Subtile Werke aus der Isolation

Kunst & Baukultur

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Über 60 Kunstschaffende haben sich im Namen von Visarte Zentralschweiz selbst porträtiert. Online und originell.

Zug – Das Bild spricht einen sofort an: verträumter Blick aus nackter Haut, rosa Blüten auf Gesicht und Haar. Und dieses schöne weibliche Wesen haucht eine Art Flaschengeist in den Hintergrund über sich – in Form eines gezeichneten Selbstporträts.

Dazu schreibt die Zentralschweizer Künstlerin Claudia Bucher am 7.April 2020: «Coronavirus – alles geht drunter und drüber! Bin verunsichert. Versuch, eine Insel für meine Familie in den eigenen vier Wänden zu schaffen. (...) Hüpfe von einem Gedanken zum nächsten. Gefühl von Ohnmacht. Eine dicke Wolke schwebt, während draussen die Vögel zwitschern und die Sonnenstrahlen durch die Fenster drängen.»

Riesige Resonanz, gerade auf Instagram

Mit diesem Selbstporträt reiht sich Claudia Bucher in mehr als 60 weitere Selbstporträts Zentralschweizer Künstler ein: Aufgerufen zu dieser Reihe während des Lockdowns hatte ­Visarte Zentralschweiz, der Berufsverband für visuelle Kunst, dem 260 Aktivmitglieder angehören. Andreas Weber, Kunstschaffender und Visarte-Mitglied, erklärt die Idee so: «Um Künstlerinnen und Künstler sichtbar und im Austausch zu halten, publizieren wir seit einigen Wochen in den Social Media Facebook und Instagram sowie auf unserer Website ‹Selbstporträts im Lockdown›, in denen unsere Mitglieder in Bild, Film und Wort aus ihrem Leben in dieser ausserordentlichen Zeit erzählen und reflektieren.»

Weber weiter: «Das Genre Selbstporträt, das in der Renaissance mit Dürer eine erste Blüte erreichte, wird in der zeitgenössischen Kunst oft benutzt, um am Selbst gesellschaftliche Themen zu reflektieren, man denke zum Beispiel an die Selbstinszenierungen von Cindy Sherman. Das ‹Selbstporträt› nicht als Nabelschau, sondern als Spiegel – davon hat es in unserer Serie schöne Beispiele.» Beendet wird die Serie am 10.Mai.

Der Lockdown-Aktion widme man demnächst eine grosse Sonderausgabe der Online-Vereinszeitschrift «Feuilleton», die nun ausnahmsweise auch in einer kleinen Auflage gedruckt werde. Andreas Weber: «Wir freuen uns auf ein vielstimmiges Zeitdokument aus der Zentralschweizer Kunstszene – die Publikation ‹Selbstporträt im Lockdown› wird 90 Seiten umfassen und um den 20.Mai erscheinen. Zu bestellen bei Visarte Zentralschweiz, für 20 Franken inklusive Versandkosten.»

Andreas Weber erzählt, dass man zu Beginn mit vielleicht zehn oder zwanzig Beiträgen gerechnet habe, doch dann seien da plötzlich ganze sechzig gewesen. «Die Resonanz war riesig, von Künstlern wie Publikum. Durch die Aktion haben wir auf Instagram über ein Drittel Follower mehr.» Viele würden rückmelden, wie schön es sei, auf diese Weise hiesige Künstler zu entdecken. Weber: «Das Ganze ist auch Ersatz für sozialen Austausch – Ersatz für den Schwatz auf der Vernissage bei Chips und bei Wein.»

Jetzt erfährt man eben über die Selbstporträts, wie es den Künstlern so geht. Eindrücklich auch jenes von Raphael Rezzonico, das am 10.April 2020 entstand. Rezzonico schreibt: «Da ich nicht mehr ins Druckatelier gehen kann, erleben meine Ölfarben zu Hause eine Renaissance.» Sein Selbstporträt ist gemalt in starken Farben und in Öl auf Holz, das Gesicht rot, das Haar weiss, umrundet von Blau, eingerahmt von Grün. Der Künstler erzählt: «Sehr beschäftigt hat mich ein Anruf einer Cousine. Ihre Tante ist im Tessin am Coronavirus gestorben. Bei der ‹Beerdigung› durften 5Personen teilnehmen. Dieses Gefühl menschlicher Ohnmacht (...) ist sehr bedrückend.»

Die Kunst aus der Krise heraus, sie inspiriert

Kurz vor Ende dieser Visarte-Aktion ist klar: Die Idee, zu zeigen, wie Kunstschaffende mit dem Lockdown umgehen, funktioniert. Mit Fotos, Videos, Texten zeigen die Künstler auf, wie der Lockdown ihr Leben verändert, woran sie arbeiten, was sie umtreibt. Ob die Krise ihre Kunst verändert, wie von Visarte zu Beginn der Aktion gefragt, muss wohl erst mal unbeantwortet bleiben. Der 84-jährige Alfons Bürgler, der im Lockdown vor allem das Lindy Hop Tanzen vermisst, meint: «Ob mich die Krise verändern wird? Ich bin gespannt.» Aber die Kunst aus der Krise heraus, sie inspiriert. (Susanne Holz)

Hinweis
Alle Selbstporträts: Website Visarte Zentralschweiz: www.visarte-zentralschweiz.ch/selfportrait