Jetzt wird dem Mythos neues Leben eingehaucht

Theater & Tanz

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Bis zur Premiere des Festspiels «Morgarten der Streit geht weiter» wird noch gefeilt. Für das Produktionsteam ist die «Riesenkiste» eine grosse Herausforderung.

  • Das Produktionsteam und die Schauspieler haben bis zur Premiere noch alle Hände voll zu tun. (Bild Werner Schelbert)
    Das Produktionsteam und die Schauspieler haben bis zur Premiere noch alle Hände voll zu tun. (Bild Werner Schelbert)

Oberägeri – Das Hämmern ist schon beim Parkplatz der Festhütte in Morgarten zu hören. Dahinter erhebt sich die gedeckte Tribüne mit den rund 850 Sitzplätzen für das Freilichtspektakel «Morgarten der Streit geht weiter», das am 7. August Premiere feiert. Die Bühne, dort werden gerade Nägel eingeschlagen, befindet sich davor. Sie liegt eingebettet in die hügelige Landschaft unterhalb des Denkmals, das an die Schlacht von 1315 erinnert.

Kaum ist Regisseurin Annette Windlin eingetroffen, wird sie mit technischen Fragen bombardiert. Ruhig gibt sie die nötigen Auskünfte und dirigiert daneben den Probenbetrieb sowie die technischen Details.

Logistische Herausforderung

In gelben Shirts und mit Helmen in der Hand marschiert eine Habsburger Soldatengruppe auf. «In 700 Jahren wird die Schweiz noch stehen ...», singt sie und ballt die Fäuste in die Luft. «Ihr müsst sofort präsent sein und dynamischer auftreten», ruft ihnen Regieassistent Matteo Schenardi zu und zeigt, wie zur Musik marschiert und die Arme gespreizt werden sollen.

Nebenan übt die Narrengruppe. «Hofnarr bin ich keiner ...», beginnt der erste seinen Text. «Stopp, die Musik ist noch nicht da», ruft die Regisseurin. Das Licht geht an, die Musik erklingt und alles wird mehrmals durchgespielt, denn es bleiben nur noch zwei Wochen.

Das von Musik und Videoprojektionen begleitete Freilichtspektakel stellt für das Team eine riesige Herausforderung dar in Bezug auf das Material und nicht zuletzt logistisch. Alleine für die rund 90 Schauspieler, Statisten und Sänger werden beispielsweise über 300 Kostüme benötigt, denn manche Spieler sind in drei bis vier Rollen zu sehen. Ruth Mächler ist dafür neben Bühnenbild und Requisiten verantwortlich.

Der Probenplan ist umfangreich. Laut Annette Windlin begannen die Gesangsproben letzten September, seit März gilt es auch für die Darsteller ernst. «Pro Woche sind nun vier Proben angesetzt, auch an den Wochenenden wird so kurz vor der Premiere geprobt. Wir sind im Zeitplan. Jetzt wird alles verfeinert, und Kostüme, Video, Licht und Ton werden abgestimmt», erläutert die Regisseurin. «Die Darsteller leisten einen unglaublichen Einsatz und stellen viel Zeit zur Verfügung. Sie sind mit Leib und Seele dabei», lobt Windlin ihre rund 90-köpfige Truppe, die gemeinsam mit dem Produktionsteam das Spektakel stemmt. Für das Stück genüge die Darstellerzahl, doch einige mehr hätten es schon sein dürfen. «Viele sind aus Zug, dem Ägerital und Berggebiet; es wirken auch Leute aus umliegenden Kantonen mit sogar aus Uri und St. Gallen. Und welcher Dialekt wird auf der Bühne gesprochen? Die Regisseurin lacht: «Das Stück spielt in der heutigen Zeit, es ist in Mundart geschrieben, und jeder redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.»

Geschichte erlebbar machen

Das Stück habe sie zusammen mit dem Autor Paul Steinmann entwickelt: «Es will die Geschichte rund um den Mythos Morgarten erlebbar machen aus der heutigen Perspektive.» Da treffen historische Personen wie Herzog Leopold und sein berühmter Narr sowie ein Organisationskomitee aus der Gegenwart aufeinander. «Wir müssen keine Antwort geben, ob Morgarten stattgefunden hat oder nicht. Das ist nicht unsere Aufgabe. Uns interessiert der Mythos, denn die Schweiz hat ihn zur Stärkung der eigenen Identität benützt», sagt Windlin.

Mitwirkende sind begeistert

Strahlend verlässt die Chamerin Judith Spörri die Bühne. Die Lehrerin hat im Stück drei Auftritte zu bewältigen, als Lieddichterin sowie als OK- und als Chor-Mitglied. «Ich habe schon oft gespielt und die Ausbildung als Theaterpädagogin absolviert. Hier hat mich Annette Windlin zur Teilnahme animiert. Es macht Spass und ist ein grosser Lehrplatz für mich», sagt sie begeistert. Für sie sei die Beteiligung eine Chance: «Hier kann ich miterleben, wie ein solches Riesenprojekt zu Stande kommt.»

Auch die Oberwilerin Karin Koller ist Theaterpädagogin. Der Kindergartenlehrperson gefällt die Rolle als Stadtarchivarin, und sie sagt lachend: «Ich bin in eine Liebesgeschichte mit dem Dirigenten des Chors verwickelt. Das Intrigieren macht mir Spass.» Die Teilnahme am Festspiel sei «sehr spannend». «Ich sehe, was es heisst, sich die Abläufe und Rollenwechsel zu merken. Das Projekt ist eine Riesenkiste und etwas Einmaliges. Mit gefällt auch, wie schnell unter den Mitwirkenden eine Vertrautheit entstanden ist.»

Und was bedeutet den jungen Frauen der Mythos? «Früher war Morgarten für mich ein Ort, mehr nicht. Jetzt habe ich über die Geschichte viel gelesen, und der Name hat angefangen zu leben.» Karin Koller erzählt, dass sie von Leuten gefragt worden sei, warum man die Schlacht aufleben lasse. Nachdrücklich sagt sie: «Wir wollen ja gar nicht das Gemetzel glorifizieren, sondern es aus verschiedenen Blickwinkeln kritisch ansehen. Mir gefällt der Text, worin es heisst, es sei gleich, ob die Schlacht stattgefunden habe oder nicht. Der Sieg ist dank Freundschaft errungen worden. Hier geht es um Werte.»

Zu den Jüngsten gehört die 14-jährige Svenja Müller aus Morgarten. Sie tritt in der Narrengruppe auf. «Ich habe noch nie Theater gespielt. Als ich davon hörte, fand ich das eine gute Gelegenheit, und alle sind mir offen begegnet», sagt sie und springt voller Engagement zum nächsten Einsatz auf die Bühne. Aber nur wenige Minuten später öffnet der Himmel, wie es scheint, alle Schleusen: Es giesst in Strömen. Schnell eilt alles unter das schützende Dach. Annette Windlin sagt trocken: «Das ist Freilichttheater.» (Monika Wegmann)