Ein Kulturhaus für Experimente

Literatur & Gesellschaft, Musik

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Cham ist um einen Kulturort reicher. Die Kulturfabrik im Langhuus soll zum Wohnzimmer für die Bevölkerung werden. Die Anlässe hier dürfen aber auch gerne etwas aus dem Rahmen fallen.

  • Das Langhuus spätabends. (Bild: Thierry B. Burgherr.
    Das Langhuus spätabends. (Bild: Thierry B. Burgherr.
  • Rollschuhdisko, Flohmarkt - oder eben Boccia-Bahn. Das Langhuus ist offen für vieles. (Bild: Thierry B. Burgherr)
    Rollschuhdisko, Flohmarkt - oder eben Boccia-Bahn. Das Langhuus ist offen für vieles. (Bild: Thierry B. Burgherr)
Cham – Dieser Text ist in der September-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Freitagabend auf dem Papieri-Areal in Cham. Bis auf ein paar Spaziergänger:innen ist ruhig im Quartier, das noch in der Entstehungsphase steckt. Im Schatten eines zwölfstöckigen Hochhauses liegt das Langhuus, ein ehemaliges Lagerhaus der Papieri. Auch dieses wirkt auf den ersten Blick leer.
Plötzlich flitzt eine Frau – ziuuum! – in Rollerblades durchs neu renovierte Gebäude. Nanu?
Wir treten ans geöffnete Tor, werfen einen Blick in die Langhuus Kulturfabrik Cham. Die Frau hat freie Bahn. Nur ein paar Holzbalken sowie der etwas zu rutschige Boden machen die Rollschuhfahrt abenteuerlich. Noch gibt es auf der Tanzfläche, pardon, der Rollfläche keine anderen Gäste.
Das ist nicht verwunderlich, ist es doch erst 
20 Uhr. Die Rollschuh-Bar wurde erst gerade ­eröffnet. Eine Handvoll Menschen sitzen, mit oder ohne Rollen an den Füssen, draussen auf der Terrasse und unterhalten sich. Sie alle sind auf die eine oder andere Art mit dem neuen Kulturhaus verbandelt.
Die Kulturfabrik wurde am 13. Juni offiziell eröffnet. Ihre Geschichte beginnt jedoch viel früher. Viele Hürden mussten überwunden und einige bittere Pillen bis zur Eröffnung geschluckt werden. Über die bewegte Vergangenheit des Projekts wollen wir jedoch erst später sprechen. Denn viel zu neugierig sind wir darauf zu sehen, wie sich das Innere des historischen Lagerhauses mit dem Ausbau verändert hat.

Eine Tour durchs Haus
Xaver Inglin, der Betriebsleiter der Langhuus Kulturfabrik, nimmt uns mit auf die Tour durchs Haus. Oder zumindest durch einen Teil davon. Die Südostseite des Baus wird von der Shinson Hapkido Schule Cham gemietet, im Herbst soll das neue Dojang eröffnet werden.
Die beiden Hausteile werden in der Mitte durch ein überraschend luftiges Treppenhaus unterteilt. «Der Mittelteil ist sehr massiv. Vielleicht etwas zu massiv», sagt Inglin. Es ist leicht ersichtlich, wovon er spricht. Die Holztreppe, die in die obere Etage führt, ist ziemlich massig, 
das Geländer wirkt äusserst robust, gar etwas schwerfällig. Ihren Job erfüllt sie dennoch prächtig. Im Obergeschoss werfen wir zunächst einen Blick in den umfangreichen Technikraum, bevor wir ins Gemeinschaftsatelier eintreten. Die vier Kulturschaffenden, die hier eingemietet sind, haben offensichtlich bereits mit ihrer Arbeit begonnen. Erste, teils grosse Bilder hängen, der Raum verfügt über Charakter.

Auffallend: Obwohl es draussen an diesem Abend noch ziemlich heiss ist, ist davon im ­alten Gebäude nichts zu spüren. «Durch die ­dicke Isolation und eine umfangreiche Technik wird sichergestellt, dass die Räume im Winter genügend warm und im Sommer kühl sind», sagt ­Inglin.
Das Dachstock-Atelier befindet sich auf einer Galerie, von der die Mieter:innen direkten Blick auf das Geschehen in der Kulturfabrik haben. «Das ist für uns eine Voraussetzung. Das Atelier ist Teil des Langhuus. Oben bekommt man mit, was unten passiert, und umgekehrt. Das soll auch so sein.» Gleichzeitig setzt die Architektur damit auch Grenzen dafür, was in der Kulturfabrik stattfinden kann. «Ein Eltern-Kind-Café tagsüber ist eher problematisch, weil das für die Ateliermieter:innen zu laut würde.»

Baldige Belebung des Quartiers
Apropos laut: Mittlerweile ist auch die Lautstärke der Discomusik gestiegen. Wir setzen uns deshalb raus auf die Terrasse und blicken auf 
die Geleise und auf den zum Bistro umfunktionierten Eisenbahnwagen der anderen Mieterin. Noch immer sind keine weiteren Gäste eingetroffen. «Das könnte wirklich etwas besser laufen», gibt Inglin zu bedenken. «An den bisherigen Bar-Anlässen waren maximal 15 Leute hier. Das hat sicher mit der Ferienzeit zu tun. Doch viele Chamerinnen wissen noch nichts von unserer Existenz», sagt Inglin.
Grosse Hoffnungen haben die Projektbeteiligten in die baldige Belebung des Quartiers. Denn nach und nach ziehen nun Mieter in die neuen Wohnungen ein. Inglin deutet auf das nebenanstehende Hochhaus, sagt: «Zwei der künftigen Einwohner:innen haben bereits zugesagt, beim Langhuus aktiv werden zu wollen.»

Von Plastik bis Frühschoppen
Dass viele Chamer:innen noch nichts von der Kulturfabrik wissen, ist bedauerlich. Das Programm lässt sich nämlich bereits sehen. Die Basis bilden zwei Bar-Abende pro Woche. Ein Kleidertausch für Frauen, Spielabende und zwei Jam Sessions wurden zudem bereits durch­geführt. Daneben findet sich im Kalender auch Abenteuerliches. Der Anlass «Mach Plastik plastisch» etwa, oder ein sonntagmorgendliches «Philosophisches Gespräch – Frühschoppen». Es könnte eine der ausgeprägten Stärken des Langhuus werden, dass hier kulturelle Experimente gewagt werden können, welche in grösseren Häusern, wie der Chollerhalle oder dem Lorzensaal, nicht möglich sind.
«Wir möchten bewusst Nischen bedienen, Sprungbrett und Experimentierfeld sein», sagt denn auch der Betriebsleiter. Noch sei man jedoch in der Startphase und müsse eruieren, was funktioniere, und was nicht. «Die Jam Sessions waren zuerst jeweils auf den letzten Donnerstag im Monat geplant. Bis uns jemand darauf hinwies, dass in der Niente Bar in Zug an diesem Tag ebenfalls Jazzkonzerte gespielt werden.» Nun finden sie bei uns jeweils am ersten Donnerstag statt. «Denn konkurrenzieren möchten wir niemanden.»

Anschnallen, losrollen
Monika Knüsel ist Teil des Vorstands und mitunter Teil des Programmteams. Ideen hat sie noch einige in petto. «Mich reizt alles, was nachhaltig ist. Ich hätte etwa Lust, einen Gleisflohmi zu organisieren, an dem das ganze Quartier teilnehmen kann. Oder auf verschiedene Arten 
von Tausch-Anlässen, beispielsweise für Weihnachtsschmuck.» Als direkte Nachbarin ist es ihr wichtig, ihren Teil zur kulturellen Belebung des Quartiers beizusteuern.
Mittlerweile hat sich auch Inglin die Rollerblades an die Füsse geschnallt. Er sagt: «Wir ­erhoffen uns, ein Wohnzimmer für die Stadt 
zu werden. Hier soll man auch ohne Konsumationszwang herkommen können.» Dies selbst tagsüber unter der Woche. «Dann gilt einfach Selbstbedienung zu vergünstigten Preisen.» Die Vision Inglins ist eine romantische. «Es wäre schön, wenn wir nicht nur zum Treffpunkt würden, sondern dass die Stammgäste mit der Zeit selber Verantwortung übernähmen. Etwa, indem sie Erstbesucher:innen zeigen, wie der Betrieb läuft, oder auch mal einen Bardienst übernehmen.» Und weiter: «Wir freuen uns auf eine angenehme Form der Abhängigkeit.»
Der Barbetrieb an den Wochenenden läuft nämlich nur durch die Hilfe von Freiwilligen. «Müssten wir das Personal auszahlen, hätten wir keine Chance», sagt Inglin. «Wir hoffen, die Betriebskosten mit Einnahmen der Bar decken zu können.»

Verkleinertes Projekt
Eigentlich hätte das ganze Projekt ursprünglich deutlich grösser werden sollen. Jedenfalls, wenn es nach dem Verein gegangen wäre. Die 
IG Langhuus war beim Projektwettbewerb vor rund fünf Jahren davon ausgegangen, auf der gesamten Fläche des Langhuus wirken zu können. Der Gemeinderat entschied anders. Nun steht der Kulturfabrik nur knapp die Hälfte der 600 Quadratmeter zur Verfügung.
Der Beschluss der Jury brachte den Verein damals regelrecht ins Straucheln. Das ursprüngliche Konzept, in das neben Xaver Inglin auch Nic Baschung und Roman Ambühl viel Herzblut investiert hatten, musste angepasst werden.
Seinen Frust von damals scheint Inglin einigermassen verwunden zu haben. Obwohl er sich des begrenzten Platzes sehr wohl bewusst ist. Er deutet etwas missmutig auf die gelben Markierungen auf dem Boden des Lokals. «Seit Jahren gehört eine gemeinnützige Velowerkstatt zu uns. Das Container-Provisorium steht heute bei der reformierten Kirche. Der Plan ist jedoch, diese hier einzubauen.» Daneben soll auch ein kleines Backoffice entstehen. Es sind Pläne, welche den sowieso schon begrenzten Raum zusätzlich verkleinern, dem Verein jedoch wichtig sind.
Inglin zuckt mit den Schultern. Irgendwie wird es gehen müssen. Immerhin bleibt bis zur Umsetzung noch genügend Platz, um ein paar Runden auf den Rollerblades zu drehen. Und genau das tut der Betriebsleiter nun auch.

(Text: Valeria Wieser)

Hier gehts zu einer Veranstaltungen im Langhuus: zugkultur.ch/65tZHD