Bühne frei den Superhelden

Theater & Tanz

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Drei Einwanderer-Generationen erzählten im Stück von Massimo Furlan ihre persönlichen Geschichten.

  • Die Helvetia als Zöllnerin. (Bild PD/Pierre Nydegger)
    Die Helvetia als Zöllnerin. (Bild PD/Pierre Nydegger)

Zug – Schwarz. Eine Stimme aus der Dunkelheit: «Je m’appelle Luigi et je suis né à Napoli en 1949.» Luigi erzählt dem gut gefüllten Saal von seiner bescheidenen Kindheit mit leicht italienischem Akzent. In den hochdeutschen Untertiteln ist zu lesen, dass Luigi als Kind keine Schuhe hatte, schon mit elf einen der zwei Berufe im Dorf lernte (Maurer statt Schreiner) und davon träumte, Fussballspieler zu werden.

Dann treten sie langsam aus dem Schatten, die drei alten Männer, geboren in Italien, ausgezogen in die Schweiz, während passenderweise die gefühlsvolle Ouvertüre von Verdis «Traviata» erklingt.

Wie die Hauptprotagonistin in Verdis Oper stürzen sich auch Luigi, Guiseppe und Silvano im Theaterstück «Les Italiens» (2019) in eine aufregende, neue, aber auch gefährliche Welt, als sie den folgenreichen Entscheid fällen, auszuwandern. Auf der Suche nach Erfolg und Geld, Misere und Hunger hinter sich lassend.

Zu diesem Stück inspirierte Regisseur Massimo Furlan, selbst Kind italienischer Herkunft, geboren in der Schweiz, eine Gruppe italienischer Rentner, die er in der Cafeteria des Théâtre Vidy-Lausanne antraf, wo sie täglich Karten spielen.

Auf der Bühne steht auch die nächste Generation: Drei Söhne aus italienischen Einwandererfamilien und zwei Tänzerinnen. Sie alle erzählen von ihren Erinnerungen und Träumen. Laut Pressetext lockte das Stück in der Westschweiz «Menschen in Scharen ins Theater» und erreichte auch Menschen, die Theaterangebote sonst wenig nutzen.

Die unauffälligen «Supermen»

Das hat damit zu tun, dass die Geschichten persönlich, authentisch und in leicht verständlicherer Sprache erzählt werden. Anders als in Verdis «Traviata» steht hier nicht die Oberschicht im Zentrum, sondern der einfache Arbeiter: Generationen von Einwandererinnen und Einwanderern, welche die heutige Schweiz stark geprägt haben. Furlans Stück stellt eine Hommage an all jene Zugezogenen dar, die sonst (zu) oft im Schatten stehen.

Das zeigt sich im ersten starken Bild des Abends, als sich die drei rüstigen Rentner gemächlich ausziehen. Unter ihrer schmucklosen Alltagskleidung kommen knallige Supermen-Outfits zum Vorschein: rote Unterhosen, gelber Gürtel, blauer Anzug.

Wieso, das erklärt sich, wenn Maurer Luigi davon erzählt, dass er als Saisonarbeiter in Unterkünften ohne Wasser und Heizung schlief, nach Ende der Saison sogar auf der Strasse, oder Silvano ohne Lohn gegen Kost und Logie kellnert – begleitet von treuem Heimweh. Hier tun sich Gräben zwischen dem wohlhabenden Zuger Publikum und den italienischen Rentnern auf, die der Zuschauer innerlich mit Respekt wieder füllt.

Der Druck auf die Zugezogenen kam von allen Seiten: «Ich hatte das Gefühl, die Träume meiner Eltern verwirklichen zu müssen – am besten wäre ich deren Meinung nach wohl Papst geworden», sagt einer ironisch. Dabei habe er sich stetig auf einem Spagat befunden, durfte er doch nicht zu stark auffallen, während er sich um stetigen Perfektionismus bemühte.

Auch das fremde Land machte es ihnen nicht einfach: Die heutigen Schweiz-Italiener fahren in ihrem süssen Fiat 500 über die Grenze, vorbei an einer engelähnlichen Helvetia mit Schild, welche die Träume der Italiener sofort auf den harten Boden der Schweizer Bürokratie zurückholt, indem sie mit einem Verhört beginnt: «Arbeit? Arbeitsbewilligung? Alter?»

Trotz oder gerade wegen all dieser Strapazen finden Luigi, Silvano und Giuseppe und deren nachfolgende Generationen ihren Weg, sei es als Sänger oder als Pfarrer.

In ihrer Brust schlagen heute zwei Herzen, wie einer zum Schluss treffend zum Ausdruck bringt, nachdem sie sich ihre unauffällige Alltagsbekleidung wieder übergestreift haben: «Ich werde in diesem geliebten Land bleiben, sie ist meine zweite Heimat geworden.» (Text von Fabian Gubser)