseits bewusst durch Wohnzimmerflair die Atmosphäre mit zusätzlicher Behaglichkeit anreichert.

Die «Nicola Erni Collection» umfasst mittlerweile mehrere tausend Werke. Selbst die verwinkelten Räume des «erweiterten Wohnzimmers» sind an ihre Kapazitätsgrenzen gestossen. Nun steht unmittelbar daneben auf der anderen Seite des Erlenweges ein zweiter Bau kurz vor der Vollendung. Letzte Elemente der golden schimmernden Messingfassade werden montiert, die Räume sind bereit, bespielt zu werden. Bislang haben ausserhalb Kunstkreisen nur wenige von der hochkarätigen Zuger Privatsammlung Kenntnis gehabt. Das lag insbesondere an dem ausgeprägten Diskretionsbedürfnis der Sammlerin. «Nicht meine Person steht im Mittelpunkt, sondern die Kunst», betont Nicola Erni und begründet mit diesem Credo ihre Zurückhaltung gegenüber der Öffentlichkeit. Und doch ist sie nun an einem Punkt angelangt, an dem sie ihre Sammlung einem interessierten Publikum nicht mehr vorenthalten will: Nachdem sie mehr und mehr von der Begeisterung beflügelt worden war, welche ihr das private Umfeld für ihre Leidenschaft entgegengebracht hatte, erwuchs in ihr schliesslich auch der Wunsch, ihre «wunderbare Welt» zu öffnen.

Führungen im kleinen Rahmen

Still und ohne es offiziell publik zu machen, ist die Website der «Nicola Erni Collection» Ende Mai aufgeschaltet worden. Über diesen Weg können einmal wöchentlich stattfindende kostenlose Führungen auf Deutsch oder Englisch mit maximal 12 Personen gebucht werden. Nachdem die Plätze innert Kürze auf Wochen ausgebucht waren, wird nun ein weiteres Kontingent an freien Terminen aufgeschaltet. «Da wir ein kleines Team sind, möchten wir spätestens nach der Eröffnung des Neubaus ein Konzept finden, um dem Interesse der Öffentlichkeit gerecht zu werden», sagt Stefan Puttaert, CEO der Nicola Erni Collection. Seit vielen Jahren verbindet ihn eine enge Freundschaft mit der Sammlerin. Er ist zuversichtlich, dass diese Sammlung ein wichtiger Faktor für die überregionale Wahrnehmung der Zuger Kulturlandschaft werden könnte.

Obschon der Fundus hochwertige Objekte von Künstlerinnen und Künstlern mit Weltrang umfasst und diese in einem entsprechend würdigen Rahmen präsentiert werden, will die Sammlerin und Mäzenin dem «Elitären», was einer solchen Institution zu Unrecht oft anhaftet, entgegenwirken. «Ich möchte signalisieren, dass Kunst für alle da ist – egal ob mit oder ohne Kunstverständnis», betont Nicola Erni. Der Besuch ihrer Sammlung soll zum einen Raum bieten, sich während der Dauer einer Führung auf eine Reise mitnehmen zu lassen. «Zum anderen möchte ich mit dem Zusammenspiel von Architektur, Kunst, Interior Design und der ganzen Farbenvielfalt aufzeigen, dass dies alles als Gesamtkunstwerk wahrgenommen werden soll und dass jeder Mensch sich auf diesem Weg sein eigenes Kunstwerk zu Hause auf die eine oder andere Weise schaffen kann – wertefrei und individuell. Denn gerade im eher schwierigen Jahr 2020 wird uns bewusst, wie wichtig die eigenen vier Wände für die Seele sind.»

Basquiat und Testino als aktuelle Schwerpunkte

Die von Nicola Erni persönlich kuratierte aktuelle Ausstellung zeigt im grössten der Räume eine illustre Auswahl an grossformatigen Arbeiten Mario Testinos, einer der einflussreichsten Fotografen der gegenwärtigen Modeszene. Inhaltlich wie auch in der Disziplin kontrastierend ist im doppelgeschossigen Raum gegenüber der gesamte Basquiat-Bestand gehängt, wohl einer der Bedeutendsten dieses polarisierenden, jung verstorbenen Künstlers überhaupt. Zu dieser Werkgruppe gehören monumentale Kollaborationen mit Andy Warhol. Und als kleine Besonderheit macht der persönliche Kühlschrank Basquiats den Künstler besonders greifbar. Kleinere wohlselektionierte Werkgruppen unterschiedlicher Künstler von einst und heute rahmen die Ausstellungsschwerpunkte.

Beide Schaugebäude der «Nicola Erni Collection» umfassen insgesamt beachtliche 15000 Quadratmeter. Der auffällig schimmernde Neubau mit der einzigartigen Messingfassade wird voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2021 seine Tore öffnen. (Andreas Faessler)

Hinweis
www.nicolaernicollection.ch Instagram: nicolaernicollection