Zug wird mobil: Die Eisenbahn kommt

Brauchtum & Geschichte

,

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts markiert eine Ära des Aufbruchs – so auch in Zug.

  • Auch die Bahnhöfe waren nach dem Klassensystem organisiert und verfügten über getrennte Warte- und Speisesäle. (Bild Bibliothek Zug, Signatur BibZug_TD_23_00766)
    Auch die Bahnhöfe waren nach dem Klassensystem organisiert und verfügten über getrennte Warte- und Speisesäle. (Bild Bibliothek Zug, Signatur BibZug_TD_23_00766)
  • Vor dem Bahnhof Zug herrschte oft ein Verkehrschaos: Pferdekutschen, der Orion-Bus und Automobile warteten auf ihre Gäste. 1907 kam dann die Strassenbahn hinzu. (Bild Bibliothek Zug, Signatur BibZug_TD_23_00774)
    Vor dem Bahnhof Zug herrschte oft ein Verkehrschaos: Pferdekutschen, der Orion-Bus und Automobile warteten auf ihre Gäste. 1907 kam dann die Strassenbahn hinzu. (Bild Bibliothek Zug, Signatur BibZug_TD_23_00774)

Zug – Die Eisenbahn galt als Sinnbild einer neuen Zeit. Wer den Anschluss verpasste, wurde abgehängt. In Zug sollten 1858 die ersten Lokomotiven pfeifen. Die «Neue Zuger Zeitung» frohlockte: «Die Stadt Zug tritt durch diese Eisenbahn in den eigentlichen Weltverkehr. Welcher Kantonsbürger Reisen zu machen hat, dem steht die Welt von Zug aus offen, um dieselbe schnell und billig zu bereisen.»

Der freudig erwartete Anschluss an die Welt blieb 1861 auf der Linie zwischen Zug und Baar stecken. Die private Ostwestbahngesellschaft ging während der Bauarbeiten Konkurs, was ihr den Spitznamen «Oh-Weh-Bahn» einbrachte. Zug glich einem Friedhof geplatzter Eisenbahnträume.

Ein Zeitungsleser beschrieb das Debakel wie folgt: «Da liegen viele starke Eisenschienen, die einen nachlässig an die Erdwand gelehnt, die andern ungeordnet in der halbvollendeten Bahnstrasse liegend. Man sieht ihnen noch den Gedanken an, der sie in den folgenden Tagen weiterverwenden wollte. Da kam vom Himmel der Schlag des Missgeschicks – und alles, was sich da schaffend und ordnend bewegte, ist spurlos verschwunden.»

Erst 1864 hielten im Kanton Zug die ersten Züge. In der Pionierzeit trieben nicht nur Kohle, sondern vor allem der Schweiss, das Blut und die Arbeitskraft unzähliger Männer den Fortschritt der Eisenbahn voran. Die Bahn schuf neue Berufszweige und brachte die gewünschte wirtschaftliche und touristische Prosperität, barg aber auch neue Herausforderungen. Historische Zeitungsberichte geben einen vielfältigen Einblick in den neuen Alltag mit der Eisenbahn.

Schlechte Bedingungen und die «Eisenbahnkrankheit»

Der «Bahnhof Rothkreuz» hatte sich nach seiner Eröffnung 1864 innert weniger Jahre von einer kleinen Provinzanlage zu einem wichtigen Güterumschlagplatz und Umsteigebahnhof gemausert. Nebst den Gütern wechselten Reisende sowie Gefangene dort den Zug, was die örtliche Polizei ziemlich ins Schwitzen brachte. Die Eisenbahn lockte zudem viele neue Bahnarbeiterfamilien nach Risch, die im Gegensatz zu den Einheimischen reformierten Glaubens waren.

In den 1880er-Jahren war der Bahnhof in Rotkreuz hoffnungslos überlastet. Erschwerend kam hinzu, dass er auf sumpfigem Untergrund stand. 1887 sank die Drehscheibe für die Gotthardbahn so weit in den Untergrund ab, dass sie nicht mehr funktionstüchtig war. Ohnehin war die Arbeit bei der Bahn gefährlich: Im Winter 1893 wurde in Rotkreuz ein fast erfrorener Bremser aus einem Zug gerettet.

Die Lok hatte noch keine Druckluftbremsen, weshalb jeder Waggon separat von einem Bremser per Handkurbel verlangsamt werden musste. Die Bremser sassen oft in halboffenen Häuschen, damit sie die Pfiffe der Lokomotive hören konnten. Nur so war gewährleistet, dass sie synchron arbeiteten und der Zug nicht ruckelnd zum Stillstand kam. Die Bremser waren damit der Witterung und dem Rauch gnadenlos ausgesetzt, was ihre Atemwege stark reizte. Etwas Linderung bot eine Milchsuppe, die in den Bahnhofskantinen angeboten wurde. Im Volksmund hiessen diese daher oft «Milchküche». Nicht nur die Bahnangestellten mussten frieren, sondern auch die Passagiere: Die grosse Mehrheit reiste in der dritten Klasse, die aufgrund ihrer spartanischen Einrichtung auch «Holzklasse» genannt wurde. Die Waggons waren mit Holzbänken versehen, schlecht abgedichtet und ungeheizt.

Manch ein Fahrgast fühlte sich bald unwohl. Übelkeit, nervöse Reizbarkeit und Zittern waren häufige Symptome der neuartigen «Eisenbahnkrankheit». Ärzte empfahlen das Tragen einer «Kopfstau-Binde», damit die «Blutüberfüllung des Gehirns» sichergestellt wird, während Apotheker allerlei Reisemittelchen anboten. Mediziner führten die Krankheit auf die Geschwindigkeit, den Dampf und die lauten Geräusche zurück, an die der menschliche Organismus noch nicht gewohnt war.

Neue Form der Verpflegung – das Bahnhofbuffet

Gegen die «Eisenbahnkrankheit» konnte aber auch Luxus helfen: Die zweite und erste Klasse bot den wohlhabenden Reisenden grösstmöglichen Komfort. Das Dreiklassensystem hatte in der Schweiz erst 1956 ausgedient, als die nicht mehr rentable Luxusklasse gestrichen wurde. Reisen macht hungrig, und so brach das goldene Zeitalter der Bahnhofbuffets an. Ein besonders schönes Exemplar erstellte die Nordostbahn im zweiten Zuger Bahnhof, der 1897 für die Eröffnung der Linie Thalwil-Zug-Goldau und der Gotthardbahn gebaut wurde. Das Buffet verfügte über je einen Saal erster und zweiter Klasse. Der ganze Stolz war das Sommerrestaurant mit einem Kastanienbaum in der Mitte und Platz für bis zu 280 Gäste. Albert Waller, Besitzer des Hotels Rigi, setzte sich als erster Pächter gegen 30 Konkurrenten durch.

Das Zuger Buffet warb mit guten Weinen und feiner Küche, die täglich frischen Fisch im Angebot hatte. Suppen waren neben Braten und Fisch mit Kartoffeln beliebte Menüs, welche die Reisenden während der Umsteigezeit von etwa 15 bis 30 Minuten hastig verschlangen. Alle mussten sich nach dem Takt der Eisenbahn richten. Dadurch stieg die Nachfrage nach Uhren. Zeitungsinserate offenbaren, dass bei all der Hektik hin und wieder eine Damenuhr im Zug verloren ging. Die Schaffner sammelten diese jeweils ein und gaben sie im Bahnhofbuffet ab.

Nicht nur Reisende frequentierten den Zuger Bahnhof, sondern auch manch Familienausflug führte zu den dampfenden Maschinen. Das Buffet diente den Einheimischen als Treffpunkt. Regelmässig gab es Konzerte und Veranstaltungen. Während des Zweiten Weltkriegs waren dort auch viele amerikanische Soldaten anzutreffen, die aus den Internierungslagern entlassen worden waren und nun auf der Heimreise waren. Diese weckten die Neugierde der Kinder, da sie immer Kaugummis kauten. Die meisten Eltern waren weniger «amused», denn in Zug ging das Gerücht um, dass durch Kaugummis Krankheiten verbreitet werden könnten ...

Fast alle wussten ein Erlebnis oder eine Geschichte aus dem Bahnhofbuffet zu erzählen. Noch bis in die 1970er-Jahre war es in Betrieb. Danach wurde es durch ein Selbstbedienungsrestaurant ersetzt. Damit endete ein wichtiges Kapitel der Zuger Eisenbahngeschichte. (Text von Nadia Pettannice)