«Warum ist das Geschlecht so wichtig?»

Dies & Das

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Die jüngste Ausgabe des Talk-Formates «Heute ZUGast» im Burgbachkeller stellt Transidentität, Rollenbilder und Religion ins Zentrum. Zwei Gäste werfen einen Blick aus unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen.

  • Moderator Dominik Widmer mit seinen Gästen Olivia Röllin (SRF-Moderatorin) und Nik Flütsch (Gynäkologe). Bild: Stefan Kaiser
    Moderator Dominik Widmer mit seinen Gästen Olivia Röllin (SRF-Moderatorin) und Nik Flütsch (Gynäkologe). Bild: Stefan Kaiser

Zug – Eigentlich will er gar nicht mehr über seine Lebensgeschichte reden, somit dürfte es jetzt das letzte Mal gewesen sein. Denn Niklaus Flütsch ist ein zufriedener Mensch, der endlich seinen «Farbfilm» lebt. Seine ersten 46 Lebensjahre bezeichnet er rückwirkend – trotz glücklicher Kindheit auf dem Land – als «Schwarz-Weiss-Film»: Es waren lange Jahre im falschen Körper.

Niklaus Flütsch ist durch seine bewegende Biografie und ein ebenso bewegendes Buch darüber einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Als Mädchen geboren, hat er sich stets im falschen Körper gefühlt, bis er mit eben 46 Jahren «seinen Körper der Seele angepasst» hat – seither ist der aus dem Prättigau stammende Zuger Gynäkologe mit sich im Reinen. Der Farbfilm – er läuft.

Flütsch ist an diesem Abend einer der Gäste bei Heute ZUGast, dem hauseigenen Talk-Format mit Wohnzimmerflair im Burgbachkeller, moderiert vom Zuger Radiomann Dominik Widmer. «Es ist dies ein Abend, den es so nicht mehr geben wird», sagt Widmer zu Beginn, darauf anspielend, dass Niklaus Flütsch nach diesem Talk seine entbehrungsreichen Jahre endgültig hinter sich lassen und nicht mehr thematisieren will.

Es hat ein Wandel stattgefunden

Das den Raum bis auf den letzten Platz füllende Publikum nimmt konzentriert auf, wie Flütsch den Wandel im Umgang mit Transidentität und Geschlechterrollen beschreibt. Wie es erst wenige Jahre her ist, dass betroffene Menschen noch mit unwürdigen, bedenklichen Hürden konfrontiert waren. Heute sei das zum Glück besser, so das Fazit des Gynäkologen.

Auch das Verständnis von Geschlechtsidentität und althergebrachten Rollenbildern sei im Wandel begriffen. «Und doch herrscht halt immer noch die allgemeine Auffassung, dass das bei der Geburt festgestellte biologische Geschlecht quasi das gesamte Leben des Kindes vorgibt», fügt Flütsch an und pocht auf sein Befürworten einer genderneutralen Erziehung. «Warum ist das Geschlecht so wichtig?»

Vom «Irrtum» in der Genesis

Als zweiter Gast neben dem Zuger Gynäkologen nimmt Olivia Röllin auf dem Sofa Platz. Die Zugerin und Moderatorin der «Sternstunde Religion» bei SRF stellt eigentlich lieber Fragen, als dass sie Antworten gibt. Aber an diesem Abend ist sie auskunftsfreudig, spricht über ihre Jugendjahre in Zug – die nicht nur vom Schabernack auf der Rössliwiese geprägt waren – und wie sie eigentlich hätte Schauspielerin werden wollen, dann aber doch beim Fernsehen gelandet und damit sehr zufrieden ist.

Olivia Röllin steuert wertvolle Impulse aus philosophisch-religiöser Sicht zum Thema Geschlechter bei und hält als überraschendes Detail fest, dass die Unterscheidung Mann/Frau sowie die daraus entstandenen Rollen möglicherweise auf einen Übersetzungsfehler in der Heiligen Schrift zurückzuführen seien. Ein «Irrtum» in der Genesis. «Die Religionen haben zweifelsohne dazu beigetragen, dass die Rollen von Mann und Frau so ausgeprägt sind», ist sie überzeugt.
Trotz Geschlechteridentität als Schwerpunktthema gestaltet sich der höchst unterhaltsame Talk-Abend vielseitig mit Einblicken ins Privatleben der beiden Geladenen und zahlreichen heiteren Momenten. Als unangekündigter Gast holt Dominik Widmer die Zuger Maturandin Polina Ebnöther auf die Bühne. Sie berichtet munter über ihre Abschlussarbeit: die Herstellung eines veganen Eises mit Methoden aus der Molekularküche. Und die «Hausband» dieses Abends – das Trio um den Zuger Akkordeonisten Julian von Flüe – hält virtuose Konzerteinlagen aus dem aktuellen Repertoire feil. Da springt schon mal die eine oder andere Saite von der Gitarre. (Text von Andreas Faessler)