Künstler lösen die Götter in Weiss ab
Kunst & Baukultur
Die Räume des alten Spitals bieten der Kunst eine ungewöhnliche Plattform. Die Ausstellung «Reanimationen» nimmt Bezug auf früher und regt zum Nachdenken an.
Zug – Von den Besuchern ist niemand so krank, dass er sofort ins Spital muss. Alle sind freiwillig da, und niemand bekundet Angst vor den knallroten Erregern, die rund um den Eingang wuchern. «Die Installation mit den Tennisbällen ist von der Zuger Künstlerin Ana Azpeitia», erläutert Kuratorin Carole Kambli, die am Freitagabend durch die Ausstellung «Reanimationen» in den Räumen des alten Kantonsspitals führt. Viele Kunstwerke befassen sich mit den örtlichen Gegebenheiten oder nehmen symbolhaft Bezug auf Aspekte rund um den menschlichen Körper.
Ehemalige Mitarbeiterinnen
Viele staunen über die Grösse und den noch immer guten Zustand des alten Gebäudes. Weil der Lift nicht mehr in Betrieb ist, geht es über die Treppen zu Fuss. Im früheren Warteraum ertönt Vogelgezwitscher, und mitten auf dem Boden liegt eine schwere bronzene Kugel von Markus Uhr. Carole Kambli zieht an einer Kette, und die Tür zu den Operationsräumen schwingt auf. «Das ist noch immer wie früher. Meine beiden Kolleginnen und ich haben hier viele Jahre gearbeitet», sagt Imelda Bachmann und schwelgt in Erinnerungen. Sie muss lachen, als sie die Installation «Stillstand» mit den stehen gebliebenen Uhren sieht: «Die hingen alle hier.»
Eine grosse Fotoarbeit von Lukas Hoffmann mit der Bauruine eines nie fertiggestellten Hauses in Walchwil symbolisiert das spektakuläre Zug, wobei er auch auf das Spitalareal anspielt.
Unheimliche Sujets
An einen Operationstisch erinnert die mit Schotter gefüllte Holzwanne von Eugen Jans. Rote Fäden führen von deren Mitte aus vieldeutig in alle Richtungen. Im Nebenraum hat Quido Sen ebenfalls einen solchen Tisch aufgebaut, darauf liegen drei rote mit Sand gefüllte Säcke, die über Röhrchen mit riesigen grünen Flaschen verbunden sind. Und alle Bewegungen der Besucher lösen unheimliche Töne aus.
Besonders eindrücklich wirken die in Schubladen befindlichen Zeichnungen mit einer jungen kranken Frau von Antonia Bisig. Diese hat sie vor vielen Jahren nach langer Krankheit geschaffen und, wie Carole Kambli weiss, noch nie öffentlich gezeigt.
Weil die Elektrizität für die Ausstellung wieder eingeschaltet worden ist, können die Lichtskulpturen mehrerer Künstler bewundert werden, so «Keira» von Markus Uhr oder jene der in Zürich lebenden Polin Zosia Kwasieborska. Sie hat sich in ihren Arbeiten im Narkoseraum mit den Heilversprechen der Ärzte und mit der humanistischen Tradition der Schweiz befasst. In ihrem Zelt aus fragiler Gaze leuchtet das rote Kreuz, und aus einer Notfalltasche strahlen die Ampullen.
Im Aufwachsaal hat Niklaus Lenherr exakt so wie früher mehrere Abtrennvorhänge angebracht. Darauf sind Gedichte von Max Huwyler zu lesen, die vom Lebenskreislauf handeln. Im «Vor Sonnenaufgang» hat er 2001 den Tod seines Bruders Karl verarbeitet.
Wie kommt das Boot hierher?
Einige wenige ausrangierte Geräte stehen oder hängen noch in den Räumen. Das Regal für die Handschuhe ist leer, doch immer noch angeschrieben. Hier im Sterilisiergang ist es düster, und die plötzlich einsetzende Geisterstimme lässt die Besucher erschreckt zusammenzucken. «Das sind die alten Götter in Weiss, die nicht loslassen können», sagt Monika Huwyler schmunzelnd über die Audioklänge von Simon Wunderlich.
Auf dem Empfangstresen der Intensivstation bringt ein rotes Boot die Besucher ins Staunen. Denn es steht schräg exakt auf der Kante und würde umfallen, wenn es nicht mit Spannungsseilen an Boden und Decke befestigt wäre.
Andere Künstler steuern zum Thema Videos bei: Sabine de Spindler mit «Spuren», Susanne Hofer mit «Amazing», Gregory Hari mit einem «Spitalbesuch» und Bettina Diel mit witzigen Vogelporträts aus Papua-Neuguinea, die sie mit lokalem Gezwitscher kombiniert.
Bezug zu den Flüchtlingen
Die Fotoarbeiten von Baltensperger + Siepert befassten sich mit Grenzen in Krisengebieten. Indem sie die Motive auseinanderschneiden und neu zusammensetzen, lassen sie die Grenzen verschwinden.
Einen Bezug zu Flüchtlingen und ausländischen Kulturvereinen im Gebäude stellt auch die Fotoserie von Alexandra Wey im Untergeschoss her. Sie hält sich gegenwärtig im Zuger Atelier in Kairo auf. Mit sensibler Empathie hat sie syrische Flüchtlingsfamilien in den Lagern an der jordanischen Grenze aufgenommen.
In der alten Küche besticht Myriam Arnelas Acrylbild aus Kairo. Nebenan hat Sara Masüger eine Installation mit blütenhaften Gebilden angeordnet, die auf den fragilen Menschen hinweist. Man sieht die Kunstwerke nur dank der Licht spendenden Installation von CKÖ. Und wer sich noch von den fremden Klängen hinter dem schwarzen Vorhang betören lässt, entdeckt ein erheiterndes Video von Olga Titur. Darin vermischt sie farbenfroh Orient und Okzident. «Das ist eine sehr interessante und vielfältige Ausstellung, und alles wurde uns gut erklärt», stellt Annegrit Nawrocki lobend fest, ebenfalls eine ehemalige Mitarbeiterin des Hauses.
Spannende Zwischennutzung
Das Zuger Kantonsspital ist 2008 stillgelegt worden. Die leeren Behandlungsräume erfahren dank der Kulturstrategie der Stadt Zug noch bis 27. Juni eine spannende Zwischennutzung. Das aktuelle Projekt steht unter dem Motto «Auf in den Süden», womit auf die örtliche Lage Bezug genommen wird. Es will Begegnungen mit verschiedenen Kulturen ermöglichen, denn rund um die Ausstellung finden diverse Aktivitäten statt. Am Kulturfestival beteiligen sich die Mieter, Vereine und Institutionen des Areals. Carole Kambli, die hofft, dass das Areal auch in Zukunft für Kulturprojekte zur Verfügung steht, ist begeistert über die bisherige Resonanz: «Das Interesse ist gross, auch von Seiten der Schulen.» (Monika Wegmann)
Hinweiswww.aufindensueden.ch