Sie nannten ihn «Totengräber der Heimat»

Brauchtum & Geschichte

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Serie «Zug 1933-1945»: Franz Burri (1901–1987) aus Cham ist ein dermassen überzeugter Nazi, dass er massiv agitiert und «helvetischer Goebbels» genannt wird. Nach dem Krieg muss er für 20 Jahre ins Gefängnis.

  • Franz Burri (rechts) beim Verlassen des Gerichtsgebäudes: Er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. (Bild ASL/Schweizerisches Nationalmuseum)
    Franz Burri (rechts) beim Verlassen des Gerichtsgebäudes: Er wurde zu 20 Jahren Haft verurteilt. (Bild ASL/Schweizerisches Nationalmuseum)
  • Im «Nebelspalter»: Franz Burri sah sich gerne grösser, als er war. (Illustration Nebelspalter Januar 1942)
    Im «Nebelspalter»: Franz Burri sah sich gerne grösser, als er war. (Illustration Nebelspalter Januar 1942)
  • Die Schreibfeder von Franz Burri als Totschläger: bissige Karikatur aus dem «Nebelspalter» von 1942. (Illustration Nebelspalter 68/1942)
    Die Schreibfeder von Franz Burri als Totschläger: bissige Karikatur aus dem «Nebelspalter» von 1942. (Illustration Nebelspalter 68/1942)
  • Franz Burri als Nazi dargestellt: Der «Nebelspalter» getraute sich das. (Illustration Nebelspalter April 1944)
    Franz Burri als Nazi dargestellt: Der «Nebelspalter» getraute sich das. (Illustration Nebelspalter April 1944)

Cham – Emma und Franz Burri-Waser bekommen am 26. Oktober 1901 ein Kind: Sie nennen den Knaben wie den Vater Franz und versuchen ihm die Nestwärme zu geben, die ein Kind verdient. Vater Franz arbeitet in der Kistenfabrik der Anglo-Swiss Condensed Milk Company, die Familie wohnt im Arbeiterquartier Städtli im Seehof, der kleine Franz besucht die Schulen in Cham.

Noch niemand ahnt, welch verhängnisvollen Lebensweg der kleine Franz Burri dereinst einschlagen wird.

Berufswunsch eins: Ordensbruder

Doch seine Eltern sterben innerhalb von drei Jahren, der Junge ist im Alter von 14 Jahren Vollwaise. Er kommt in die Erziehungsanstalt in Rathausen, aber vorerst nicht auf die falsche Bahn. Der Kontakt mit den Geistlichen der Anstalt fasziniert ihn dermassen, dass er selber frommer Ordensbruder werden will. Er tritt einem Laienorden in der Nähe von Wien bei. Nach drei Jahren verabschiedet sich Burri vom Orden. Wir wissen nicht warum. Doch Burris heiliger Eifer bleibt – statt für Gott schwärmt er bald für den Nationalsozialismus. Der Chamer arbeitet in Wien als Buchhalter und als Journalist.

Auch dank einer Empfehlung des Schweizer Botschafters wird Burri Wiener Korrespondent der «Neuen Berner Zeitung». Burri zeigt schon in dieser Zeit seine spätere Einstellung: Er propagiert die «Volksgemeinschaft», eine «deutsche Kampfgemeinschaft» und fordert «deutsches Nationalbewusstsein», sodass sich seine journalistische Tätigkeit umgehend in harte Propaganda verwandelt.

Franz Burri fällt auch den Wiener Polizeibehörden auf. Österreich will den Eiferer loswerden und weist den Schweizer Franz Burri «wegen nationalsozialistischer Umtriebe» aus. Also kehrt er zurück in die Heimat und bemüht sich um eine Anstellung als Redaktor. Doch sein Ruf ist bereits ruiniert, er findet in der Schweiz keine Arbeit. Deshalb gründet er in Luzern die «Internationale Presseagentur» (IPA), notabene mit Geldern des NS-Propagandaministeriums in Berlin. Fortan beliefert er die deutsche Presse mit Hetzartikeln und betreibt Nazipropaganda. Zudem pflegt er die Kontakte mit Schweizer Frontistenführern, ist aber selber in keiner Front aktiv.

Auch in der Schweiz fällt sein Wirken auf. Die Bundespolizei überwacht ihn, hört sein Telefon ab und liest seine Briefpost, die er schon jetzt konsequent mit «Heil Hitler!» unterschreibt. Er hetzt gegen die Juden, welche die «germanische Rasse» bedrohten. Er erhält zwei Verwarnungen, weil er die völkerrechtlichen Beziehungen der Schweiz gefährde: Zuerst von der Bundesanwaltschaft, dann sogar vom Bundesrat, doch Burri lässt sich davon nicht beeindrucken.

Darauf verbietet der Bundesrat 1938 Burris «Internationale Presseagentur IPA». Deshalb orientiert sich Burri um: Weil Österreich in der Zwischenzeit Teil von Nazideutschland geworden ist, kehrt er begeistert nach Wien zurück, wo er die IPA wieder aufleben lässt.

Zudem gründet er 1940 in Stuttgart mit radikalen Gesinnungsfreunden den «Bund der Schweizer in Grossdeutschland» und wird dessen Führer. Er agitiert gegen die Schweiz und befürwortet den Anschluss der Schweiz an Grossdeutschland. Den Schweizer General Henri Guisan nennt er einen «Landesverräter» sowie «Juden- und Lügensöldling».

Berufswunsch zwei: Mitglied der Waffen-SS

Franz Burri publiziert nun die Denkschrift «Zur Lage in der Schweiz» und überreicht diese dem SS-Führer Heinrich Himmler mit der Bitte, selber in die Waffen-SS aufgenommen zu werden. In der Schweiz lässt er von Gesinnungsgenossen Flugblätter verteilen, in denen er Parlament, Regierung und Presse diffamiert. Der offiziellen Schweiz geht dieses Wirken im Untergrund zu weit: In Abwesenheit wird Franz Burri in der Schweiz wegen «Angriffen auf die Unabhängigkeit der Schweiz» zu sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Zudem wird er von der Schweiz ausgebürgert, was sehr selten passiert.

Deshalb wird Burri deutscher Staatsbürger und Mitglied der NSDAP. Das hält ihn nicht davon ab, weiterhin die Schweiz propagandistisch zu bearbeiten. Auch 1944 lässt er hetzerische Flugblätter von Mittelsmännern in die Schweiz schmuggeln. Er ruft zur Gründung einer «Schweizerlegion» innerhalb der Waffen-SS auf und fordert offen militärische Aktionen der Nazis gegen die Schweiz.

Burri wird erneut der Prozess gemacht: Diesmal wird er in Abwesenheit zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Weil er in Wien lebt, haben die Schweizer Behörden keine Möglichkeiten für einen Zugriff. Aber nach Kriegsende verhaften ihn die Amerikaner am 11. Dezember 1945. Sie schieben ihn daraufhin in die Schweiz ab. Zwei Jahre lang dauern daraufhin die Untersuchungshaft und die Ermittlungen gegen Burri und 40 seiner Mitstreiter. Schliesslich kommt es 1948 vor dem Bundesstrafgericht, das in Zürich tagt, zum grossen «Landesverräterprozess», der schweizweit grosses Aufsehen erregt.

Berufswunsch drei: Gauleiter der Schweiz

Zeugen besagen, dass Burri auf den Posten eines Schweizer Gauleiters aspiriert habe. Er wollte «Landammann der Schweiz» werden, einer Schweiz notabene, die Teil von Nazideutschland gewesen wäre. Als Burri in Zürich vor Gericht gestellt wird, sind die Tribünen des Saals übervoll, die Zeitungen berichten minutiös über die Verhandlungen. «Helvetischen Goebbels» und «Totengräber der Heimat» nennen Zeugen und Zeitungen den Hauptangeklagten Franz Burri; er würde, mutmasst die Zeitung «Die Tat», das «Landesverräterexamen mit dem Prädikat magna cum laude» bestehen.

Burri, der Hauptangeklagte, will den Prozess als Bühne für seine Überzeugungen nutzen und ruft rechtfertigend: «Mein Kampf war nicht Selbstzweck. Er diente einer Idee, die ich noch heute als richtig empfinde – ich habe dafür gekämpft, wie jeder andere für seine Ideen kämpft.» Schliesslich verurteilt ihn das Bundesgericht zu 20 Jahren Zuchthaus. Er sagt selber dazu: Der Gerichtsentscheid sei ein «unblutiges Todesurteil. Das Leben verliert für mich seinen Sinn.» 1959 kommt Burri in den Genuss der vorzeitigen Freilassung, er nimmt Wohnsitz im deutschen Lindau. Er bleibt ein Verfechter des Nationalsozialismus bis zu seinem Tod 1987 und publiziert weiterhin in rechtsextremistischen Organen. Ob er je wieder Cham besucht hat, ist nicht überliefert. (Michael van Orsouw)

Hinweis
Dr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet die bewegte Zeit von 1933 bis 1945. In Folge 8 geht es um einen schweizweit bekannten Waffenhändler, der im Kanton Zug Kunst einkaufte.