Ein Mann ergänzt den Erfolg mit der Erfüllung

Literatur & Gesellschaft

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Andreas Iten erzählt in einer fiktiven Autobiografie von einem Unternehmer. Dieser realisiert einen Traum.

Unterägeri – Erlebnisse hat man viele. Ereignisse aber, so sagt es die Titel­figur im Roman «Prestobello», sind selten, schicksalhaft, prägen den Verlauf eines Lebens, ja den betroffenen Menschen selber, fordern ihn oft existenziell.

Beim Luzerner Bauunternehmer Emil Schnellschön sind solche Ereignisse etwa der Tod seines Vaters, der ihn mehr oder weniger zwingt, dessen Firma zu übernehmen. Obgleich er doch eher der Kultur und der Philosophie zugetan ist. Oder später der Tod seiner Frau.

Ein eigenes Kulturzentrum

Der Zuger Autor Andreas Iten, früherer Regierungsrat und FDP-Ständerat, hat eine fiktive Autobiografie verfasst: Schnellschön erzählt aus der Ich-Perspektive sein Leben dem inzwischen erwachsenen Enkel. Zum grossen Wendepunkt wird sein Entscheid, das Unternehmen auf dem Zenit des Erfolgs zu verkaufen, seinen Namen in die italienische Entsprechung «Prestobello» zu ändern und ein eigenes Kulturzentrum zu gründen. Dort sollen Ausstellungen, aber auch Diskussionen über philosophische oder aktuelle politische Themen stattfinden.

Prestobello reüssiert auch hier, obschon gerade die Debatten auch in ideologische Polemik ausarten. Darin spiegelt Iten die Verrohung des politischen Klimas. In solchen Buchpassagen erkennt man Itens eigene Ansichten, etwa zur Europapolitik der Schweiz. Ohnehin fragt man sich bei der Lektüre, inwieweit die eigene Biografie des 83-Jährigen in den Roman eingeflossen ist. Aber fragen wir ihn selber.

Sehen Sie sich ein Stück weit selber in dieser Figur? Es gibt Parallelen zu Ihrem Leben, die gesellschaftspolitischen Werte Prestobellos sowie sein kulturelles Interesse müssten Ihnen entsprechen. Auch Anspielungen auf Personen wie Christoph Blocher oder den Arzt Frank A. Nager weisen auf einen realen Hintergrund.

Andreas Iten: Jeder Schriftsteller wird die Frage beantworten müssen, was Teil seiner Biografie sei und was fiktiv. Ich sehe mich nicht in Prestobello, erkenne in ihm aber meine persönliche Grundhaltung dem Leben gegenüber. Wie sollte sonst Blut in die Figur fliessen.

Gibt es Elemente der Story, die Sie selber erlebt haben.

Ja, gerade Erlebnisse in Italien, etwa das jahrelange Zelten dort. Oder das Beobachten gesellschaftlicher, kultureller und politischer Vorgänge. Prestobello ist eine Denkfigur, die ich durchaus auf mein sich stets entwickelndes Überlegen beziehen kann. Ebenfalls real ist meine Liebe zu Robert Walser und anderen Autoren und Philosophen. Auch dass ich selber zwei Frauen an Krebs verloren haben, scheint im Roman auf. Prestobello aber hat eine ganz andere Geschichte, die ich bei vielen erfolgreichen Männern beobachten konnte.

Man könnte kritisch anmerken, dass Prestobello sich ins gemachte Nest seines Vaters setzt und sich später fern von der Lebensrealität der meisten Menschen als reicher Mann selber verwirklicht.

 

Dies würde dem Roman nicht entsprechen. Prestobello musste sein Studium abbrechen und arbeitete bis gegen 60 hart in der Firma. Als er sie verkauft hat, legt er sich nicht etwa eine Jacht auf dem Mittelmeer zu, sondern will mit dem Kulturhaus der Gesellschaft etwas zurückgeben. Und engagiert sich erneut. Auch die neue Frau in seinem Leben kriegt er nicht etwa, weil diese nur den reichen Mann im Auge hat. Doch sein Reichtum war interessant für die Geschichte.

Inwiefern?

Ich konnte Fragen thematisieren wie: Was macht ein Mensch, der reich ist und immer noch reicher werden will? Wie gerät eine Firma in die Wachstumsfalle? Findet Unternehmer einen Sinn im Leben? Mich hat auch stets interessiert, ob es für mich sinnvoll wäre, reich zu sein. Und ich habe das immer verneint. Darum habe ich nach meinem Rücktritt fast nur gemeinnützige Aufgaben angenommen. Und die Kolumnen, die ich für das Seniorweb Zürich schreibe, sind kostenlos. (Arno Renggli)

Andreas Iten: Prestobello. Bucher-Verlag, 194 S., 23.–