Die «Papieri»-Geschichte erleben
Brauchtum & Geschichte
Während rund 360 Jahren wurde in Cham Papier produziert. Nun kann das einstige Treiben durch ein virtuelles Museum zurückverfolgt werden.
Cham – Als Robert Naville-Vogel zu Beginn des Jahres 1970 verstarb, trauerte eine ganze Fabrik um ihn. 50 Jahre lang «dominierte» der gebürtige Zürcher die Chamer Papierfabrik als Direktor, wie es auf Chamapedia geschrieben steht. Wobei «dominieren» laut Navilles Enkel Michael Funk nicht das richtige Wort ist. «Das isch nöd de Grossvater gsi», sagt Funk im Rahmen eines Anlasses im Kalandersaal des Papieri-Areals.
Dort versammelten sich am Donnerstagabend rund 120 Gäste zur Vernissage und Eröffnung des neuen, virtuellen Museums auf dem ehemaligen Fabrikgelände. Durch das Museum soll das Erbe Navilles und seiner Vorgänger weiterhin präsent und für die Öffentlichkeit einsehbar bleiben. Dafür arbeitete der Verein Chamapedia zusammen mit der Cham Group während der letzten drei Jahre am Projekt. Dies unter der Federführung des Zuger Historikers und Autors Michael van Orsouw.
Infos mittels QR-Codes
Dabei entstanden die derzeit 16 auf dem Gelände verteilten Tafeln und Stelen, die mittels einer kurzen Einleitung und eines QR-Codes über die historischen Fabrikgebäude informieren.
Wird der Code mit dem Mobiltelefon gescannt, öffnet sich die Website des Papieri-Areals mit weiterem Text und einem verkürzten Videoclip. Ein zusätzlicher Link führt auf die Website von Chamapedia und gibt weitere detaillierte Einsicht in die Geschichte der verschiedenen Fabrikgebäude und der Menschen, die diese ihrer Zeit belebt haben. Hier ist dann auch die lange Version des bereits angeteaserten Videos zu sehen. Geplant sei, das virtuelle Museum weiter auszubauen. Heute ist das Kesselhaus von Bauzäunen umgeben. Es qualmt kein Rauch aus den einst 20 Meter hohen Doppelkaminen, die es nun nicht mehr gibt. Einige Fenster der verglasten Seitenfront sind zu Bruch gegangen.
Kohle und Schweröl zur Energiegewinnung
Früher jedoch war dieser Bau nicht aus dem Fabrikalltag wegzudenken. Er und sein Vorgänger waren «während Jahrzehnten die Energiezentrale für die energieintensive Papierproduktion», heisst es auf Chamapedia. José Keller ist im Video des virtuellen Museums zu sehen und zu hören. Er leitete den Betrieb des Kesselhauses während 20 Jahren. «Das schlimmste waren Gewitter. Wenn ein Blitz einschlug, hat alles stillgestanden», sagt er.
Bereits im 1913 erbauten Vorgänger des heutigen Kesselhauses wurde mit den extrem umweltschädlichen Stoffen Kohle und Schweröl Energie gewonnen. Später kamen im neuen Kesselhaus, das 1949 erbaut wurde, ein Dampfkessel, eine Dampfturbine und ein Generator hinzu. Letzterer stammte von der bekannten Badener Firma, damals noch BBC (Brown, Boveri und Cie.), die heute ABB heisst – übrigens die Entwicklerin der weltweit steilsten Standseilbahn, die in Schwyz auf den Stoos führt.
Auch diese Anlage wurde durch Kohle und Schweröl angetrieben. 1950 jedoch ersetzte man den Dampfkessel durch einen Elektrokessel und sieben Jahre später entstanden die Zwillingskamine, die das Areal charakteristisch prägten. Seit 2019 ist das Kesselhaus nicht mehr als Energiezentrale in Betrieb. All dies und mehr ist über den QR-Code im virtuellen Museum zu erfahren.
Gespräche mit 30 Personen, die allesamt in den Betrieb der Papierfabrik involviert oder sonst mit ihr verbunden gewesen sind, lieferten über 30 Stunden Bildmaterial. «Eine Herkulesaufgabe», wie Bruno Werder, Vereinspräsident von Chamapedia, bei der Vernissage des Museums sagt.
Quer durch die Hierarchiestufen, vom Lehrling über die Kantinenköchin bis zum Papiermaschinenarbeiter, «teilten die Menschen ihren Erfahrungsschatz», sagt Michael van Orsouw und fügt an: «Das erfüllt einen mit Ehrfurcht.» So berichten ehemalige Mitarbeitende über Mittagessen, die nur 2.50 Franken gekostet haben und vor allem von «Salzherdöpfeli» dominiert wurden.
Das Stöbern im virtuellen Museum macht nostalgisch – selbst wenn man zu dieser Zeit noch nicht gelebt hat. Die Bilder aus längst vergangenen Zeiten in einem Cham, das noch etwas grüner und weniger bevölkert war, machen Eindruck. Und es scheint, als spüre man den Geist des einstigen Fabriktreibens noch heute im Kalandersaal. Michael Funk, der eingangs erwähnte Enkel des ehemaligen Direktors Robert Naville-Vogel, sagt: «In Cham isch alles Papieri gsi.» Und er scheint damit zumindest nicht falsch zu liegen. (Text von Kristina Gysi)