«Ich verlasse mich auf meinen Geschmack»

Musik

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Die Anfänge des Zuger Kammerensembles liegen 40 Jahre zurück. Gründer Werner Weiss sitzt bis heute an jedem Konzert am Cembalo.

  • Das Cembalo ist sein Begleiter: Werner Weiss (87) bei sich zu Hause im Zuger Rötel-Quartier. (Bild Stefan Kaiser)
    Das Cembalo ist sein Begleiter: Werner Weiss (87) bei sich zu Hause im Zuger Rötel-Quartier. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Die schwarze Silhouette eines galanten Barockensembles ist seit Jahren identitätsstiftendes Logo des Zuger Kammerensembles und bekrönt jeweils das gedruckte Konzertprogramm. Die zwei jährlichen Doppelkonzerte der aus 15 bis 18 Profimusikern bestehenden Formation sind für all jene ein Fixtermin, welche die authentische Interpretation grosser Barockliteratur sowie Werken der Frühklassik schätzen.

Wortwörtlich fast ein halbes Leben lang schon sitzt Ensemblegründer Werner Weiss jeweils am Cembalo, sich jedoch stets bewusst im Hintergrund haltend – das Bedürfnis nach grosser persönlicher Präsenz liegt ihm fern, wie er selbst einräumt. Dabei ist es in erster Linie sein Verdienst, dass sich das für hohe Spielqualität über die Region hinaus bekannte Ensemble einen so prominenten Platz in der Zentralschweizer Musikszene hat sichern können.

Konzerte stiessen von Anfang an auf Resonanz

Angefangen hat alles vor genau 40 Jahren, als im Zuger Wohnquartier Rötel der allgemeine Wunsch nach lokalen kulturellen Anlässen erwachsen war. So ergriff Werner Weiss, der noch heute im Rötel wohnt, die Initiative, rief ein kleines Musikensemble ins Leben und organisierte in der nahen St.-Verena-Kapelle gelegentliche Konzerte mit Musikliteratur vergangener Jahrhunderte. Es sprach sich schnell herum, und bald waren die Aufführungen jeweils ausgebucht. «Barockmusik wurde zu jener Zeit eher selten aufgeführt, weshalb unsere Veranstaltungen auf grosse Resonanz stiessen», erinnert sich Werner Weiss und schildert, wie allmählich der Platz für geparkte Fahrzeuge bei der Kapelle zu knapp wurde. «Mit der Bekanntheit sind natürlich auch die Ansprüche gewachsen – diejenigen des Publikums wie auch die an uns selbst»,

sagt der Zuger. So habe man denn auch das Quartier als ständigen Konzertort verlassen und neue Räume gesucht, davon wurde die Reformierte Kirche in Zug zu einem der Hauptaufführungsorte. Für Werner Weiss war es stets Voraussetzung, dass die Ensemblemitglieder einen akademischen Hintergrund haben. So setzt sich die Formation aus Instrumentalistinnen und Instrumentalisten zusammen, von denen die meisten entweder freiberuflich von ihrem Spiel leben oder bei namhaften Orchestern mitwirken – beispielsweise an der Zürcher Tonhalle oder am Opernhaus ebenda. So auch Jakub Nitsche. Er spielt die erste Violine bei der Philharmonia Zürich und ist seit 2005 fest beim Zuger Kammerensemble dabei. Nachdem Geigerin Sulamith Semrad-Häcki von 1996 bis 2010 als Solistin und Konzertmeisterin einen namhaften Beitrag für das Ensemble geleistet hatte, übernahm schliesslich Nitsche die Leitung als Konzertmeister. «Ihnen beiden sind wir zu grossem Dank verpflichtet», betont Werner Weiss an dieser Stelle. Neben Nitsche gehören einige weitere seit Jahr und Tag zum treuen «harten» Kern des Zuger Kammerensembles.

Leidenschaftlicher Musiker und Kinderarzt

Innerhalb dieses Reigens an akademischen Musikerinnen und Musikern fällt Gründer Werner Weiss insofern aus der Reihe, als er selbst über einen semiprofessionellen Hintergrund verfügt. Zumindest bezeichnet er es persönlich so in Bezug auf seinen eigenen Werdegang: Als angehender Mediziner verbrachte er in jungen Jahren eine Assistenzzeit am Spital von Nyon, studierte nebenbei jedoch auch Orgel am Genfer Konservatorium. «Ich hatte das Glück, dass ich in jeder freien Stunde auf der Orgel in der evangelischen Kirche von Nyon üben konnte», erinnert sich Weiss.

Sein Musikstudium hat er nach zwei Jahren abgebrochen, der praktizierten Musik ist er jedoch treu geblieben – mit unverminderter Leidenschaft. Später in der Heimat hauptberuflich als Kinderarzt tätig – an der Baarerstrasse hatte Weiss 30 Jahre lang seine eigene Praxis –, führte er seinen Orgelunterricht fort, unter anderem am Zürcher Grossmünster. «Bald aber wurden die regelmässigen Orgelstunden zeitlich zu aufwendig», sagt Werner Weiss zurückblickend. «Dafür habe ich fast jede freie Minute geübt.» Diese Ausdauer zeigt Werner Weiss bis heute – nicht nur an der Klaviatur, sondern auch als Manager des Ensembles. Mit Unterstützung des Konzertmeisters organisiert Weiss die gesamte Konzerttätigkeit inklusive Marketing und Finanzen fast im Alleingang.

Reiz am Populären und Unbekannten

Einer der Grundpfeiler dabei ist sein über die Jahrzehnte aufgebautes Beziehungsnetz in der Klassikszene. So sind hochkarätige Kooperationen auch ausserhalb des Kantons Zug entstanden, und namhafte Solistinnen und Solisten von internationalem Rang sind regelmässig beim Zuger Kammerensemble zu Gast. So tritt unter anderem etwa der Schweizer Starflötist Maurice Steger beim anstehenden Herbstkonzert bereits zum fünften Mal gemeinsam mit der Zuger Formation auf.

Auch bei der Werkwahl legt Werner Weiss seit Anbeginn ein sicheres Gespür zu Tage. «Da verlasse ich mich auf meinen persönlichen Geschmack», sagt er, der unter anderem Bach, ­Vivaldi und Corelli zu seinen favorisierten Meistern zählt und deren Literatur denn auch an besagtem Konzert Ende kommender Woche im Zentrum steht. «Eine ausgewogene Mischung von populären Barockwerken und weniger bekannten Trouvaillen hat sich in all den Jahren bewährt.»

Und doch ist Werner Weiss auch offen für Musik aus jüngerer Zeit, welche sich als Kontrast der Barockmusik gegenüber- oder gar in deren Kontext stellen lässt. Solches findet er unter anderem bei Astor Piazzolla, dessen Werk in der Vergangenheit schon wiederholt Einzug ins Programm des Zuger Kammerensembles gefunden hat.

Ans Aufhören mag der 87-Jährige vorläufig nicht denken. «Wenn sich jemand finden liesse für die administrative Arbeit, so wäre das eine Entlastung für mich», sagt er. «Aber einfach ist das leider nicht mehr heutzutage.» Solange er aber seine bisherige Energie und seinen grossen Enthusiasmus für die aufgeführte Barockmusik behält, wird der Kanton Zug nicht auf die beiden jährlich stattfindenden Konzerte mit bester alter Musik verzichten müssen. (Andreas Faessler)

Hinweis: 40 Jahre Zuger Kammerensemble, zweites Jubiläumskonzert mit Werken von Bach, Vivaldi und Corelli am Freitag, 29. Oktober, 20 Uhr in der Kirche St.Johannes Zug sowie am Sonntag, 31. Oktober, 17 Uhr in der Kirche St.Martin Baar. zugerkammerensemble.ch