Von schreiend bis schmerzlich schweigend
Musik
Der preisgekrönte Schriftsteller Lukas Bärfuss stellt sich in seinem Werk «The Journey» dem Thema «Flucht». Er tut dies laut, eindringlich – und auf der Theaterbühne.
Zug – Flucht ist ein «Dauerbrenner» in Politik, Literatur und Gesellschaft. Wie geht ein preisgekrönter Literat und Regisseur wie Lukas Bärfuss mit diesem Thema um? In seinem neuesten Werk «The Journey» erzählt Bärfuss selbst die Geschichte einer Erkundungsreise durch Osteuropa, bei der er Orte wie Minsk, Odessa, Istanbul und Sarajevo besucht. Auf seiner verbalen Reise trifft er auf Menschen, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, und sammelt ihre vielfältigen Geschichten. Diese Erzählungen webt er in einen musikalischen Rahmen ein, unterstützt von der Violinistin Gwendolyn Masin, welche die Geschichten mit Kompositionen aus den jeweiligen Regionen untermalt. Diese Kombination aus Konzert, Lesung und Musiktheater reflektiert die Vielfalt und die kulturellen Gemeinsamkeiten der besuchten Regionen und bringt sie auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck.
Emotionale Themen – grosse Wirkung
Bärfuss beschreibt sich selbst als Nomaden, da er sowohl physisch als auch mental nie wirklich sesshaft geworden ist. Er lebte in seiner Jugend ohne festen Wohnsitz. Seine musikalische Bühnenpartnerin Gwendolyn Masin teilt eine ähnliche Geschichte persönlicher Migration, die sie aus verschiedenen Gründen durch mehrere Länder geführt hatte, bevor sie in die Schweiz kam.
«The Journey» ist ein faszinierendes kulturelles Projekt. Die Texte von Lukas Bärfuss sind sowohl poetisch als auch melancholisch, manchmal traurig und stimmen einen dann und wann nachdenklich. Die vorgelesenen Passagen bieten auch Einblicke in die sozialen und politischen Veränderungen, welche die Geschichte Osteuropas geformt haben. Bärfuss’ Stil zeichnet sich durch eine klare, direkte Sprache aus, die es ihm erlaubt, mit grosser Wirkung emotionale Themen zu erkunden; im Falle von «The Journey» eben auch das Thema Flucht.
Bärfuss ist bekannt für seine gesellschaftskritische Perspektive. Er scheut sich nicht, die Schwächen und Herausforderungen der modernen Gesellschaft – einschliesslich politischer und sozialer Systeme – zu thematisieren. Seine Werke sind oft eine Reflexion über die menschliche Natur und die Bedingungen der zeitgenössischen Welt. Man muss wissen, worauf man sich bei Lukas Bärfuss einlässt; seine Texte – von ihm selbst gelesen – sind absolut nicht jedermanns Sache, und sein Schreien, Wimmern, Kreischen, Keuchen, Stottern in allen möglichen und unmöglichen Tonlagen sind gewöhnungsbedürftig und können mitunter für den einen oder anderen zu viel sein.
Das weiss auch Lukas Bärfuss und schweigt dann und wann. Es ist aber ein schmerzliches Schweigen; denn sobald der Autor schweigt, wünscht man sich seine Stimme zurück, die erzählt, wie und ob es irgendwie weitergeht. Die musikalischen Intermezzi vom Origin Ensemble haben diese «Schweigepausen» musikalisch ergänzt, man hatte während der kurzen Stücke Zeit, das eben Gehörte sacken zu lassen und – auch – zur Ruhe zu kommen.
Es wird von Gwendolyn Masin und dem Origin Ensemble eine musikalische Klangwelt erschaffen, die einen selbst auf die Reise mitnimmt; es werden diverse Gefühle musikalisch zum Ausdruck gebracht: Diese reichen von Freude und Begeisterung über Trauer und Schmerz bis hin zu Gefühlen von Niederlage und Verlust sowie Triumph und Aufbegehren.
Künstlerisch herausragend
«The Journey» wirft ein Licht auf die weniger bekannten Facetten der osteuropäischen Kultur. Die Aufführung – man könnte auch sehr passend von einer Performance sprechen – ist dabei so gestaltet, dass diese die kulturelle Vielfalt und historische Tiefe widerspiegelt, was dem Publikum ermöglicht, eine Verbindung zu den dargestellten Themen herzustellen.
«The Journey» ist ein künstlerisch herausragendes Projekt, das eine kulturell reichhaltige und emotional eindrucksvolle Erfahrung bietet, die nicht nur durch ihre künstlerische Qualität überzeugt, sondern auch durch ihr Engagement für Bildung und kulturelle Sensibilisierung. Lukas Bärfuss hat sich in den letzten Jahren intensiv mit der Thematik «Flucht» und damit verbunden auch «Heimat» auseinandergesetzt und lässt diese seine Erkenntnisse in «The Journey» einfliessen. Es ist ein Projekt, das zeigt, wie Kunst als Medium genutzt werden kann, um historische Narben zu heilen und ein tieferes Verständnis für die vielschichtigen Geschichten Europas zu fördern. (Text von Haymo Empl)