Satire unter der Maske eines Krimis

Theater & Tanz

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Mit ihrer neuesten Inszenierung «Wo isch d’Adele» des französischen Erfolgsdramatikers Rémi de Vos versuchten sich die Zuger Spiillüüt an einer bissigen Satire, in der die Komik nicht leicht in der Balance zu halten war.

  • Ein Teil der Zuger Spiillüüt bei der Premiere des Stücks «Wo isch d’Adele». (Bild Matthias Jurt)
    Ein Teil der Zuger Spiillüüt bei der Premiere des Stücks «Wo isch d’Adele». (Bild Matthias Jurt)

Zug – Ein ganz bestimmtes Bild bleibt einem heuer nach 120-minütigen Spiillüüt-Theater auf der Netzhaut stehen: Vor mausgrauem Bühnenbild von René Ander-Huber erhebt sich rechts hinter weissgekachelter Metzgerei-Theke langsam Rémy Frick mit ellenlangem scharfen Messer und weit aufgesperrten Augen über umfangreichem Bauch, zum Zustechen bereit und angriffig, während von links her eine Meute Männer und Frauen auf Knien, mit erhobenen gabel- und messerbewehrten Armen, ihm langsam entgegenrobben.

Dies zu bedrohlicher Musik (Guido Weber) wie im Hitchcock-Film «Psycho». Das Licht (Beat Auer) verengt sich, die Gewalt droht zu eskalieren. Der Metzger ist der «Schuldige», und Selbstjustiz bricht sich Bahn.

Ein 16-jähriges Mädchen ist verschwunden

Das ist ein tiefenpsychologisches Bild und ein perfekter Regieeinfall für den Höhepunkt des Stückes: Im Tohuwabohu fallen die Hemmungen, die während der vorangegangenen Szenen eine Gesellschaft trotz gefährlich zentrifugaler Kräfte noch zusammenhielten. Denn «Wo isch d’Adele» basiert auf dem Stück «Le Ravissement d’Adèle» des französischen Erfolgsdramatikers Rémi de Vos, in dem sich unter der Maske eines Krimis eine böse Sozialsatire verbirgt.

Die Gemeinschaft in einem kleinen Dorfkosmos gerät aus dem Lot und in die Krise, als ein junger Arbeitsloser (Jón Laxdal) im Laden des Metzgerehepaars (Beatriz Mondin, Rémy Frick) ein Fahndungsplakat aufhängt: Die 16-jährige Adele ist nicht nach Hause gekommen und wird nun gesucht.

Bald taucht Kommissar Teuscher (Marc Haring) samt Chefin (Monique Schellekens) auf und beginnt mit einer Ermittlung, die Spotlichter in die verschiedenen Familien und Beziehungen wirft. Vor allem in die verborgenen und verleugneten, und Teuscher verwickelt sich selbst unweigerlich darin.

Jeder verdächtigt nun jeden. Adeles Grossmutter Clara Bertold (Marlène Keiser) kreuzt auf, wähnt sich als neue Miss Marple, pfuscht aber auch erbarmungslos in die Ehe ihres Sohnes Ruedi Bertold (Thomas Kühl) und ihrer Schwiegertochter Susann Bertold (Daniela Jung) hinein. Das entzweit Adeles Eltern und addiert zum Verlust ihrer Tochter weiteres Elend: verheimlichte Seitensprünge.

Das Neurentnerpaar Agatha und Werner Spiess (Inez Hochreutener, Reto Solèr) kriegt sich in die Haare, weil sie sich über schwindende Kaufkraft beschwert und er sie – und das Dorf – mit so abstrusen Angeber-Geschichten schockiert, dass er schliesslich selbst im Schlaganfall endet. Und doch wieder aufsteht – es ist ja eine Komödie.

Die Dorflehrerin Daniela Gredig (Nelly Gyimesi) ist als Alleinerziehende mit ihrer pubertierenden Tochter Viola (Lucy Kühne) überfordert und zudem ständig damit gestresst, eine Bande Kinder (Vivienne Reber, André Hunziker, Amy Jobe) und die Annäherungsversuche des Kommissars im Schach zu halten.

Und dann mixen da noch ein tratschender Gemeindearbeiter (Helmut Angerler), eine als «Dorfhure» abgestempelte Frau Herzog (Kathrin Gut) und ein Peter (Ueli Spillmann) mit, der offenbar eine Affäre mit Frau Bertold gehabt hat. Und ja, diese Bertold, die Mutter der verschwundenen Adele, bringt schliesslich auch dem tumben Gärtner Hans-Jakob (Martin Nideröst) bei, dass sie sich für seine «Werkzeuge» interessiere.

«Einen Gedanken auf den Weg schicken»

Derlei Frivolitäten traten gegen Ende der Aufführung immer stärker in den Vordergrund – Sex als Obsession. Die Inszenierung (Regie und Mundartfassung Yves Raeber) verstärkte dies visuell, wobei ein künstlicher Schinken eine wichtige Rolle spielte. Entsprechend meldeten sich an der Premiere aus dem Publikum immer häufiger ältere Männerstimmen mit zweideutigen Zurufen: Der Schenkelklopfer liess grüssen.

Eine subtilere Schauspielerführung hätte die lustvolle, aber teilweise stark chargierte Darstellungsweise zurückgenommen und die Komik verfeinert. Denn die Spiillüüt beabsichtigten, laut Deklaration auf ihrer Website, «ein Theater des Intimen» mit «Sensibilität» und wollten «einen Gedanken auf den Weg schicken». Nämlich, wie viel Ungeheuerliches unter der grauen Alltäglichkeit im kollektiven Unbewussten herumwuchert – Narzissmus, Eifersucht, Gier, Gewalt und Totschlag.

Die Titelfigur Adele selbst gab es am Anfang und Ende des Abends nur als ein silbrig-sprudelndes Kichern ab Band, das so vergnügt dahinplätscherte, dass es die Zuschauenden zum Lachen brachte. «Komik ist ein Mittel, um sich von etwas zu befreien, das nicht lustig ist», soll de Vos gesagt haben. Das Publikum dankte nach einem langen Theaterabend mit Applaus. (Text von Dorotea Bitterli)

Die Zuger Spiillüüt spielen «Wo isch d’Adele» von Rémi de Vos im Burgbachkeller am 19./20./21./22./25./26./27./28./29. Januar und am 1./2./3./5./8./9./10./11. Februar 2023. Infos und Tickets unter www.zuspi.ch.